Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Brexit
Peter Altmaier (CDU): "Brauchen rasch Klarheit"

Derzeit wisse man nicht mehr, wer eigentlich für die Briten spreche, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier im Dlf. Parteipolitische Taktik dürfe aber nicht dazu führen, dass europäische Interessen beschädigt werden. Die wirtschaftlichen Folgen eines Austritts ohne Vereinbarung seien erheblich.

Peter Altmaier im Gespräch mit Silvia Engels | 21.10.2019
Peter Altmaier (CDU), Bundesminister für Wirtschaft und Energie, spricht im Bundestag währen der Haushaltsdebatte.
Beim aktuellen Deal zwischen der EU und Großbritannien fehle es an Klarheit über die Übergangsregel hinaus, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im Dlf (dpa / picture alliance / Michael Kappeler)
Silvia Engels: Entscheidung vertagt, Aufschub erbeten. So lässt sich die britische Beschlusslage nach diesem Wochenende zusammenfassen – wieder einmal. Nachdem das Unterhaus die Vereinbar zwischen Premierminister Johnson und der EU zurückgestellt hat, beantragte die britische Regierung ausgesprochen widerwillig in Brüssel eine Verlängerung der Austrittsfrist, die ja derzeit beim 31. Oktober liegt. Gestern berieten darüber dann die Botschafter der restlichen EU-Staaten – ohne Beschluss.
Mitgehört hat Peter Altmaier (CDU). Er ist der Bundeswirtschaftsminister. Wir erreichen ihn heute Morgen in Kroatien. Guten Morgen, Herr Altmaier!
Peter Altmaier: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Aber auch dort ist das Thema Brexit ein Thema. Wir haben es gerade gehört: Der Zeitplan der EU war eigentlich immer (oder die Reihenfolge): Erst entscheidet London, dann entscheidet die EU. Aber wäre es nicht hilfreich für die Parlamentarier, die in London Angst vor einem harten Brexit haben, wenn die EU auf jeden Fall sagt, wir werden verlängern, um Ruhe reinzubringen und dann vielleicht die Abstimmung dort zu beschleunigen?
Altmaier: Was wir brauchen ist jedenfalls Klarheit und wir brauchen sie rasch. Wir haben in den letzten Monaten immer wieder auf die schwierige Lage in Großbritannien Rücksicht genommen. Im Augenblick ist das Schwierigste, dass wir nicht wissen, wer eigentlich für dieses Land spricht: Ist es die Regierung oder ist es das gewählte Parlament. Beide vertreten unterschiedliche Positionen. Die Regierung möchte gerne zum 31. Oktober austreten. Das Parlament hat um eine Verschiebung gebeten. Das ist jetzt ein sehr schwieriges Thema. Darüber reden wir mit unseren europäischen Partnern. Ich finde allerdings, dass wir in den letzten Tagen Fortschritte gemacht haben. Die dürfen jetzt nicht wieder zerredet werden. Deshalb müssen auch die beiden Seiten in Großbritannien aufeinander zugehen. Parteipolitische Taktik kann nicht dazu führen, dass europäische und nationale Interessen beschädigt werden.
"Verlängerung ist keine Ideologie"
Engels: Aber noch mal: Nehmen wir an, es entscheidet sich in London erst mal gar nichts. Das haben wir ja in den letzten Jahren oft genug erlebt. Sollte dann die EU noch einmal in Vorleistung gehen und eine Verlängerung ermöglichen, damit zumindest dieses Thema harter Brexit richtig und endgültig vom Tisch ist?
Altmaier: Wie gesagt, wir haben ja schon zweimal einer Verlängerung zugestimmt. Ich habe als meine eigene Meinung wiederholt gesagt, dass es keine Ideologie für mich ist, ob man noch einmal ein paar Tage oder ein paar Wochen verlängert, wenn man dann sicher eine gute Lösung bekommt, die einen harten Brexit ausschließt. Aber im Augenblick bemüht sich ja die Regierung darum, noch in dieser Woche die Abstimmung über den eigentlichen Deal, über die eigentliche Vereinbarung durchs Parlament zu bringen. Ob es ihr und inwieweit es ihr gelingt, das kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand wissen. Die Situation in Großbritannien ist auch im Fluss. Viele Abgeordnete haben ihre Meinung geändert, in beide Richtungen übrigens, und ändern sie weiter. Das heißt, wir werden in den nächsten Tagen etwas mehr Klarheit haben und wir werden dann unsere Verantwortung wahrnehmen und zügig eine Entscheidung treffen, und zwar mit allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gemeinsam. Das ist keine Frage, die man mit Mehrheit entscheiden kann.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Engels: Der Johnson-Brexit-Deal würde aller Wahrscheinlichkeit nach nur eine kurze Verlängerung bedeuten oder notwendig machen, wenn dem zugestimmt wird. Wenn das aber nicht der Fall ist, dann könnte ein zweites Referendum kommen, und dann würden Sie auch zustimmen, eine richtig lange Verlängerung noch mal zu gewähren, auch zu dem Preis, dass in der Zwischenzeit möglicherweise die Briten in der EU nicht mehr sehr konstruktiv auftreten?
Altmaier: Die Briten sind – und das ist ja die seltsame Erfahrung in diesem ganzen Brexit-Drama – in den letzten ein, zwei Jahren, seit der Brexit in einem Referendum beschlossen worden ist, durchaus konstruktiv aufgetreten. Sie sind nur zuhause tief gespalten. Die englische Gesellschaft ist tief gespalten in Austrittswillige und in Bleibewillige, und dieser Konflikt muss gelöst werden. Das heißt, es muss eine Entscheidung geben, ob man mit einer Vereinbarung austritt, oder ob man eine andere Lösung anstrebt. Einige fordern Neuwahlen, andere fordern ein zweites Referendum, wieder andere fordern ein sogenanntes bestätigendes Referendum über den Deal, der jetzt vereinbart wird, und ich glaube, dass die EU Anspruch darauf hat, dass dieses große und wichtige Land, das auch in Zukunft für uns ein enger Partner bleiben soll, einmal sagt, was denn nun die bevorzugte Option ist. Wenn die Briten sich für eine der längerfristigen Optionen entscheiden sollten, das heißt Neuwahlen oder neues Referendum, dann ist es selbstverständlich, dass die Europäische Union dann darauf für mich jedenfalls auch eingehen sollte.
Zweiter Deal ist "besser als Austritt ganz ohne Vereinbarung"
Engels: Das wäre die eine Möglichkeit. Dann schauen wir jetzt auf die andere Variante, nämlich die, dass früher oder später das britische Parlament dem Brexit-Abkommen von Johnson vom letzten Gipfel zustimmt, und dann schauen wir jetzt mal auf die wirtschaftlichen Folgen, die das hätte. Gestern hatten wir die britische Europaabgeordnete Irina von Wiese von den Liberalen im Programm. Sie hält inhaltlich das Johnson-Abkommen mit der EU für schlechter als das Abkommen, das seinerzeit Theresa May ausgehandelt hatte. Hören wir mal ihre Argumente:
Einspieler Irina von Wiese: "Der große Unterschied zwischen Theresa Mays’ Deal und diesem neuen Deal von Boris Johnson ist, dass viele der bindenden Bedingungen aus dem eigentlichen Agreement, aus dem bindenden Gesetz herausgenommen worden sind und in die politische Erklärung geschoben sind – darunter auch das Freihandelsabkommen, darunter auch die gesetzliche Angleichung Regulatory Alignment. Alle diese Dinge sind jetzt nicht mehr bindend. Insofern war Theresa Mays’ Deal eine bessere Versicherungspolice und natürlich auch besser für Irland und Nordirland mit dem Backstop."
Engels: Ist der Johnson-Deal für die deutsche Wirtschaft schlecht?
Altmaier: Er ist jedenfalls besser als ein Austritt ganz ohne Vereinbarung. Bei einem Austritt ganz ohne Vereinbarung müssten wir mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen rechnen. Das was jetzt geschieht ist ja, dass zunächst einmal eine Übergangsfrist in Kraft tritt. In dieser Übergangsfrist bleibt im Wesentlichen alles so, wie es ist. Das wäre eine große Entlastung für alle Beteiligten. Aber – und da hat die Kollegin aus dem Europäischen Parlament recht: Wenn diese Übergangsfrist vorbei ist, dann haben wir heute weniger Klarheit über das, was danach kommt, als zuvor. Da müssen Verhandlungen geführt werden. Dieser Mangel an Klarheit geht auch darauf zurück, dass der Premierminister Teile der ganz harten Brexit-Befürworter für sich gewinnen musste und dies auch bisher erfolgreich getan hat. Er hat dafür aber die Unterstützung der nordirischen Nationalisten verloren, so dass wir es im Augenblick damit zu tun haben, dass die britische Debatte doch sehr stark um sich selber kreist. Ich persönlich habe immer die Auffassung vertreten, dass das Allerwichtigste ist, dass es jetzt keinen ungeordneten Austritt gibt, weil das dazu führen könnte, dass wir in einer konjunkturell ohnehin schwierigen Lage weitere Probleme für Exporte und Arbeitsplätze schaffen.
Das Good-Friday-Agreement muss weiter möglich sein
Engels: Um das noch mal auf den Punkt zu bringen. In Theresa Mays’ Deal war ja drin, dass sich Großbritannien schon festlegt, auf jeden Fall ein Freihandelsabkommen mit der EU schließen zu wollen, nach dem Austritt, nach der Übergangsphase. Jetzt ist das nur noch eine vage Option. Rechnen Sie damit, dass den Briten am Ende es doch darum geht, Sozialstandards abzusenken, dass dann möglicherweise die Wirtschaft vor ganz anderen Kämpfen steht, wenn sei mit Großbritannien Geschäfte führt?
Altmaier: Das kann niemand so genau wissen. Wir haben jedenfalls erlebt, dass der Premierminister schon mehrfach für große Kritik gesorgt hat, aber anschließend pragmatische Lösungen ermöglicht hat. Ob dies wiederum so kommt, das weiß niemand. Die erste und die wichtigste Hürde ist jetzt, dass es überhaupt eine Vereinbarung gibt, und zwar eine, die auch vom Parlament mitgetragen wird und die eine Chance hat, in der Bevölkerung eine Mehrheit hinter sich zu bringen. Das ist die große Herausforderung, denn wir können mit Großbritannien umso besser zusammenarbeiten nach dem Austritt, je mehr die Regierung sich darauf verlassen kann, dass ihre Politik auch in der Gesellschaft akzeptiert ist.
Engels: Schauen wir auf die irische Insel. Andere Kritiker sagen ja, dass in dem Fall, dass Johnsons Abkommen Wirklichkeit wird, nun britische Behörden in den Häfen für die richtige Zollzuordnung für die EU zuständig sein sollen. Haben die denn in Zukunft überhaupt Interesse daran, die Standards für die EU zu wahren, oder gibt es dann doch schleichende Aushöhlung der Standards über Nordirland und Irland?
Altmaier: Nein. Ich glaube, dass die Regelung, wie sie jetzt vorliegt, eine brauchbare und eine funktionsfähige ist. Wir haben sie im Übrigen auch nur getroffen, weil Irland zugestimmt hat. Wir haben als Europäische Union in diesen ganzen Verhandlungen immer eine einheitliche gemeinsame Haltung vertreten. Europa war geschlossen zu jedem Zeitpunkt. Und wir haben die Interessen unserer irischen Freunde verteidigt. Das heißt, es darf keine Zollgrenze geben, die zwischen Irland und Nordirland mit Kontrollen und Behinderungen verläuft. Es muss möglich sein, dass das sogenannte Good-Friday-Agreement umgesetzt wird. All das haben wir sichergestellt und deshalb glaube ich, dass wir mit diesem Teil der Lösung auf jeden Fall leben können.
Engels: Schlussfrage: Wenn es doch wieder überhaupt keine Entscheidung gibt, weder für das Johnson-Abkommen, noch für ein zweites Referendum, noch für irgendwas im britischen Unterhaus, verlängert dann die EU die Frist für den Brexit bis in die Unendlichkeit?
Altmaier: Das entscheidet der deutsche Wirtschaftsminister nicht, sondern das entscheiden die Staats- und Regierungschefs, und zwar gemeinsam mit allen 27. Ich wünsche mir jedenfalls, egal wie diese Entscheidung ausgeht, dass die Konsequenzen, die jede Entscheidung für Arbeitsplätze, für Wirtschaftswachstum, für Wohlstand hat, dass diese Konsequenzen bedacht werden, und ich fühle mich, wenn ich das am Ende sagen darf, durch diese ganze, wirklich manchmal zum Verzweifeln führende Debatte bestätigt in der Auffassung, dass wir mit Austrittsanträgen, mit dem Abbruch von Beziehungen, die über 50 Jahre gewachsen sind, in Zukunft vielleicht etwas vorsichtiger umgehen sollten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.