Dienstag, 19. März 2024

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Brexit
Nicola Beer (FDP): "Verlängerung nur mit klarem Zeitplan"

Es sollte alles daran gesetzt werden, einen chaotischen Brexit zu vermeiden, sagte die Vizepräsidentin des Europaparlaments Nicola Beer im Dlf. Nun sei aber das britische Parlament am Zug. Einer Verlängerung sollte die EU nur zustimmen, wenn geklärt sei, was die Briten mit der zusätzlichen Zeit vorhaben.

Nicola Beer im Gespräch mit Silvia Engels | 21.10.2019
Nicola Beer, Spitzenkandidatin (FDP) im Europawahlkampf
Ein zweites Referendum sei für alle die beste Lösung, sagte Nicola Beer (FDP) im Dlf. Damit könne man auch die Spaltung in der britischen Bevölkerung überwinden. (dpa / Carsten Koall)
Silvia Engels: Die Europäische Union hat sich nach dem Verlängerungsantrag der Briten, was das Austrittsdatum aus der EU angeht, noch nicht festgelegt, ob sie diesem Verlängerungsantrag zustimmt. Sie will erst mal abwarten, was sich in London so tut, und da könnte sich etwas tun. Womöglich, aber da liegt der Betonungscharakter auf womöglich, könnte das Unterhaus heute über den zwischen Boris Johnson und der EU Ende der Woche ausgehandelten Brexit-Vertrag stattfinden. Zugeschaltet ist uns Nicola Beer. Sie war früher Generalsekretärin der FDP. Jetzt ist sie Vizepräsidentin des Europaparlaments. Sie selbst haben im März, als es das letzte Mal um eine Fristverlängerung ging, gesagt: "Die EU gewähre Großbritannien eine letzte Fristverlängerung." Sind Sie dafür, jetzt keine mehr zu gewähren?
Nicola Beer: Ich glaube, wir müssen abwarten, was heute im britischen Unterhaus passiert. Es stehen ja im Grunde genommen zwei Sachen an. Das eine ist: Schafft es Boris Johnson wirklich, jetzt seine Umsetzungsgesetzgebung vorzulegen, so dass die Abgeordneten sich damit beschäftigen und darüber abstimmen können? Und: Gibt es gegebenenfalls die Möglichkeit – und das sieht so aus -, über diesen New Deal eine Volksabstimmung, ein zweites Referendum durchzuführen? Ich glaube, man sollte diese beiden Entwicklungen jetzt abwarten, um dann zu entscheiden. Denn eins ist klar: Wenn es noch einmal eine Verlängerung geben sollte, dann muss es eine Verlängerung mit einem klaren Zeitplan, mit einem klaren Ziel sein. Es kann nicht sein, dass wir diese Spielchen auf ewig treiben, wenn in Großbritannien im Unterhaus nicht klar ist, was man mit dieser Zeit machen möchte.
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"Harten Brexit vermeiden"
Engels: Das wäre eine Forderung von Ihnen. Zum anderen kann natürlich auch passieren, dass es wieder keine Entscheidung im Unterhaus gibt, und eigentlich galt ja beim Stichwort Verlängerung die Linie der EU, eine weitere Fristverlängerung nur dann zu gewähren, wenn etwas Großes in Großbritannien tatsächlich sich verändert hat: Stichwort Neuwahlen oder zweites Referendum. Dies ist ja bei dem jetzigen Verlängerungsantrag überhaupt nicht gegeben. Soll man trotzdem da von seinem Prinzip abweichen?
Beer: Nein! Ein Verlängerungsantrag ist ja, wenn wir jetzt mal alle Spielchen von Herrn Johnson bei Seite lassen, erst einmal ein Verlängerungsantrag mithin auf das, was das Parlament als Meinung geäußert hat, und als Meinung hat es am Samstag klar gesagt, wir wollen auf gar keinen Fall einen harten Brexit, sondern wir wollen diese Gesetzgebung vorher sehen – eben deswegen, weil man Boris Johnson nicht über den Weg traut. Und ich kann die Kollegen da verstehen. Sie hatten schlicht Angst, dem New Deal zuzustimmen und nachher keine Umsetzung zu bekommen und dann doch in einen harten Brexit zu laufen. Das wollten sie ausschließen. Ich glaube, dass es eine Mehrheit geben kann für ein zweites Referendum, aber wenn dies nicht zustande käme, dass es dann eine Mehrheit quasi als zweitbeste Lösung für diesen New Deal mit einer ganz konkreten Umsetzungsgesetzgebung gibt. Und ganz ehrlich: Keiner glaubt doch daran, dass dies in zehn Tagen als Gesetzgebung umsetzbar ist. Da wird es ohnehin eine technische Verlängerung geben. Das ist aber dann nachher auch kein Problem. Wir sollten alles daran setzen, einen harten Brexit, einen chaotischen Brexit zu vermeiden.
Engels: Das heißt, eine technische Verlängerung von einigen wenigen Wochen oder, wie in den Briefen aus London angedeutet, bis Ende Januar, da wären Sie dabei?
Beer: Das sollte man dann machen, weil auch wir auf der europäischen Seiten uns natürlich dann auf die Umsetzung eines solchen New Deals einstellen müssen. Das ist ja nicht ganz simpel, gerade wenn Nordirland quasi in zwei Rechtskreisen bleibt, bezüglich der Zollbestimmungen sowohl in der Europäischen Union als auch in Großbritannien. Das wird schwer genug, das in der Praxis wirklich klar umzusetzen, dass es da dann auch keine Schlupflöcher gibt.
Engels: Am Donnerstag wollte das EU-Parlament in Straßburg eigentlich über die Vereinbarung der britischen Regierung und der EU vom EU-Gipfel letzte Woche abstimmen. Machen Sie das nur dann, wenn das Unterhaus bis dahin das Austrittsabkommen abgesegnet hat?
Beer: Dafür würde ich werben, weil ich glaube, es macht Sinn, dass wir auch als Europaparlament wissen, worüber wir dann wirklich im Detail abstimmen. Entsprechend werden wir sehr gespannt heute auf die Entwicklung im britischen Unterhaus schauen.
"Zweites Referendum die beste Alternative"
Engels: Sie haben es angedeutet. Sollte sich in diesen ganzen verschiedenen Optionen am Ende doch herauskristallisieren, dass ein zweites Referendum in Großbritannien stattfinden sollte, was dann ja eine größere Fristverlängerung nötig macht, dann haben wir ja wieder eine andere Lage. Und sie warnten vor einem halben Jahr auch davor, das Chaos in Großbritannien dürfe nicht auf die EU übergreifen. Würde da die Gefahr nicht größer werden, wenn nun ein EU-Gegner wie Johnson weiter im EU-Rat über EU-Haushalt und andere Fragen mitreden kann, bis es ein zweites Referendum gibt?
Beer: Nein. Ich glaube, ein zweites Referendum wäre insgesamt für uns alle die beste Lösung. Denn es wäre ja ein Referendum, das darüber abstimmt, ob die Bevölkerung diesen neuen Deal möchte, oder ob sie in der EU verbleiben möchten. Damit würde es ja nicht nur die Chance geben, dann auch die Beziehungen danach besser aufzusetzen, besser auch auszugestalten, sondern vor allem auch in der britischen Bevölkerung diese Spaltung zu überwinden, weil dann über etwas sehr Konkretes abgestimmt wird und nicht über irgendeinen Fantasie-Brexit, der so ja nie gekommen ist, wie er vor drei Jahren versprochen wurde. Ich denke, das wäre die beste, das wäre die ehrlichste Lösung und wäre für uns auch ein Startpunkt, die neuen Beziehungen zu Großbritannien, wenn es dann eine Mehrheit für einen New Deal gäbe, entsprechend zu definieren. Mir als Freie Demokratin ist natürlich am liebsten, wenn die Briten gar nicht erst austreten wollen. Das heißt, wenn die Bevölkerung sich mit breiter Mehrheit für ein Verbleiben in der Europäischen Union ausspricht.
Engels: Damit liegen Sie genau auf der Linie der Liberaldemokraten aus Großbritannien, Ihre Parteifreunde also. Sie gehen lieber das Risiko ein, noch mal ein zweites Referendum zu haben, wo man ja auch möglicherweise so oder so keine richtig klaren Mehrheiten haben wird beziehungsweise knappe Mehrheiten? Dafür gehen Sie das Risiko ein, dass so lange möglicherweise die britische Seite die EU-Arbeit verhindert?
Beer: Ich glaube nicht, dass die Briten dann die EU-Arbeit verhindern werden, und ich denke, dass ein demokratisches Votum über das, was jetzt ganz konkret auf dem Tisch liegt, für uns alle die beste Entscheidung ist. Ich kann mir nicht vorstellen, wenn ich auch die britischen Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel im Europaparlament sehe, dass es daraus chaotische Zustände gäbe, sondern ich glaube, jetzt würde Ruhe geschaffen im Laden.
"Herr Johnson ist nicht allmächtig"
Engels: Aber Boris Johnson hat das durchaus für die Regierungsseite schon mal angekündigt und angedroht, wenn er nicht pünktlich gehen könne, dass er dann in der EU für mächtig Ärger sorgen würde. Nehmen Sie das nicht ernst?
Beer: Ich habe gesehen, dass Boris Johnson dann auch einen Weg gefunden hat, etwa einen Brief, den er nie schreiben wollte, abzuschicken und wir jetzt genau an dieser Stelle weitermachen, so wie das britische Unterhaus in einer demokratischen Abstimmung dies entschieden hat. Ich glaube, auch Herr Johnson muss sich daran gewöhnen, als Premierminister nicht allmächtig zu sein, sondern sich an die demokratischen Spielregeln zu halten. Er ist kein einfacher Gesprächspartner, ja, aber am Ende setze ich als Freie Demokratin immer auf den Sieg der Vernunft, selbst bei Boris Johnson.
Engels: Nehmen wir einmal an, dieser Deal wird abgelehnt und es gibt trotzdem kein zweites Referendum in Großbritannien, was dann?
Beer: Dann wäre genau das passiert, was das britische Unterhaus verhindern will. Dann kämen wir zu einem harten Brexit, weil dann gäbe es auch keinen Grund mehr für die Europäische Union, jetzt einer weiteren Verlängerung zuzustimmen. Das halte ich aber momentan für die unwahrscheinlichste Variante, denn das britische Unterhaus hat ja gerade am Samstag so reagiert, wie es reagiert hat, um das auszuschließen.
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