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Brexit-Debatte im britischen Unterhaus
Großbritannien unter Zeitdruck

Kürzlich hatte das höchste britische Gericht angeordnet, dass die Regierung die Zustimmung des Parlaments einholen muss, bevor sie den Austritt des Landes aus der Europäischen Union erklärt. Nun hat das Unterhaus die Debatte darüber aufgenommen. Doch wer glaubt, das Parlament werde den Brexit verhindern, sieht sich getäuscht.

Von Friedbert Meurer | 01.02.2017
    Nationalflagge von Großbritannien
    Nationalflagge von Großbritannien (picture-alliance / dpa / Daniel Kalker)
    "Kein Staatsbesuch für Donald Trump", skandierten Tausende von Demonstranten vor dem Eingang zum Regierungssitz am Vorabend der Brexit-Debatte. Sie füllten ganz Whitehall, wie hier die Straße heißt, nach der das gesamte Regierungsviertel benannt ist.
    "Let them in", "Lasst sie rein" - das war eine Aufforderung an US-Präsident Donald Trump, die Einreisesperren aufzuheben. Aber im Prinzip richteten sich die Proteste nicht nur gegen Trump, sondern gegen Theresa May.
    "Theresa May muss für unsere Werte einstehen, die Werte des britischen Volkes."
    Tags darauf ist die Premierministerin zwar im Parlament, aber sie ergriff nicht das Wort, als gestern gegen Viertel vor eins am Mittag der Speaker des Hauses eine Debatte ankündigte, die viele als historisch bezeichnen. Das Gesetz zum Antrag auf den Ausstieg aus der EU stand an, zweite Lesung, die erste fand vor ein paar Tagen ohne Debatte statt. Die Bühne gehörte sehr schnell Kenneth Clarke. Das Tory-Urgestein wird wohl als einziger konservativer Abgeordneter gegen das EU-Ausstiegsgesetz stimmen.
    Zu groß ist die Angst, vom Wahlvolk abgestraft zu werden
    "Ich vertrete lediglich die Position, die die konservative Partei 50 Jahre lang vertreten hat. Ich bewundere meine Kollegen, wie sie alle enthusiastische Brexiteers geworden sind. Sie haben wohl ihr Damaskus-Erlebnis gehabt. Es tut mir leid, aber die Erleuchtung ist bei mir ausgeblieben."
    Clarke spielte darauf an, dass bis zum 23. Juni 2016 die Hälfte der konservativen Fraktion im Unterhaus noch für den Verbleib in der EU war. Jetzt drehen die Remainer bei und fügen sich dem, was Brexit-Minister David Davis ihnen immer wieder einhämmerte. Die Entscheidung habe das Volk getroffen.
    "Es geht nicht darum, ob oder wie wir die EU verlassen. Die Entscheidung ist schon gefallen, die Zeit zur Umkehr ist schon abgelaufen."
    Labour will auf jeden Fall dem Gesetz zustimmen, das hatte Parteichef Jeremy Corbyn schon vor der Debatte angekündigt. Zu groß ist die Angst, vom Wahlvolk abgestraft zu werden. Damit steht die Mehrheit für das Gesetz. Dabei waren keine zehn aus der Labour-Fraktion vor dem Referendum für den Brexit, unter ihnen Kate Hoey.
    "Wir werden, wenn nicht unverhohlen, so doch indirekt als Rassisten bezeichnet. Das ist so lächerlich und so haarsträubend. 17 Millionen, die für den Brexit stimmten, werden so behandelt."
    Debattentag der alten politischen Schlachtrösser
    Der Brexit hat Wunden geschlagen, auf beiden Seiten. Immer wieder gab es deswegen Bekundungen, man respektiere die Meinung des anderen. Keir Starmer von Labour forderte die Brexiteers auf, die unterlegene Seite nicht fortlaufend zu verhöhnen. Die Daily Mail bezeichnet die Remainer nur noch als "remoaner", ein Wortspiel mit "to moan", zu deutsch "maulen und wehklagen". Es war der Debattentag der alten politischen Schlachtrösser, die nach 25 Jahren innerparteilichen Zanks jetzt zurückschauen.
    "Für mich war das Referendum eine große friedliche Revolution historischen Ausmaßes", bekannte der Urvater der Brexit-Befürworter, Bill Cash. "Das Volk ist es, dass das Parlament wieder großartig werden lässt", jubelte John Redwood, auch ein Konservativer, noch pathetischer.
    Bis Punkt Mitternacht dauerte der erste Tag der großen Brexit-Debatte. Dann war es genug und der Speaker John Bercow ließ abstimmen, um sich zu vertagen. Dieser Antrag fand eine klare einstimmige Mehrheit.