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Brexit-Folgen
Fish and Chips in Mecklenburg-Vorpommern

Wenn Großbritannien Ende März der EU den Rücken kehrt, kann es eng werden für die Nordseefischer. Die Briten könnten ihre Hoheitsgewässer für die Boote der Europäer dichtmachen. Ein Landesminister in Mecklenburg-Vorpommern hat London im Verhandlungspoker jetzt vor einem "Herings-Krieg" gewarnt - obwohl Mecklenburg-Vorpommern an der Ostsee liegt.

Von Silke Hasselmann | 16.08.2018
    Ein kleiner Hering liegt an Bord eines Krabbenkutters
    Ist dieser Hering Europäer oder Brite? Der Brexit könnte Nordsee-Fischer vor komplizierte Fragen stellen, sollte Großbritannien seine Hoheitsgewässer dichtmachen. (picture alliance / dpa / Ingo Wagner)
    Mecklenburg-Vorpommern ist ein Meeresanrainer; alles in allem verfügt es über ca. 2.000 Kilometer Küste. Allerdings an der Ostsee. Mit der Nordsee, die Großbritannien umspült, gibt es keine direkte Berührung. Also klingt zunächst verwunderlich, welche Bereiche der Schweriner Agrar- und Fischereiminister Till Backhaus zu den besonders Brexit-gefährdeten zählt:
    "Mecklenburg-Vorpommern ist natürlich als Agrarstandort mit Produkten in Großbritannien vertreten, die Hafenwirtschaft - ganz klar. Und dann kommt die Fischerei, und die ist massiv betroffen."
    Um Letzteres zu verstehen, empfiehlt sich ein Blick auf die "Euro-Baltic Fischverarbeitungs GmbH" im vorpommerschen Sassnitz. Seit 2003 Teil eines großen deutsch-niederländischen Fischverarbeiters, ist das Werk in direkter Nachbarschaft zum Hafen Mukran auf der Insel Rügen gelegen. Hier landet vor allem frischgefangener Hering an.
    Erste Station: die Fließbänder der Sortierabteilung, wo die mit Handschuhen, Schürze und Haarnetz bekleideten Kollegen vor allem auf die Rückenstärke der Fische achten, wie der Abteilungsleiter erklärt.
    "Und so sortieren wir das nachher nach Größe, weil: Verschiedene Heringsprodukte erfordern natürlich auch verschiedene Größen."
    Die meisten Heringe kommen aus der Nordsee
    Rund 200 Kollegen sind damit beschäftigt, pro Jahr bis zu 50.000 Tonnen Hering zu filetieren und zu marinieren. Einer von zehn Heringen stammt aus der Ostsee, gefangen und geliefert von den Küstenfischern Mecklenburg-Vorpommerns. Die übrigen 90 Prozent der Heringe kommen aus der Nordsee, und zwar ganz überwiegend aus den Gewässern vor der britischen Küste.
    Genau das erklärt Uwe Richters Sorge vor einem harten Brexit. Denn, so der Sassnitzer Geschäftsführer:
    "Wir haben ja eine eigene Hochseefischerei-Flotte, die den Hering auch befischt und andere Arten in der britischen Zone. Wir haben jetzt mal grob kalkuliert: Wenn wir wirklich nicht mehr in die britische Zone hineinfahren könnten, würde sich ein möglicher Verlust von circa 100 Millionen Euro im Jahr abzeichnen."
    Hinzu kommt, dass der EU-Ministerrat im Oktober über eine Einschränkung, vielleicht sogar über ein Verbot der Heringsfischerei entscheiden wird, um die Bestände in Ost- und Nordsee zu schützen. Dieser Tage hatte Uwe Richter den Schweriner Agrar- und Fischereiminister zu Besuch im Sassnitzer Fischverarbeitungswerk, das auch mithilfe von 50 Millionen Euro EU-Fördermitteln zu einem der modernsten Betriebe Europas ausgebaut worden war. Der Geschäftsführer erklärte dem Landespolitiker, dass nicht nur Euro-Baltic unter Brexit plus Fangquote leiden würde:
    "Denn durch den Brexit und mit allen möglichen Produktionseinschränkungen wäre natürlich auch die Küstenfischerei hier betroffen. Und darum geht es uns, dass die Politik erkennt, wie wichtig es ist, der Fischerei in den Brexit-Verhandlungen eine gewisse Wertigkeit zu geben, um nicht in den Verhandlungen nachher irgendwelchen Sachen geopfert zu werden."
    82 Prozent der Erträge aus britischen Hoheitsgewässern
    Das sei exakt seine Position, sagt Minister Till Backhaus (SPD) und holt zu einer längeren Erklärung aus. Der EU-Ministerrat lege jährlich aufs Neue fest, ob es für bestimmte Fischarten eine maximale Fangquote gibt und, wenn ja, wie viele Tonnen die Fischer und Angler aller EU-Mitgliedsstaaten insgesamt aus Ost- und Nordsee holen dürfen. Jedes Mitgliedsland dürfe einen Teil dieser Fangquote abfischen, wobei die Hoheitsgewässer von EU-Küstenstaaten auch allen anderen EU-Mitgliedern offenstehen.
    "Diese Quoten sind in Europa auf die Fischerei-Unternehmen verteilt, und dazu gehört eben heute auch die Mecklenburgische Hochseefischerei, die eine Quote hat. Und wir können damit in den britischen Hoheitsgewässern Nordseehering in einer Größenordnung von 53.000 Tonnen fangen, und damit werden im übrigen 82 Prozent an Erträgen der deutschen Hochseefischerei aus den britischen Hoheitsgewässern erzielt. Wenn uns Großbritannien wirklich den harten Schnitt macht und europäische Mitgliedsstaaten nicht mehr in ihr Hoheitsgebiet hineinlassen, dann würden diese 53.000 Tonnen und damit die 40.000 Tonnen, die direkt in Sassnitz/Mukran angelandet werden - die stünden uns nicht mehr zur Verfügung."
    Ein ganzer Fischerei-Standort könnte in Frage stehen
    Das brächte die in den letzten 25 Jahren schon deutlich geschrumpfte Fischerei in Mecklenburg-Vorpommern in weitere Existenzgefahr. Denn wenn dem Fischverarbeitungswerk derart viel Nordseehering wegbleiben würde, stünde womöglich der Standort Sassnitz in Frage. Das Werk aber ist den örtlichen Küstenfischern der Hauptabnehmer für deren Ostseehering, weiß auch Agrarminister Backhaus.
    "Daran hängen sowohl die 250 Haupterwerbsfischer. Dann das Unternehmen der Fischverarbeitung. Das sind auch über 200 Arbeitsplätze. Und dann kommen noch die Schiffe, wo insgesamt gut 200 Seeleute auch gut bezahlte Jobs haben. Insofern wäre das für Mecklenburg-Vorpommern wirklich - ich will nicht sagen 'eine Katastrophe', aber ein ganz herber Schlag."
    Was nun die Brexit-Verhandlungen mit London betrifft, so drängten Mecklenburg-Vorpommern und die anderen deutschen Küstenländer erfolgreich in Berlin und Brüssel darauf, dass die Belange der Fischerei gleichranging mit "Handel" und "Wirtschaft" behandelt werden. Übrigens: Mit einer möglichen Drohung, die deutschen Hoheitsgewässer vor Mecklenburg-Vorpommern für britische Fischer zu schließen, wäre nichts gewonnen. Vor der heimischen Ostseeküste sei noch nie ein britischer Fischtrawler aufgetaucht, sagt der Schweriner Minister. Doch dann: ein Blitzen in seinen Augen.
    "Die Heringe, die in britischen Gewässern gefangen werden, die haben ihre Heimat auch in Deutschland, denn dort sind sie geboren. Man könnte auch auf andere Ideen kommen und sagen: Dann fangen wir eben diese Fische vor der deutschen Nordseeküste ab, und sie kommen dann nicht mehr ins britische Gewässer. Das wäre ja ein Herings-Krieg, sage ich mal, und das wollen wir ja nicht."