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Bremser im internationalen Antidopingkampf

Für den Antidopingkampf verfügen Bundesregierung wie Sportfunktionäre über eine beliebte Sprachregelung: Der müsse, im Interesse der Chancengleichheit, weltweit harmonisiert werden.

Von Grit Hartmann | 29.01.2011
    Deshalb war eine moderat steigende Unterstützung der Weltantidoping-Agentur WADA aus dem deutschen Steuersäckel konsensfähig. Offiziell hat sich daran nichts geändert – hinter den Kulissen schon. Der WADA setzt eine irritierende Initiative der Bundesregierung zu.

    Es ist nicht neu, dass sportpolitische Ärgernisse zufällig öffentlich werden. Dieser Fall jedoch hat Seltenheitswert. Die grüne Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon:
    "In diesem Jahr haben wir unseren Familienurlaub, unseren Weihnachtsurlaub in Montreal verbracht. Mein Mann stammt daher. Und ich hab die Gelegenheit wahrgenommen, Anfang Januar mal ein Gespräch zu suchen bei der WADA, die ja dort ihr Headquarter hat. Wir hatten verschiedene Themen. Und da gab es einen Punkt, der besonders interessant war, und der betraf das deutsche Engagement innerhalb der WADA, bei der Finanzierung."

    WADA-Mitarbeiter präsentierten einen brisanten Brief, datiert vom Juni 2010. Absender: Gerhard Böhm, Chef der Sportabteilung im Bundesinnenministerium. Adressat: der Europarat, wo die europäischen Staaten sich über ihren Jahresbeitrag zum WADA-Haushalt verständigen. Eine Hälfte zahlt das IOC, die andere die Regierungen, wobei der europäische Anteil bei 47,5 Prozent liegt. Die Bundesrepublik gehört zu den größten Zahlern; sie gibt so viel wie Rom, London und Paris, 722.000 US-Dollar im letzten Jahr. Böhm wurde nun mit dem Anliegen vorstellig, die WADA-Zuwendungen – bisher stets leicht geklettert – ab 2011 einzufrieren. Begründung: Eingedenk der globalen Finanzkrise sei es "schwierig, ein kontinuierlich steigendes WADA-Budget in Deutschland zu vermitteln". Davon hat man zwar noch nichts gehört – im Gegenteil: In der Haushaltsdebatte gab es Kritik an gleichbleibenden Ausgaben für den Antidopingkampf. Dennoch lautete die interne Empfehlung von Ministerialdirektor Böhm, die WADA solle "Kosten einsparen", gefolgt von der Ansage, künftig werde Berlin mögliche Erhöhungen, so wörtlich, "missachten".

    Vorab das Resultat des Vorstoßes: Unbemerkt von der Öffentlichkeit einigten sich Europas Regierungen im November darauf, ihre Beiträge in diesem Jahr nur um zwei Prozent aufzustocken – das kleinste Plus seit Gründung der WADA vor elf Jahren. WADA-Generaldirektor David Howman sagt, damit fange man lediglich die Inflation ab:

    "Im Wesentlichen heißt das für uns Stillstand. Wir kommen nicht voran. Bei Nullwachstum würden wir schrumpfen, uns zurückbewegen. Und das ist ein wenig beunruhigend. Insbesondere, wenn man sich zum Beispiel den EU-Haushalt ansieht - der wurde für 2011 um sechs Prozent erhöht. Um zu verdeutlichen, worüber wir bei Europa sprechen: Ein Prozent Erhöhung für die WADA sind 150.000 US-Dollar, verteilt auf 47 Länder – das ist ein ziemlich kleiner Betrag."

    2012 würde, geht es nach den Europäern, aus dem Stillstand ein Zurück. Die Beiträge sollen eingefroren werden. Viola von Cramon erinnert an der Deutschen liebste Klage. Sie lautet, dass deutsche Athleten, weil angeblich bestens kontrolliert, international benachteiligt sind:

    "Dann müsste es ja eigentlich im deutschen Interesse sein, genau diese Institution zu stärken, die sich für die weltweite Überprüfung der Athleten einsetzt, und das ist die WADA. Da müsste man die WADA nicht mit weniger Geld versehen, sondern mit deutlich mehr Geld."

    Dass die Betrugsbekämpfer mit ihrem 27-Millionen-Dollar-Budget unterfinanziert sind, gilt als ausgemacht. Howman sagt, was die WADA erreicht habe, habe sie nicht dank ihrer finanziellen Ausstattung erreicht, sondern trotzdem. Mag es Kritik an der WADA geben – für weltweite Harmonisierung des Antidopingkampfes ist sie unverzichtbar. In 15 ärmeren Regionen finanziert sie Antidoping-Organisationen; die assistieren derzeit 122 Ländern bei der Kontrolle von Athleten. Fast im Alleingang finanziert sie die Verfeinerung der Analytik. Mit einer Zahl für die letzten sieben Jahre illustriert Howman die Absurdität des deutschen Vorstoßes:

    "” Aus unserem Forschungsetat sind mehr als 32 Millionen Dollar zurück nach Europa gegangen, in Forschungsprojekte. Das ist fast genauso viel wie die Einzahlungen, die wir aus Europa bekommen haben. Verglichen mit anderen Kontinenten bewegen sich die Europäer also in einem Geld-Rein-Geld-Raus-Szenario.""

    In Montreal rätselt man deshalb, was die Bundesregierung wirklich antreibt:

    "Deutschland ist einer der starken Befürworter der WADA gewesen und geblieben. Wir haben diese Unterstützung begrüßt. Das ist seit der WADA-Gründung so gewesen, und wir hatten damit gerechnet, dass es dabei bleibt. Deshalb war es für uns überraschend, dass so ein Vorstoß kam. Wir haben ein bisschen recherchiert und festgestellt, dass der Sportetat des Bundesinnenministeriums in diesem Jahr de facto gestiegen ist, gleichzeitig aber wollen sie unser Budget reduzieren. Das finde ich etwas beunruhigend."

    Von Cramon fragt nun nach dem Gehalt frommer Fensterreden. Im jüngsten Sportbericht, er wurde gerade im Bundestag debattiert, belobigt sich die Koalition eifrig für ihre "führende Rolle" im internationalen Antidopingkampf.

    "Dann könnte man davon ausgehen, dass die Bundesregierung ausschließlich den sauberen Sport fördert. Wenn man aber sieht, was sie tatsächlich macht, dann kann man nicht davon ausgehen, dass das ein ernstgemeintes Bekenntnis ist. Und ich denke, das ist ein ganz fatales politisches Signal für den weltweiten Antidopingkampf."

    Zusätzliche Sprengkraft bezieht der deutsche Vorstoß aus der Herausforderung, die Howman formuliert:

    "”Wir wissen, dass der raffinierte Doper, der smarte und vermutlich bestens finanzierte Doper riskanteste Verbindungen eingeht, um den Nachweis zu vermeiden. Und das funktioniert seit einer Weile. Wir können eine Menge Geld für bessere Analytik ausgeben, um ihn zu erwischen. Aber wir müssen dafür andere Wege gehen.""

    Heißt, die WADA sieht ihren Job zunehmend in Detektivarbeit, darin, kriminelle Strukturen aufzudecken, in denen ausgereifte Dopingpraktiken gedeihen – vornehmlich in entwickelten Nationen wie Deutschland. Das liefert Stoff für Mutmaßungen: Verbirgt sich hinter der neuen Berliner Sparsamkeit ein stiller Dienst des sportpolitischen Kartells am offiziell vorbildhaft sauberen deutschen Athleten? Howman will nächste Woche bei einem Deutschland-Besuch um Aufklärung bitten. Auch von Cramon hat der Bundesregierung Fragen übermittelt. Zweitens werde sich der Sportausschuss mit der Causa befassen.

    "Und drittens ist es natürlich so, dass über die Gelder nicht nur die Bundesregierung entscheidet, sondern ganz sicher auch wir Parlamentarier, also der Deutsche Bundestag."