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Brexit
Schottische Fischer im Zwiespalt

Schottischen Fischern ist die Fischereipolitik der EU ein Dorn im Auge. Den Brexit halten deshalb viele für den richtigen Schritt. Gleichzeitig sind sie auf die europäischen Märkte angewiesen und stehen damit vor einem ernsthaften Dilemma.

Von Martin Alioth | 10.10.2018
    Fischerboot vor den schottischen Orkney Inseln
    Fischerboot vor den schottischen Orkney Inseln (dpa( picture alliance/ )
    In einer Fabrikhalle in Ayr an der schottischen Westküste werden Jakobsmuscheln mit viel Geschick und Behändigkeit aus ihren Schalen herausgelöst. Sie wurden, erklärt der Firmenchef Kenny Hastie, im Solway Firth vor der schottischen Küste gefangen.
    Die Meeresfrüchte sind für französische und britische Restaurants bestimmt, je nach Saison auch für Italien. Wenn das Vereinigte Königreich in sechs Monaten formell die EU verlässt, sorgt sich Hastie nicht so sehr über mögliche Zölle als vielmehr über Verzögerungen für seine Frischware: "Diese Jakobsmuscheln werden noch heute verschickt und kommen schon morgen früh in Frankreich an. Der Spielraum für Verspätungen ist gering. Einen zusätzlichen Tag nur könne die frische Ware verkraften."
    Auf einem anderen Tisch in der Halle werden hässliche aber schmackhafte Seeteufel filetiert. Die Fischerei an der schottischen Westküste ist wegen der zerklüfteten Küstenlinie und den zahlreichen Inseln weitgehend eine Binnenfischerei. Im Gegensatz zur Nordseeküste verfügen die Fischer hier über keine Fangquoten für Weissfisch, Heringe oder Makrelen. Kenny Roberts leitet den Verband der Fischer im großen Mündungsgebiet des Flusses Clyde, der durch Glasgow fließt. Garnelen, Jakobsmuscheln, Hummer und Krabben: das sei die Fischerei hier.
    "Ohne den Absatz in Europa sind wir erledigt"
    Und wer isst die Köstlichkeiten?
    Für Garnelen sei Spanien der größte Abnehmer, dazu kämen Italien und Frankreich. Allein, die Fischer stehen vor einem ernsthaften Dilemma: sie sind grundsätzlich gegen die Fischereipolitik der EU und daher folgerichtig für den Brexit. Aber sie sind gleichzeitig auf ihre europäischen Märkte angewiesen. Kennys Kollege Alistair McNab, der seit 40 Jahren in schottischen Gewässern fischt, wird deutlich: "Unser Problem sind die Märkte", stellt McNab fest. "Ohne den Absatz in Europa sind wir erledigt".
    Das klingt logisch. Aber böte denn die schottische Unabhängigkeit nicht den idealen Ausweg aus diesem Dilemma? Alistair McNab bleibt hart: Die schottische Regierung wolle ja nach der Unabhängigkeit zurück zur EU und damit zur Fischereipolitik. Unabhängigkeit sei ja gut und schön, aber die Fischer seien gegen die europäische Fischereipolitik.
    Er würde erneut gegen die Unabhängigkeit stimmen, wenn das zurück zur EU-Fischereipolitik führe. Eine gewisse Sturheit ist unverkennbar. Doch die beiden Veteranen machen sich keine Illusionen: am Verhandlungstisch in Brüssel, wo das Mosaik immer komplizierter wird, spielen schottische Binnenfischer eine untergeordnete Rolle: "Wir Fischer wurden, klagt Alistair McNab, 1972 von Premierminister Edward Heath als Verhandlungsmasse für den Beitritt zur EU missbraucht und das werde diesmal wieder so sein." Kenny Roberts pflichtet resigniert bei: "Wir sind das Bauernopfer in einem viel größeren Spiel."
    Das könnte zu guter Letzt auch das Schicksal Schottlands beschreiben.