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Brexit und Europarecht
EuGH-Gutachter: Großbritannien könnte Brexit noch stoppen

Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs glaubt, dass die britische Regierung die Brexit-Entscheidung rückgängig machen könnte. Bis zum Abschluss eines Austrittsabkommens könne London den Brexit-Antrag ohne Zustimmung der übrigen EU-Staaten zurückziehen, erklärte Generalanwalt Sanchez-Bordona in Luxemburg.

Von Tonia Koch | 04.12.2018
    Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, Verwaltungsgebäude in Luxemburg
    Brexit widerrufen? - Schottische Parlamentarier gehen vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (dpa / Horst Galuschka )
    Die Zuschauer erheben sich. Die Richter des höchsten europäischen Gerichts in Luxemburg betreten den Saal. So voll, wie bei der mündlichen Anhörung zum Brexit, war es im großen Sitzungssaal nur selten, und Andy Wightman, grüner Abgeordneter des schottischen Parlaments, der gemeinsam mit anderen Parlamentariern den Rücktritt vom Brexit erwirken möchte, war nach viereinhalb Stunden Verhandlung beeindruckt:
    "Es war wie im Kino, alle waren da, um die Show zu sehen."
    Und die Show, das ist bitterer Ernst. Es geht darum, juristisch zu klären, ob Großbritannien die Austrittserklärung aus der Europäischen Union widerrufen kann. Ob es den Brexit stoppen kann und einseitig erklären kann, wir bleiben drin in der EU. Denn so dächte doch eine Mehrheit augenblicklich in Großbritannien, argumentiert Andy Wightman:
    "Die Umfragen sind eindeutig. Die meisten Menschen haben ihre Meinung geändert; sie wollen in der EU bleiben. Und es muss doch möglich sein, dass ein EU-Mitgliedstaat seine Meinung ändert. Das heißt konkret: Wir müssen den Brexit-Beschluss nach Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union widerrufen und sagen: Entschuldigen Sie bitte, wir ziehen den Scheidungsbrief zurück und beabsichtigen nicht länger zu gehen. Diese Möglichkeit muss doch eingeräumt werden."
    "Scheidungsparagraph" Artikel 50
    Andy Wightman und weitere Parlamentarier, darunter auch Mitglieder des Europaparlamentes, hatten sich mit der Frage, ob der Artikel 50 den Rückzug vom Rückzug ermöglicht, zunächst an das höchste schottische Gericht, den Court of Session, gewandt. Und dieser hat den Europäischen Gerichtshof um Auslegung des Scheidungsparagraphen gebeten. Nach gut vier Stunden Anhörung schöpften die Brexit-Gegner ein wenig Mut. Denn keiner der Beteiligten, nicht einmal Großbritannien selbst, habe argumentiert, dass der Weg zurück ausgeschlossen sei. Joanna Cherry, Anwältin und Mitglied der schottischen Nationalpartei, meint:
    "Niemand hat heute gesagt, dass der Beschluss nach Artikel 50 nicht widerrufen werden kann. Der Europäische Rat und auch die EU-Kommission haben nur darauf hingewiesen, dass es nur dann funktionieren kann, wenn die übrigen Mitgliedstaaten zustimmen."
    Für die Kläger wäre das zwar nur die zweitbeste Lösung, denn sie wünschen sich, dass der Rückzug vom Brexit einseitig - ohne das Zutun der anderen EU-Mitgliedstaaten erfolgen kann. Aber sowohl die EU-Kommission als auch die EU-Mitgliedstaaten verwiesen in der mündlichen Verhandlung immer wieder darauf, dass die Mitgliedstaaten dabei ein Wörtchen mitzureden hätten. Jenseits der rechtlichen Würdigung sei das auch nachvollziehbar, sagt Alyn Smith, schottischer Europaparlamentarier:
    Die Büchse der Pandora
    "Die Realität ist: Was auch immer passiert, wir brauchen das Wohlwollen der anderen 27. Der Europäische Gerichtshof soll uns nur sagen, ihr könnt den Austrittsbeschluss allein revidieren oder eben nicht. Aber wenn es dazu kommt, dann wollen wir das in enger Abstimmung mit den übrigen Mitgliedstaaten tun und darauf hinarbeiten, ein vollwertiges Mitglied der EU zu bleiben."
    Der Bedeutung der Angelegenheit angemessen trugen manche Anwälte nicht nur Talar sondern auch gepuderte Perücken, und der Vertreter der britischen Regierung mahnte den Gerichtshof gar, nur nicht die Box der Pandora zu öffnen. In den bereits laufenden Scheidungsprozess zwischen Großbritannien und der Europäischen Union sollten die Europäischen Richter nicht eingreifen.