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Braunschweig öffnet das Ohr für Spohr

Louis Spohr hinterließ nicht nur Violinkonzerte, Symphonien und Oratorien, sondern auch etwa ein Dutzend Opern, die das deutsche Musikleben im ersten Drittel des 19. Jahrhundert mit prägten. Heute kommt nur wenig von ihm auf die Bühne. In seiner Heimatstadt Braunschweig wird zu Ehren seines 150. Todestages seine Oper "Der Alchymist" wiederaufgeführt. Sie entstand im deutschen Vormärz und der Komponist selbst hielt sie für seine gelungenste.

Von Frieder Reininghaus | 26.05.2009
    Uraufgeführt wurde "Der Alchymist" von Louis Spohr im Jahr 1830, in dem es - im Gefolge der französischen Juli-Revolution - auch in Deutschland zum ersten Mal seit den Bauernkriegen wieder zu veritablen Aufständen kam. Gerade auch in Braunschweig und in der kurhessischen Residenzstadt Kassel, in der Spohr seit 1822 wirkte. Vom Hofkapellmeister erwartete der Fürst ein repräsentatives feudales Theater-, Musik- und Unterhaltungsprogramm, das selbstbewusster werdende Bürgertum etwas Volkstümlicheres und Realistischeres mit einem guten Schuss Zukunftsmusik.

    Die in einer expressiven melodramatischen Nummer im dritten Aufzug aufscheinende Kritik an der Inquisition und der allzu sehr auf weltliche Macht gegründeten Kirche fügt sich in die politische Agenda der Vormärzjahre: Zum Schutz der "Pfaffen" vor liberalen Attacken war die Zensur ansonsten besonders eifrig; hier aber ging es um ein fernes spanisches Jahrhundert und das ansonsten sehr betuliche Libretto von Carl Pfeiffer wurde genehmigt. Dennoch konnten selbst Schwerhörige mitbekommen, dass es mit den Fragen der Freiheit von Forschung und Lehre durchaus um ein aktuelles Thema ging.

    Louis Spohrs neunte Oper basiert auf der Novelle "The student of Salamanca" von Washington Irving, dem ersten in Europa rezipierten Schriftsteller Nordamerikas und Begründer der Gattung Kurzgeschichte. Doch die Umformung der Novelle zu einer marktgängigen Opernhandlung geriet leider allzu biedermeierlich und trivial. Sie schenkte der Tragödie des Forschers zu wenig Aufmerksamkeit und legte die Liebesintrige allzu banal an. Und das geht so: Sowohl Don Ramiro, ein auf die Hilfe des zwielichtigen Lopez angewiesener Aristokrat, der von vorneherein wenig Sympathie erweckt, als auch der auf den ersten Blick liebenswürdige Student Don Alonzo verlieben sich in Inez, das schöne Töchterchen des weltentrückten Chemikers. Den gibt der schwere Bass Bernd Weikl als sehr zerstreuten alten Professor, Jörg Dürmüller den Schwiegersohn in spe mit unbeschwert frischem Tenor. Mit Moran Abouloff verfügt die Braunschweiger Produktion über eine ansehnliche und mit geschmeidiger starker Stimme ausgerüstete Protagonistin im Liebeshändel - und mit Susanna Pütters über einen Publikumsliebling, der als helfender und rächender Engel Paola dazwischenfunkt.

    Kurz vorm Abschluss der bahnbrechenden Experimente zur Erschaffung des Homunculus und des Steins der Weisen aus der Retorte kommt es im Labor zu einer heftige Explosion. Der Alte wird von Alonzo aus den Flammen gerettet, doch umgehend gefangen gesetzt und der Ketzerei bezichtigt. Ramiro duelliert sich mit Alonzo im Gebäude der Inquisition und unterliegt natürlich, Don Felix kommt frei, Alonzo nimmt ihn samt Inez mit nach Hause und alles wird wahrscheinlich gut.

    Auf der Bühne erweist sich "Der Alchymist" als Machwerk, das mit einem Überschuss an formschöner und glücklich melodiöser Musik begabt ist. Um die kümmerte sich, von der Erstellung des Notenmaterials an, der Dirigent Christian Fröhlich mit Umsicht. Uwe Schwarz schlug sich achtbar bei der Inszenierung: Zwei Container, der eine gefüllt mit dem Opernchor als preiswerten Arbeitskräften aus den tieferen Zonen der globalisierten Welt, senken sich auf die Bühne herab und speien ihre Ladung aus. Im anderen Transportbehälter befindet sich das Laboratorium des offensichtlich auch nirgendwo heimisch gewordenen Alchimisten.

    Die Ritter-Rituale werden mit milder Ironie als verstaubte Veranstaltung vorgeführt, die Gelehrtheit des Titelhelden als bücherwurmstichig. Auf denkwürdige Weise lebendig aber bleibt Spohrs alchymisierende, über die Nummernoper hinausdrängende Musik mit dem auf Wagners Leitmotiv hinführenden "Personalmotiv" in Erinnerung. Braunschweig öffnet das Ohr für Spohr.