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Brexit-Folgen für die Wissenschaft
Unsichere Zukunft für Erasmus

Großbritannien gehört nicht mehr zu EU. Damit ist auch die Zukunft des EU-Förderprogramms Erasmus für europäische Studenten in Großbritannien unsicher. Sollte Erasmus zum Ende 2020 auslaufen, hätte dies Folgen für viele junge Wissenschaftler - und die internationale Forschung an britischen Universitäten.

Von Moritz Börner | 31.01.2020
Eine Reihe von britischen Nationalflaggen hängt entlang der Straße The Mall, die zum Buckingham Palace in London führt.
Für den Wissenschaftsstandort Großbritannien bedeutet der Brexit vielleicht einen großen Verlust (picture alliance / Kristy O'Connor)
Kollegin: "Gianna, wie lief es mit deiner Veröffentlichung?"
Gianna: "Ich habe zwei Papers, die ich an wissenschaftliche Journale schicke, eins davon nächste Woche, da bin ich echt mal gespannt, und dann ein anderes hoffentlich im Februar und März."
Kollegin: "Genau, da gab es noch eins, dass du abschicken wolltest."
Gianna: "Genau. Ich denke, da werde ich im Februar nochmal drüber schauen und hoffentlich kann man es einreichen."
Gesellschaftliches Klima hat sich gewandelt
Ein Meeting im Soziologischen Institut der University of Kent. Die Hamburgerin Gianna Maria Eick trifft sich nach der Mittagspause mit ihren Doktormüttern Trude Sundberg und Heejung Chung. Es geht um Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Journalen. Die 30-jährige Deutsche forscht im Rahmen ihres Doktorstudiums seit drei Jahren unter anderem zum Thema Fake News an der Universität in der ostenglischen Kleinstadt Canterbury. An die Hochschule kam sie während des Studiums durch ein Erasmus-Stipendium, sie konnte sich durch gute Leistungen auszeichnen und bekam später für den Doktor ein Stipendium der University of Kent. England ist eigentlich ihre Wahlheimat, hier wollte sie bleiben, doch dann kam der Brexit, und mit ihm hat sich das gesellschaftliche Klima gewandelt, findet Gianna Maria Eick.
"Das politische Klima kann ziemlich bedrückend sein. Wenn man jeden Tag hört, was für Lügen so erzählt werden über EU-Bürger zum Beispiel, es wird ja auch gesagt, dass wir Briten die Jobs wegnehmen oder dass wir eine Last sind und das Sozialsystem ausnutzen würden. Und ich möchte einfach nicht gerne in einem Land leben, dass sich in diese Richtung entwickelt. Jetzt gerade bei den letzten Wahlen hat man auch wieder gesehen, dass so viel gelogen wurde. Im Großen und Ganzen akzeptiere ich, dass das Land für den Brexit gestimmt hat oder jetzt auch für die Konservativen, aber das Problem sind die Umstände, unter denen das passiert, jetzt wieder wurden so viele Lügen erzählt während der Wahlen. Forschung hat sogar herausgefunden, dass 88 Prozent der Ads oder Campainingposter die Menschen in die Irre geführt haben, von den Konservativen, also pure Lügen."
Erasmus könnte Ende 2020 auslaufen
Der Kurs der britischen Regierung gegen alles, was zu Europa gehört, könnte auch die Forschung an den Universitäten direkt betreffen. Das britische Parlament hat Anfang Januar einen Antrag abgelehnt, der die Regierung dazu verpflichtet hätte, das Stipendienprogramm Erasmus abzulehnen. Gut möglich, dass das Programm zum Ende des Jahres in Großbritannien ausläuft. Für Gianna Maria Eick und ihre Kolleginnen eine nicht nachvollziehbare Entscheidung. Trude Sundberg, ebenfalls Soziologin, befürchtet, dass britische Universitäten dadurch in der Forschung international abgehängt werden.
Die Fahnen Großbritanniens und der EU nebeneinander im Vordergrund, im Hintergrund ein laufender Mensch auf der Straße
Wissenschaft: Die Folgen des Brexit für die Forschung
Auswirken wird sich der Brexit auf Wissenschaft und Universitäten – ob am Ende "hart" oder "weich" – in jedem Fall. Und vielleicht sogar positiver als von vielen orakelt.
"Ich denke, für uns als Wissenschaftler wird es bedeuten, dass wir keinen Austausch mehr haben werden mit europäischen Einrichtungen und das ist ein riesiges Problem. Und es wird negative Konsequenzen darauf haben, zu welchen Informationen wir Zugang haben. Ich bin nicht die Einzige, die sich darum sorgt. Was den Unterricht anbelangt, finde ich es sehr spannend, Leute aus dem Erasmus Programm in meinen Kursen zu haben, die sind ein großer Gewinn für meine Klassen, und ich denke auch, dass die britischen Studenten, die an Erasmus teilnehmen, sehr stark davon profitieren."
Im Ausland studieren könnte schwieriger werden
An der University of Kent sind die Studenten im Schnitt wenig älter als zwanzig Jahre. Nadine zum Beispiel, die eine deutsche Mutter hat und Jura studiert, ist zwanzig. Sie findet besonders schade, dass es durch das mögliche Ende von Erasmus schwieriger werden könnte, ein Auslandssemester zu machen und andere Länder kennenzulernen.
"Ich finde es auch sehr schade, viele Jugendliche reisen ja auch gerne und das ist ja auch so die Zeit, wo Menschen etwas mehr offen sind, um zwischen mehrere Länder zu reisen. Und das ist ja schade halt, meiner Meinung nach sollte es eigentlich nicht passieren."
Suche nach Jobs in der EU
Europäische Studenten, die in Großbritannien studieren wollen, müssten in Zukunft Tausende von Euro in die Hand nehmen, sollte Erasmus auslaufen. Ein Jahr Studium an der University of Kent beispielsweise würde 11.000 Euro kosten. Gianna Maria Eick hätte sich das ohne Erasmus Studium niemals leisten können:
"Persönlich ist das total enttäuschend für mich, weil ich komme in Deutschland aus nicht privilegierten Verhältnissen oder ich bin Arbeiterkind. Ich bin die erste Generation, die jetzt auch einen Universitätsabschluss gemacht hat, das heißt, ohne Erasmus hätte ich mir das nie leisten können, hier zu studieren, weil die Studiengebühren so teuer sind. Und ich glaube, so geht es auch vielen anderen also so generell. Da sehe ich schwarz, wenn so ein Programm abgeschafft wird, weil die anderen internationalen Studierenden, die hierher kommen, sehr viele Studiengebühren zahlen müssen, also sehr viel mehr als die Engländer selbst."
Die Hamburgerin hat, weil sie erst seit gut drei Jahren in Großbritannien ist, bisher keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis für Großbritannien bekommen. Eine berufliche Zukunft im Vereinigten Königreich erscheint ihr zu unsicher. Darum bewirbt sie sich inzwischen auf Jobs in der EU, zum Beispiel in Deutschland und Belgien. Auch ihre Kolleginnen ermutigen sie dazu. Für Gianna ist das die beste Möglichkeit, ihre berufliche Laufbahn erfolgreich fortzusetzen - für den Wissenschaftsstandort Großbritannien ist es ein großer Verlust.