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Brexit behindert den Handel
Die Wut der britischen Fischer

Mehr als die Hälfte des Fangs britischer Fischer wurde bisher in die EU exportiert. Nach dem Brexit gelangt die Ware nicht mehr zeitnah über den Ärmelkanal und verdirbt. Keine zwei Wochen nach dem EU-Austritt Großbritanniens werden dessen negativen Auswirkungen auf den Handel bereits deutlich spürbar.

Von Burkhard Birke | 21.01.2021
Kunden genießen ein traditionelles Fish and Chips-Gericht.
Kunden genießen ein traditionelles britisches Fish and Chips-Gericht. (dpa / picture alliance / Artur Widak)
"Ich bin geschockt und wütend. Mein Blut gerät in Wallung. Das Fischerboot unserer Familie liegt vor Anker, wegen des zusätzlichen Papierkrams, der Bürokratie können wir unsere Fische nicht auf den EU-Markt bringen. Es ist eine Schande."
Wut und Enttäuschung sitzen tief bei den britischen Fischern. Mehr als 92 Prozent von ihnen hatten für den Brexit gestimmt. Jetzt mussten Hummer und Fisch kiloweise weggekippt werden oder verfaulen. Viele lassen ihre Boote im Hafen, vor allem auf den Shetlandinseln laufen die Fischer erst gar nicht aus. Mehr als die Hälfte des britischen Fangs wurde bisher in die EU exportiert. Jetzt gelangt die Ware nicht mehr zeitnah über den Ärmelkanal.

Die britischen Fischer werfen Boris Johnson Betrug vor

"Brexit-Blutbad" schrieben die besonders Enttäuschten in großen Lettern auf ihre Lieferwagen, mit denen sie aus Protest vor Premierminister Johnsons Amtssitz in der Downing Street fuhren.
Eine vertane Chance, sei der Post-Brexit-Deal für die Fischer, sagt Elspeth McDonald, Geschäftsführerin des schottischen Fischereiverbandes. Erst im Laufe der nächsten fünfeinhalb Jahre würde der Fanganteil britischer Fischer in britischen Gewässern sukzessive von gut 40 auf 65 Prozent steigen und erst dann könne nachverhandelt werden.
Das Fischerdorf Mallaig in den schottischen West-Highlands
Brexit-Abkommen - Verhandlungsmasse Fisch
Die Fischereirechte sind wirtschaftlich zwar unbedeutend, allerdings haben sie einen hohen emotionalen Wert – und die EU und Großbritannien fahren eine harte Linie.
Das Hauptproblem jetzt ist die Bürokratie. Vor allem kleinere Lieferanten leiden. Elspeth McDonald: "Mehrere kleinere Lieferungen werden zu einer LKW-Ladung gebündelt. Für jeden Teil der Ladung müssen jetzt die entsprechenden Formulare ausgefüllt werden: Die neue Zollerklärung, das Gesundheitszertifikat, die Fangbescheinigung, etc. An der Verladestelle bei Glasgow muss alles überprüft werden, damit der LKW an der Grenze keine Probleme bekommt und die Papiere in Ordnung sind."

Bürokratisches Wirrwarr verursacht Rückstau

Zölle sind zwar nicht zu zahlen, aber die Zoll- und Gesundheitserklärungen müssen trotzdem abgegeben werden. Das hat in den ersten Tagen zu enormen Verzögerungen und Verlusten geführt, zumal auch die Zöllner in EU-Ländern strikt sind. Jeder fünfte LKW wurde angeblich an der Grenze abgewiesen. Einigen LKW-Fahrern wurden sogar schon ihre Schinkenbrote weggenommen, weil keine Lebensmittel einfach so importiert werden dürfen.
Das ist zweifelsohne ein Problem der Bürokratie, sagt Simon Collins, Geschäftsführer des Fischereiverbandes auf den Shetlandinseln, wo so viel Fisch angelandet wird wie in England, Nordirland und Wales zusammen: "Die Pandemie ist auch ein Problem, aber in dem bürokratischen Wirrwarr, braucht es nur an einer Stelle zu haken, um einen riesigen Rückstau zu verursachen. Wir müssen noch unzählige Fragen klären, aber wir werden das schaffen. Momentan ist es sehr kompliziert für Käufer, Verkäufer und die Fischer."
Boris Johnson im Gespräch mit Ursula von der Leyen.
Historiker: "Kein guter Tag für die britische Demokratie"
Der Historiker Kiran Klaus Patel hält es für unwahrscheinlich, dass Großbritannien durch eine stärkere Abkopplung von der EU weltpolitisch mehr Einfluss nehmen kann.
Natürlich ist infolge der Pandemie und geschlossener Restaurants die Nachfrage gesunken; das Hauptproblem bleibt jedoch die Bürokratie.
"Die Regierung kümmert sich um die Probleme und will sie so schnell wie möglich lösen, aber das Wichtigste ist doch, dass wir unseren Fisch zurückhaben und der Fisch jetzt britisch und deswegen glücklicher ist", solche Sprüche von Kabinettsmitglied Jacob Rees-Mogg im Unterhaus diese Woche muten zynisch an. Da die Probleme doch nicht so schnell verschwinden, sah sich der Premierminister zum Handeln gezwungen.
Boris Johnson: "Wenn Firmen ohne eigenes Verschulden durch bürokratische Hemmnisse ihre Ware nicht zu einem echten Käufer auf die andere Seite des Ärmelkanals bekommen, wollen wir mit Mitteln aus einem 23 Millionen Fonds helfen."
Wenn das Geld dann nicht genauso bürokratisch verteilt wird? Die Hilfe sei natürlich willkommen, meint die Geschäftsführerin des schottischen Fischereiverbandes, aber, so Elspeth McDonald: "Wir warten auf die Details, wie diese Hilfe verteilt werden soll, aber wir haben der Regierung ganz klargemacht, dass sie ganz eng mit der Branche zusammenarbeiten muss, um die Probleme binnen weniger Tage und nicht erst in einigen Wochen zu beheben."