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Brecht-Uraufführung vor 75 Jahren
"Der gute Mensch von Sezuan" in Zürich

"Der gute Mensch von Sezuan" gehört zu den bekanntesten Stücken von Bertolt Brecht. Während der Autor im kalifornischen Exil vergeblich versuchte, Fuß zu fassen, wurde seine Parabel am 4. Februar 1943 von Leonard Steckel zur Uraufführung gebracht. Das Publikum war begeistert, ein Teil des Schauspielensembles hingegen nicht.

Von Eva Pfister | 04.02.2018
    Porträt des Schriftstellers Bertolt Brecht von 1956.
    Berolt Brechts Stück "Der gute Mensch von Sezuan" wurde im Zweiten Weltkrieg in der Schweiz uraufgeführt (picture alliance / Jörg Kolbe)
    "Unsere Mission ist gescheitert. Gebt es euch zu!" - "Wir können immer noch gute Menschen finden, jeden Augenblick."
    Bertolt Brechts Parabelstück "Der gute Mensch von Sezuan" spielt in einem fiktiven China, wo große Armut herrscht, während die Reichen korrupt und hartherzig sind. Drei Götter finden nur einen Menschen, der in dieser Welt charakterlich bestehen kann: die Prostituierte Shen Te. Mit der Belohnung der Götter eröffnet sie ein Tabakgeschäft. Sofort wird sie von Hilfsbedürftigen und Schmarotzern überrannt, sodass sie schließlich in die Rolle ihres angeblichen Vetters Shui Ta schlüpft und die Leute aus dem Laden jagt.
    "Wie ich Fräulein Shen Te, die verreist ist, verstehe, hat sie nicht die Absicht, die Hand von Ihnen allen abzuziehen. Jedoch soll alles in Zukunft etwas vernünftiger geregelt werden."
    Käthe Reichel spielte die Rolle 1957 in der berühmten Inszenierung von Benno Besson am Berliner Ensemble. In einem Interview vor der Premiere wurde sie nach der Botschaft des Stückes gefragt:
    "Na, die ist einfach: dass es unter gewissen Umständen, solche Umstände, wie sie im Stück gezeigt werden, in einer durch und durch korrupten kapitalistischen Welt, nicht möglich ist, gut zu sein."
    Eine Botschaft, die ungehört verpufft
    Uraufgeführt wurde das Stück während des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz, als Bertolt Brecht im amerikanischen Exil vergeblich versuchte, als Dramatiker Fuß zu fassen. Das Schauspielhaus in Zürich hatte schon "Mutter Courage" auf die Bühne gebracht, am
    4. Februar 1943 war dann Premiere von "Der gute Mensch von Sezuan".
    Die gesellschaftskritische Botschaft verpuffte hier aber ungehört. So befand der Kritiker Jakob Welti in der "Neuen Zürcher Zeitung", dass der Autor im Krieg wohl gereift sei und schrieb:
    "Brecht verpflichtet das Mädchen von Sezuan nicht … auf die billige These, dass unsere Moralmaßstäbe von Gut und Böse lediglich dazu dienen, die Herrschaft des Reichtums zu befestigen."
    Die Inszenierung von Leonard Steckel war wohl mitverantwortlich für dieses Missverständnis. Der Regisseur und Schauspieler soll das Drama in dem Sinne interpretiert haben, dass "der Mensch nur gut sein könne, wenn er auch Geld habe". Er setzte auf das Komödiantische des Stücks und wurde dafür von den Kommunisten im Ensemble heftig gerügt. Beim Publikum kam "Der gute Mensch von Sezuan" jedoch sehr gut an, wie sich Maria Becker 2007 in einem Interview mit dem Schweizer Brecht-Forscher Werner Wüthrich erinnerte:
    "Es war ein Riesenerfolg! Und das Publikum, das bei uns nicht also sich überstürzt hat, ins Theater zu gehen, kam sehr zahlreich."
    Die damals 23-jährige Maria Becker spielte die Hauptrolle der Shen Te, die sich zeitweise in ihren Vetter Shui Ta verwandelt. Ein Kritiker bezeichnete sie als das "große schauspielerische Erlebnis des Abends", und in der "Neuen Zürcher Zeitung" hieß es:
    "Die Shen Te werden sicher auch andere spielen können – ihr Alter Ego aber, den männlich harten Shui Ta, wird man weit herum suchen müssen."
    Schwerer fielen Maria Becker nach eigener Aussage jedoch die zarten Passagen, etwa als Shen Te merkt, dass sie schwanger ist. Sich erinnernd rezitiert die Schauspielerin fast 70 Jahre später:
    "O Freude! Ein kleiner Mensch entsteht in meinem Leibe. Man sieht noch nichts. Er ist aber schon da. Die Welt erwartet ihn im Geheimen. In den Städten heißt es schon: Jetzt kommt einer, mit dem man rechnen muss."
    Prominente Besetzung
    Neben Maria Becker standen in Zürich 1943 viele prominente Schauspielerexilanten auf der Bühne, die Teo Otto mit angedeuteten Häuserfassaden aus Bambus, Holz und Leinwand durchaus episch gestaltet hatte. Therese Giehse spielte die Hausbesitzerin, Kurt Horwitz den reichen Barbier und Karl Paryla den Flieger Yang Sun, in den sich Shen Te verliebt. Als Shui Ta lernt sie dann seine schlechten Seiten kennen und trennt sich.
    Bertolt Brecht schrieb "Der gute Mensch von Sezuan" im skandinavischen Exil unter Mitarbeit seiner Freundinnen Ruth Berlau und Margarete Steffin. Die dialektisch angelegte Doppelrolle der Hauptfigur wurde wohl auch von ihnen inspiriert.
    "Ich bin es: Shen Te und Shui Ta, ich bin beides. Euer einstiger Befehl gut zu sein und doch zu leben, zerriss mich wie ein Blitz in zwei Hälften."
    Diese modern anmutende, ambivalente Figur gehört zu den faszinierendsten Frauengestalten im Werk von Bertolt Brecht.