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Brexit
"Die Masse an Zöllnern haben die Briten gar nicht"

Im Falle eines harten Brexits drohen Grenzkontrollen und damit auch zusätzliche Zollanmeldungen. Firmen müssten sich überlegen, ob sie zukünftig ihre Waren überhaupt noch nach Großbritannien exportieren dürfen, sagte Zolldienstleister Thorsten Porath im Dlf. Ein Stopp des Warenverkehrs auf die Insel fürchte er aber nicht.

Thorsten Porath im Gespräch mit Mario Dobovisek | 22.01.2019
    London und Brüssel rüsten sich für den harten Brexit. Um am Ärmelkanal ein totales Chaos zu verhindern, hat London für eine Großübung Dutzende Lastwagen aufgefahren.
    London und Brüssel rüsten sich für den harten Brexit. Um am Ärmelkanal ein totales Chaos zu verhindern, hat London für eine Großübung Dutzende Lastwagen aufgefahren. (dpa/PA Wire/Steve Parsons)
    Mario Dobovisek: Viel Neues gab es gestern nicht von Großbritanniens Premierministerin Theresa May. Für den Brexit will sie weiter verhandeln und weiter geht es um die Grenze zwischen Irland und Nordirland. Viel Zeit bleibt ihr nicht mehr. Ende März soll er wirksam werden, der Brexit. Da fürchtet vor allem die Wirtschaft weiter einen harten Brexit, ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ohne jeden Vertrag. Großbritannien würde für den Handel zum Drittstaat werden.
    Die Deutsche Industrie- und Handelskammer rechnet allein für deutsche Unternehmen mit über zehn Millionen zusätzlichen Zollanmeldungen im Jahr. Darüber will ich sprechen mit Thorsten Porath. Er ist Zolldienstleister, leitet eine Agentur mit über 100 Mitarbeitern an mehreren Standorten, berät Firmen unter anderem in Zollfragen, nimmt ihnen gegen Honorar auch Formalitäten ab. Guten Tag, Herr Porath!
    Thorsten Porath: Ja, schönen guten Morgen.
    Dobovisek: Wir reden oft recht abstrakt über die Folgen eines möglichen harten Brexits. Was würde das konkret für ein Unternehmen bedeuten, das noch keine Erfahrung mit Zöllen außerhalb der EU hat? Was kommt da alles auf die Unternehmen zu?
    Porath: Ja, das ist eine ganze Menge. Im Binnenmarkt können Sie jetzt Waren frei handeln, ohne sich um Ausfuhrformalitäten oder Genehmigungen kümmern zu müssen. Das wird sich grundsätzlich ändern.
    Um das am Beispiel eines Exports durchzugehen, müssen Sie sich vor der Ausfuhr entsprechend erst mal darum kümmern, ob Sie zukünftig Ihre Waren überhaupt noch nach Großbritannien exportieren dürfen. Das ist, denke ich, unproblematisch, wobei Sie bedenken müssen, es werden dann mit dem Brexit auch alle jetzigen Genehmigungen und Registrierungen wie zum Beispiel die CE-Kennzeichnung oder Produkte, die unter REACH fallen - das ist eine internationale Chemikalienverordnung -, die werden alle ungültig.
    Darum müssen Sie sich vorher kümmern, diese Registrierung, wenn Sie die in UK haben, entsprechend zum Beispiel in Deutschland nachzuholen. Und dann müssen Zollformalitäten erledigt werden. Es müssen auch in der Buchhaltung Prozesse umgestellt werden, denn jetzt haben Sie eine innergemeinschaftliche Lieferung, wenn Sie nach Großbritannien liefern, und da gibt es natürlich entsprechende Nachweispflichten. Das ist in Deutschland relativ einfach geregelt mit der sogenannten Gelangensbestätigung, die auch elektronisch eingeholt werden kann.
    Zukünftig haben Sie eine steuerfreie Ausfuhr, die durch diese Zollformalitäten nachgewiesen werden müssen. Das heißt, Sie eröffnen eine Ausfuhr und die muss auch wieder beendet werden.
    Thorsten Porath, Geschäftsführer der Porath Customs Agents GmbH.
    Thorsten Porath, Geschäftsführer der Porath Customs Agents GmbH (Porath Customs Agents GmbH)
    "Wir haben noch 66 Tage - das wird schon sehr sportlich"
    Dobovisek: Da geht es, Herr Porath, wenn ich das richtig verstehe, in allererster Linie erst mal um Wissen – Wissen, das viele Unternehmen einfach an diesem Zeitpunkt noch nicht haben -, aber dann auch um Aufwand, um tatsächlichen Verwaltungsaufwand.
    Porath: Richtig.
    Dobovisek: Ist das alles etwas, was man so in ein paar Minuten vielleicht am Computer machen kann, mit Online-Formularen etc.?
    Porath: Wenn Sie sich damit auskennen, dann ist das natürlich je nachdem, was Sie für Ware exportieren, innerhalb von ein paar Minuten möglich mit Hilfe von IT. Wenn Sie noch kein Wissen haben - wir haben jetzt, glaube ich, noch 66 Tage bis zu einem eventuellen harten Brexit -, dann wird das schon sehr sportlich.
    Das ist, denke ich, das ganze Problem auch dahinter, dass viele Unternehmen, die jetzt noch nichts mit Zoll zu tun hatten, den Aufwand dahinter definitiv unterschätzen und auch alles, was damit zusammenhängt.
    Dobovisek: Was bedeutet das? Was könnte das für eine Konsequenz bringen, sollte es tatsächlich zu einem harten Brexit kommen?
    Porath: Jetzt ist natürlich die Frage, was passiert auch an der Grenze. Der überwiegende Warenverkehr mit Großbritannien geht ja auch durch den Eurotunnel und viele Unternehmen machen sich ja auch Sorgen, dass dann am 30. März die Briten Dover dichtmachen und alle LKW kontrollieren wollen. Ich gehe davon aus, dass das nicht der Fall sein wird, denn die Masse an Zöllnern haben die Briten momentan gar nicht.
    Um sich für den Ernstfall zu rüsten, hat das Verkehrsministerium in London am Montag (07.01.2019) eine großangelegte Übung gestartet. Sie ließ 89 Lastwagen auf dem stillgelegten Flughafen von Manston knapp 32 Kilometer vom Hafen von Dover auffahren. Das Gelände könnte genutzt werden, um im Falle eines ungeordneten EU-Austritts Großbritanniens Staus nahe Dover zu verhindern, teilte das Verkehrsministerium in London mit.
    Kommt es aber zum harten Brexit drohen wegen Grenzkontrollen Staus von 27 Kilometern im Hafen von Dover. (dpa/PA Wire/Gareth Fuller)
    "Firmen könnten dann erst einmal nicht nach Großbritannien exportieren"
    Dobovisek: Das heißt, um da einzuhaken, Herr Porath, es geht nicht nur um die Unternehmen, die Ihrer Meinung nach nicht gut darauf vorbereitet sind und die das Problem unterschätzen, sondern auch um die Behörden?
    Porath: Die Behörden können sich natürlich genauso wenig darauf vorbereiten wie die Wirtschaft auch. Ich lese auch nur Zahlen, Deutschland hat angeblich 900 neue Zöllner eingestellt in Vorbereitung auf einen No Deal, die niederländische Zollverwaltung 700.
    Ich bin jetzt nicht im Bilde, ob die auch tatsächlich so viele Zöllner eingestellt haben. Auf Seiten der Briten sieht das ähnlich aus, nur in einer wesentlich größeren Zahl. Dort spricht man von mehreren tausend Zollbeamten, die notwendig sein werden, um diese Masse an LKW abfertigen zu können.
    Dobovisek: Wer gibt Unternehmen, abgesehen von kommerziellen Dienstleistern wie Ihnen, dabei Hilfestellung?
    Porath: Das ist die klassische Frage, make or buy. Ich kann das natürlich auslagern, die Zollformalitäten abzuwickeln. Dabei ist natürlich zu bedenken, dass alle Dienstleister und auch Logistikunternehmen die Exporteure dabei unterstützen, natürlich auch nur begrenzte Kapazitäten haben, denn irgendjemand muss sich natürlich an den Rechner setzen und diese Daten auch alle erfassen. Ansonsten gibt es natürlich die Möglichkeit, Mitarbeiter auch auszubilden. Ob das in der Kürze der Zeit noch möglich ist, ist schlecht zu sagen.
    Es kommt auf die Komplexität des Geschäfts auch an. Beispielsweise ein Grundlagenseminar wird nicht weiterhelfen, weil dann der Mitarbeiter immer noch nicht weiß, wie er es denn überhaupt in der Praxis umsetzen muss und diese Daten dann in die Zoll-Software eingeben kann. Es wird wahrscheinlich dann darauf hinauslaufen, dass Firmen, die sich jetzt nicht darum gekümmert haben und sich auch nach wie vor nicht darum kümmern, dann erst mal nicht exportieren können nach Großbritannien.
    Dobovisek: Dann steht vieles still, sagt Thorsten Porath. Er ist mit seiner Agentur Zolldienstleister in Hamburg. Ich danke Ihnen für diese Eindrücke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.