Donnerstag, 28. März 2024

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Brexit-Abkommen
"Für einen Schmerz muss sich London entscheiden"

Austritt aus der Zollunion für die Briten, aber nicht für Nordirland: Diese Option hat der Brexit-Unterhändler der EU wieder ins Spiel gebracht. Für Großbritannien bedeute das die Wahl zwischen zwei Übeln, sagte der Politologe Josef Janning im Dlf: Verbleib in der Zollunion oder Sonderstatus für Nordirland.

Josef Janning im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 09.03.2019
Der Politikwissenschaftler Josef Janning, EU-Experte der Denkfabrik European Council on Foreign Relations
Der Politikwissenschaftler Josef Janning, EU-Experte der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (Wiebke Ewering)
Die Zustimmung des britischen Parlaments zum Brexit-Abkommen scheitert bisher an der "Backstop"-Regelung. Sie besagt, dass Großbritannien als Ganzes in der Zollunion mit der EU bleibt, wenn sich beide Seiten nicht auf einen Folgevertrag über die zukünftigen Beziehungen einigen können. Damit würde eine sogenannte harte Grenze mit Nordirland vermieden.
Mit dem schon älteren Vorschlag, den Briten einen Ausstieg aus der Zollunion zu ermöglichen, nicht aber den Nordiren, kehre der EU-Chefunterhändler Michel Barnier nun zu dem zurück, was aus Sicht der EU derzeit die einzige logische Alternative sei, sagte Janning: "Wenn man keine harte Grenze mit Nordirland möchte, aber gleichzeitig die Möglichkeit haben will, aus der Zollunion mit der EU auszusteigen, muss man bereit sein, Nordirland einen Sonderstatus zuzuerkennen." London müsse sich nun entscheiden, was es mehr schmerze - das sei die Botschaft der EU, so Janning.
Verschiebung des Brexits?
Am kommenden Dienstag steht im britischen Unterhaus die nächste Entscheidung über das Brexit-Abkommen an. Wenn es dafür wieder keine Mehrheit gebe, folge am nächsten Tag eine weitere Abstimmung über die Frage, ob das Parlament bereit sei, die Folgen eines sogenannten No-Deal-Brexits zu tragen. "Die Bereitschaft wird nicht bestehen", vermutet Janning. Am dritten Tag gäbe es dann eine Entscheidung über die Verlängerung der Frist für den EU-Austritt - "die wird dann eine Mehrheit finden".
Eine Verschiebung des Brexits könnte nach Ansicht von Janning durchaus zu einem Erkenntnisgewinn führen, für welche der Optionen, die jetzt auf dem Tisch liegen, Großbritannien sich entscheiden wolle. "Vielleicht braucht es noch ein paar Wochen mehr Druck, mehr Einsicht", so Janning, "um dann klar zu sagen, wir wählen zwischen den verfügbaren Übeln das kleinere."
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Mehr Beiträge zum Brexit finden Sie in unserem Portal "Countdown zum Brexit" (AFP / Tolga Akmen)

Das Interview in voller Länge
Jörg Münchenberg: Kurz vor der entscheidenden Abstimmungswoche im britischen Parlament hat EU-Chefunterhändler Michel Barnier der britischen Regierung noch einmal ein aus EU-Sicht zumindest wohl nachgebessertes Angebot unterbreitet. Die Briten könnten die Zollunion ja einseitig verlassen, das gelte allerdings nicht für Nordirland, aus britischer Sicht wiederum sicherlich der heikelste Punkt. Die überwiegenden Reaktionen deshalb aus London auf den jüngsten Vorstoß – ein müdes Lächeln. Am Telefon ist nun der Politikwissenschaftler Josef Janning von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations. Herr Janning, wie bewerten Sie jetzt diese neuen Vorschläge aus Brüssel, die man so zusammenfassen könnte: Austritt aus der Zollunion ja für die Briten, aber eben nicht für Nordirland.
Josef Janning: Ja, das ist, wie im Beitrag ja zurecht gesagt wurde, ein Vorschlag, den es schon einmal gegeben hat. Ursprünglich war der Backstop so konstruiert, dass eigentlich nur Nordirland umfasst – und die britische Regierung hat dann selber, von sich aus ins Spiel gebracht, dann doch das ganze Land vorübergehend in der Zollunion zu halten, was dann praktisch diese Debatte ausgelöst hat unter den harten Brexiteers, dass damit Großbritannien auf Dauer in einen Vasallenstatus gezogen werde. Das heißt, Barnier kehrt zurück zu dem, was aus der Sicht der EU oder des Verhandlungsteams die einzige logische Alternative ist. Wenn man, wie beide Seiten ja immer wieder betonen, keine harte Grenze in Nordirland möchte, aber gleichzeitig eine Möglichkeit, aus der Zollunion auszusteigen, haben will, dann muss man bereit sein Nordirland einen solchen besonderen Status zuzuerkennen. Und das hat man ihnen vorgeschlagen.
"Was die Briten wollen, ist nicht in einen praktikablen Zusammenhang zu bringen"
Münchenberg: Aber ist das denn wirklich jetzt ein Angebot, das den Briten tatsächlich hilft, denn für Nordirland soll diese Regelung ja eben nicht gelten, da geht der Backstop ja gerade weiter. Und das war ja, ist ja für die Brexiteers ein Punkt, an dem sie sich besonders reiben.
Janning: Er hilft den Briten vor allen Dingen deswegen nicht, weil sie eben beides wollen, und beides nicht in einen praktikablen Zusammenhang zu bringen ist. Man könnte sich ja durchaus vorstellen, dass etwa eine entspanntere britische Politik sagen würde, wir haben ja heute schon eine gewisse andere Regelung für Nordirland, die damit zusammenhängt, dass Großbritannien wie viele andere Inselstaaten auch besondere Regeln hat, was etwa Standards bei Einfuhr von Lebensmittel oder Tieren angeht. Weil man durch das Wasser geschützt ist, glaubt man, wenn man diese Standards nicht hat, würde man alle möglichen Seuchen einschleppen. Und deswegen gibt es schon jetzt bestimmte Sonderregeln, die Nordirland betreffen, weil eben dort kein Wasser als Seuchenbremse dazwischen ist. Also könnte man durchaus sagen, gut, dann ist eben der Sonderstatus Nordirland noch ein Stück weitergehend. Aber genau daran reibt sich ja der Zorn der zumeist englischen Brexiteers, weil sie damit einen Spalt im Vereinigten Königreich kommen sehen, an dessen Ende dann möglicherweise der Anschluss Nordirlands an die Republik Irland stehen könnte.
Münchenberg: Herr Janning, Sie haben ja auch gesagt, es war ja schon mal auf dem Tisch, dann hat man das Ganze verworfen aus britischer Sicht. Es stellt sich ja jetzt schon die Frage, warum dieser Vorstoß von Barnier jetzt, wenn das doch praktisch nur Aufgewärmtes ist.
Janning: Die Message an London ist, ihr müsst euch entscheiden! Ihr müsst euch entscheiden, was euch mehr schmerzt. Die Tatsache, möglicherweise längere Zeit in einem Backstop zu sein, den man nicht einseitig aufkündigen kann, oder die Tatsache, einen Sonderstatus für Nordirland zuzulassen. Das heißt, für eine dieser beiden Schmerzen muss sich London entscheiden – und das Angebot Barniers bedeutet im Prinzip, zu sagen: Sucht es euch selbst aus!
"Gegenseitige Schuldzuweisungen schon längst im Gange"
Münchenberg: Aber wie gesagt, die Reaktionen aus London sind ja schon eindeutig. Könnte man das Ganze auch ein bisschen anders interpretieren und sagen, da gibt es vielleicht schon so ein bisschen so ein vorgezogenes "blame game", also, da wird schon vorgebaut für den Fall, dass es dann eben doch zu einem harten Brexit kommt.
Janning: Ja, das "blame game" ist längst im Gange. Sie können auch in moderaten britischen Medien immer wieder lesen, dass die eigentlichen Zumutungen, die gehen nicht von der Position Londons aus, sondern von Brüssel. In letzter Zeit beispielsweise hat die britische Regierung immer wieder betont, man wolle selbst bei einem harten Brexit keinerlei Grenzkontrollen in Nordirland einführen. Die irische Regierung hat das auch gesagt, sodass für die britischen Medien der Fall klar ist. Die einzige Seite, die eine harte Grenze in Nordirland im Zweifel dann durchsetzen wird, ist Brüssel. So sehen Sie, wie das "blame game" funktioniert. Und diese Art der Schuldzuweisung ist schon jetzt im Gange, weil das Land, Großbritannien selbst, noch immer in dieser Frage tief gespalten ist.
Fristverlängerung für Brexit-Deal sehr wahrscheinlich
Münchenberg: Nun wird es ja, Herr Janning, nächste Woche ziemlich spannend. Da ist das britische Unterhaus gefordert, es muss sich ja positionieren. Im Zweifelsfall geht es ja auch um ein späteres Austrittsdatum. Gucken wir ein bisschen in die Glaskugel, wie ist da Ihre Einschätzung, was wird da nächste Woche passieren?
Janning: Viel spricht dafür, dass die erste Abstimmung, nämlich eine erneute Abstimmung über dieses Verhandlungspaket, was immer es dann umfassen wird in der nächsten Woche, also möglicherweise eine kleine nachgebesserte politische Erklärung, vielleicht eine Form der Aufnahme dieses Barnier-Vorschlags – ich glaube, dass das nicht reichen wird, um Theresa May eine Mehrheit zu sichern. Dann wird es am nächsten Tag eine weitere Abstimmung geben, in der es um die Frage geht, ob das britische Parlament bereit ist, eine No-Deal-Brexit-Konsequenz zu tragen. Wahrscheinlich wird diese Bereitschaft nicht bestehen, denn darin sind sich viele Parlamentarier einig: Einen Ausstieg ohne Vereinbarung wollen sie nicht. Und wenn das so gekommen ist, dann wird es am dritten Tag eine Entscheidung über eine Erweiterung der Frist geben – und die wird dann wahrscheinlich eine Mehrheit finden.
"Vielleicht braucht es noch ein paar Wochen mehr Druck"
Münchenberg: Aber viele, Herr Janning, stellen sich ja auch in der EU schon die Frage, was bringt denn überhaupt eine zeitliche Verschiebung, wenn man sich jetzt so verhakt hat und wenn eben auch gar nicht absehbar ist, dass auch die britische Seite letztlich zu Konzessionen bereit ist.
Janning: Ja, wenn Sie auf meinen früheren Punkt zurückgehen, wenn es tatsächlich für Großbritannien darum geht, sich zwischen zwei Übeln das kleinere auszusuchen, dann kann natürlich eine gewisse Verlängerung um einige Wochen durchaus noch einen Erkenntnisgewinn bringen. Ob das sehr wahrscheinlich ist, ist eine andere Frage. Aber Sie sehen ja, wie die Regierung, die keine klare Mehrheit hat, das Parlament, das zwar mehrheitlich nicht unbedingt für den Brexit ist, aber kein Mittel sieht, sich gegen das Votum des Referendum zu stellen, wie sie im Grunde schlingern in dieser Position. Gäbe es klare Entscheidungen in London, wäre das alles gar kein Thema. Und vielleicht braucht es einfach noch ein paar Wochen mehr Druck, ein paar Wochen mehr Einsicht, um am Ende dazu zu führen, zu sagen, wir wählen unter den verfügbaren Übeln das für uns geringste.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.