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Brexit und die Normandie
Die Häfen machen mobil

Harter Brexit oder weicher Brexit? An den Häfen der Normandie macht sich diese Frage ganz praktisch bemerkbar. Ein Drittel der ankommenden Lkw müsste künftig vom Zoll kontrolliert werden, wenn Großbritannien nicht Teil des europäischen Binnenmarktes bleibt.

Von Jürgen König | 11.10.2018
    Der Seehafen von Le Havre in Frankreich mit Containern
    Im Hafen von Le Havre befürchtet man, ein harter Brexit könnte schwere Folgen haben (imago stock&people / Aurelien Morissard)
    Die Entscheidung für einen "harten" Brexit wäre eine "sehr schlechte Neuigkeit" für die Normandie, sagt Jean-Louis Leyourdre, Präsident der SHT, einer großen Handels- und Transportgesellschaft in Le Havre.
    "Offen gesagt, wir können sehr gut mit einem 'weichen' Brexit umgehen – und irgendwie wohl auch mit einem 'harten'. Das Problem dabei ist, dass es derart viele wirtschaftliche Verpflichtungen gibt, die ganzen Kontrollen, die Zollfragen, die Lebensmittelzertifikate, all das würde durch einen 'harten' Brexit unglaublich kompliziert. Und zwar wären das Probleme für die französischen wie die britischen Ein- und Ausfuhren, der Personen- und Güterverkehr zwischen der Normandie und Großbritannien würde sehr abnehmen."
    Angst vor langen Lkw-Schlangen
    Käme es nicht zu bilateralen Abkommen, wie sie die EU etwa mit der Schweiz oder Norwegen unterhält, würden die dann notwendigen Grenzformalitäten in den normannischen Häfen in einem Maße zunehmen, auf das man nicht vorbereitet sei – sagt der Regionspräsident der Normandie, Hervé Morin, und rechnet vor, dass von 46.000 Lastwagen, die etwa in Ouistreham ankommen, künftig 16.000 kontrolliert werden müssten, in Le Havre wären es von 15.000 Lastwagen 5.000, in Cherbourg würden es etwa 2.500 sein. Dazu sei nötig:
    "Abfertigungs- und Kontrollsysteme, die mit denen der britischen Häfen kompatibel sind – die es jetzt nicht gibt. Wir brauchen Räume, ganze Anlagen für die Arbeit der Gesundheits- und Veterinärbehörden – die es jetzt nicht gibt. Hier müsste der Landwirtschaftsminister aktiv werden, er müsste auch das Personal stellen, das wir hier nicht haben: einfach, um die dann notwendig gewordenen Grenzkontrollen sicherstellen zu können."
    Thierry Grumiaux vom französischen Straßentransportverband FNTR:
    "Wir haben in den letzten Wochen Tests gemacht, in den Fährhäfen auf britischer Seite. Wir haben die Abfertigungszeiten pro Lastwagen jeweils um zwei Minuten verlängert, und sofort bildeten sich Warteschlangen und sie wurden immer länger. Wir haben dann das tägliche LKW-Aufkommen hochgerechnet und kamen auf einen wartenden LKW-Konvoi von insgesamt 27 Kilometern Länge."
    Kompatible Zollsysteme müssten her
    Auch beim Thema Zoll, so Thierry Grumiaux, gäbe es möglicherweise ein ganz grundsätzliches Problem:
    "Bei unseren Gesprächen mit der britischen Seite wurde schnell klar, dass man dort ein eigenes digitales Zollsystem einführen will. Und wir fragen uns, ob es wohl mit unserem kompatibel sein wird. So gut wie keine Zollerklärung wird heute noch auf Papier abgegeben, und das klappt gut, weil EU-weit die Systeme kompatibel sind. Bei den Briten, jetzt – sind wir uns überhaupt nicht sicher, was da passiert."
    Ein völlig neues Transitsystem werde durch einen "harten" Brexit erforderlich werden, so Regionspräsident Hervé Morin – dafür müsse der Staat sorgen.
    "Es wird einen Moment geben, an dem sich abschätzen lässt, ob es nun zu einer Lösung kommt oder nicht. Es gäbe ja Möglichkeiten, das Problem zu lösen. Was wir verlangen, ist, dass alles vorbereitet ist, wenn es zum Schlimmsten kommt."
    Alte Abkommen neu verhandeln
    Jenseits solcher Handelsfragen sorgt man sich in der Normandie auch noch um andere, nicht minder wichtige Themen: Im Juli schlug die EU für den Güterverkehr von Irland auf den Kontinent neue Meeresrouten vor, die LKW- oder Bahntransporte durch das in Zukunft nicht mehr europäische Großbritannien ersetzen sollen. Auf dieser Route fanden sich belgische und holländische Häfen – aber keine französischen. "Inakzeptabel" nannte das die französische Transportministerin Elisabeth Borne.
    Oder: Was wird aus dem Abkommen von Touquet, 2003 geschlossen von Frankreich und Großbritannien, um die Flüchtlingsströme auf die britische Insel einzudämmen? London zahlte bisher viel Geld dafür, dass Frankreich Reisende nach Großbritannien im eigenen Land kontrolliert und gegebenenfalls an der Weiterreise hindert – die Bilder vom Flüchtlingslager etwa in Calais sind noch in allen Köpfen. Das Abkommen müsste gekündigt oder neu verhandelt werden – und das möglichst bald.
    Wie sagte Hervé Morin: Ein harter Brexit wäre für die Normandie "eine Quelle von Schwierigkeiten auf praktisch allen Gebieten".