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Brexit-Folgen für Deutschland
Am schwersten wiegt die Unsicherheit

Ein Austritt Großbritanniens aus der EU wäre für Deutschland wohl mit einem Wachstumsverlust verbunden. Profitieren könnte vielleicht der Bankenplatz Frankfurt am Main, wo allerdings die Mieten dann noch mehr steigen dürften. Was aber derzeit am meisten belastet, ist die Unsicherheit, was bei einem Brexit tatsächlich passiert.

Von Michael Braun | 16.06.2016
    Im ersten Licht des Tages spiegeln sich am 26.08.2015 die Lichter der Skyline von Frankfurt am Main (Hessen) zur morgentlichen blauen Stunde im Fluss.
    Frankfurt könnte von einem Brexit profitieren. (Christoph Schmidt, dpa picture-alliance)
    Nehmen wir den Maschinenbau: Für 7,2 Milliarden Euro hat er voriges Jahr Waren nach England exportiert und für immerhin 2,4 Milliarden Euro Maschinen von dort bezogen. Ein Brexit wäre für die Branche vielleicht keine Katastrophe, aber doch ein spürbarer Nachteil: "Großbritannien ist ja das Mutterland des Maschinenbaus und ist auch heute noch einer der Kernmärkte auch für unsere Industrie, für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau. Sie liegen im Ranking der Exportmärkte auf Platz sechs, haben also eine bedeutende Rolle. Und sie haben diese Rolle in den letzten Jahren auch ausbauen können. Wirt hatten schöne Zuwächse in UK", sagt Ralph Wiechers, der Chefvolkswirt des Maschinenbauverbandes VDMA.
    Auch für die deutsche Chemieindustrie steht Großbritannien auf Rang sechs der Handelspartner. Die Chemieindustrie beziffert ihr Handelsvolumen mit Großbritannien auf 18,5 Milliarden Euro. Und auch die hiesige Autoindustrie würde nur ungern einen Markt aus der EU verschwinden sehen, der ihr voriges Jahr mehr als 800.000 PKW abgenommen hat – mehr als ein Drittel aller Autoexporte in die EU. Clemens Fuest, der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, hat die ökonomischen Folgen eines Brexit für Deutschland heute so beziffert:
    "Für Deutschland erwarten wir, dass es schlimmstenfalls zu einem langfristigen Wachstumsverlust von bis zu drei Prozent kommt. Das sind dann Wirkungen, die haben zu tun nicht nur mit dem abnehmenden Handel, sondern mit abnehmendem Wettbewerb. Der bedeutet abnehmende Innovationen, abnehmende grenzüberschreitende Investitionen."
    Die Zinsen bleibt erst einmal niedrig
    Deutschland habe sehr wenig zu gewinnen und sehr viel zu verlieren, sagte Fuest. Zu den Gewinnern könnte der Finanzplatz Frankfurt gehören. Denn die ausländischen Banken in London würden nach einem Brexit womöglich, so sagte es ein Beobachter, ihren "Passport" verlieren, die Lizenz also, um Bankgeschäfte in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu betreiben". Schätzungen sagen, 70.000 von 700.000 Londoner Bankern müssten dann umziehen, nach Paris, Dublin, Luxemburg, Amsterdam und eben Frankfurt. Das triebe die Mieten für Büros und – wegen des gehobenen Gehaltsniveaus – auch die Mieten und Immobilienpreise am Main.
    Erst einmal hätte der Finanzplatz aber mit ureigenen und naheliegenden Sorgen zu tun: "Das ist die Unsicherheit", sagt Rudolf Beesch von der Deka Bank. "Wir hatten ja schon im vergangenen Spätsommer, Frühherbst Finanzmarktturbulenzen gehabt auf globaler Ebene, Anfang dieses Jahres erneut. Und von diesen Finanzmarktturbulenzen davon gehen für sie einfach Risiken für die wirtschaftlichen Entwicklungen aus."
    Weil sie nicht weiß, was aus den Devisen-, Aktien- und Anleihekurse wird und wie das alles auf Konjunktur und Unternehmen durchschlägt, hat die amerikanische Notenbank gestern den Zins erst einmal nicht erhöht. Auch die EZB hat angekündigt, die Zinsen blieben erst einmal niedrig. Das aber fürchten Banken und Versicherungen derzeit wie nichts anderes. Ein Bankvolkswirt sagte über die niedrigen Zinsen: "Die killen uns." Ohne Brexit wäre die Unsicherheit ein wenig kleiner.