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Brexit
"Unternehmen sollten sich auf No-Deal-Szenario einstellen"

CDU-Europapolitiker Gunther Krichbaum hält ein No-Deal-Szenario zwischen Großbritannien und der EU für wahrscheinlich. Die Zeit werde immer knapper, sagte er im Dlf. Noch immer seien rund 20 Prozent der zu besprechenden Themen nicht geklärt - und diese verbleibenden 20 Prozent seien entscheidend.

Gunther Krichbaum im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 04.10.2018
    Gunther Krichbaum, CDU, Vors. des Europaausschusses im Bundestag.
    Gunther Krichbaum sagt, Großbritannien müsse von seinem hohen Ross herunterkommen (picture alliance / dpa / Zipi)
    Ann-Kathrin Büüsker: Leichter wird der Brexit nach diesem Parteitag nicht – dadurch, dass sich die Konservativen gegenseitig so behaken. Wie schwierig das ist, mit jemandem zu verhandeln, der in der Partei so unter Druck ist, darüber spreche ich jetzt mit Gunther Krichbaum, ebenfalls Konservativer. Er ist Mitglied der Union und Vorsitzender des Europaausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Krichbaum!
    Gunther Krichbaum: Schönen guten Morgen.
    Büüsker: Herr Krichbaum, viele Experten sagen ja, dass ein No-Deal-Szenario für das Auseinandergehen von Europäischer Union und Großbritannien immer wahrscheinlicher wird. Wird es Zeit, dass wir uns darauf tatsächlich auch mal vorbereiten?
    Krichbaum: Ja, in der Tat. Vor allem Unternehmen sollten sich auf dieses Szenario einschalten und einstellen, denn die Zeit wird in der Tat immer knapper. Man darf nicht vergessen: Auch dieses Austrittsabkommen, was wir jetzt aktuell verhandeln, muss am Ende noch ratifiziert werden durch das Europäische Parlament. Das wird Zeit kosten. Man darf nicht vergessen, das Europäische Parlament wird auch neu gewählt. Aber vor allem geht es um den 29. März 2019, denn an diesem Tag würde ansonsten Großbritannien definitiv die Europäische Union verlassen.
    "Kleine und mittelständische Unternehmen sollten sich mit diesem Szenario befassen"
    Büüsker: Sie haben jetzt gerade schon die Unternehmen angesprochen. Es gibt eine Recherche der "Welt", die am Montag veröffentlicht wurde, demzufolge eine Mehrheit der Unternehmen in Europa, aber auch insbesondere in Deutschland in keinster Art und Weise auf den Brexit überhaupt vorbereitet ist, sich noch gar nicht damit auseinandergesetzt hat, was das bedeutet. Und da reden wir noch gar nicht von einem No-Deal-Szenario. Ist das nicht auch ziemlich fahrlässig von der Wirtschaft, sich gar nicht vorzubereiten?
    Krichbaum: Doch, das kann ich nur unterstreichen. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sollten sich auch mit diesem Szenario befassen. Die großen Unternehmen haben sich schon, glaube ich jedenfalls, mehr darauf eingestellt – vor allem jene, die auf der Insel sind -, und die schaffen längst Fakten. Vor allem die Finanzdienstleistungsbranche verlagert sich in großem Stil bereits aus der Londoner City hinein nach Kontinentaleuropa, denn die brauchen den Binnenmarkt, aber nicht nur die Finanzdienstleistungsbranche.
    Büüsker: Nun kann man aber auch den Spieß umdrehen und fragen, wie sich die Unternehmen denn richtig darauf einstellen sollen, was passiert, wenn nicht mal die Politik weiß, was kommen wird.
    Krichbaum: Nun, von unserer Seite führt ja Michel Barnier die Verhandlungen für die Europäische Union geschlossen. Ich glaube, die jetzige Zeit kann man schon insoweit Revue passieren lassen, als dass die europäischen Länder stets zusammenstanden. Das war sehr, sehr wichtig und ist sehr, sehr wichtig, auch jetzt für die finale Phase. Während wir allerdings in Großbritannien eine völlige Konfusion haben. Das hat ja die Situation auch so schwierig gemacht. Man wusste nie, wofür die Regierung eigentlich steht. Es gab hier einen vielstimmigen Chor.
    Jetzt selbst bei dem Parteitag kam ja noch mal zum Tragen, trotz aller Begeisterung für Theresa May, dass natürlich die Brexitiers, wie sie ja auch genannt werden, keinesfalls Ruhe geben. Sie präsentieren ihre eigenen Pläne, vor allem Boris Johnson. Man kann jetzt natürlich aus Sicht der britischen Wirtschaft sagen, es gibt ja noch gar keine Einbußen. Allerdings darf man auch nicht vergessen: Noch ist Großbritannien Mitglied der Europäischen Union. Noch ist Großbritannien auch Mitglied des Binnenmarktes. Das heißt, die eigentlichen Auswirkungen kämen natürlich erst mit dem Austritt.
    Büüsker: Sie haben Boris Johnson angesprochen, den Brexitier. Der ist stark, auch innerhalb der konservativen Partei. Man könnte auch sagen, die harte Verhandlungslinie der Europäischen Union, die hat die Befürworter des harten Brexits noch viel, viel stärker gemacht. Müsste die EU ihre eigene Position da vielleicht auch mal überdenken und Großbritannien ein bisschen mehr entgegenkommen?
    Krichbaum: Wir verhandeln ja und ich würde es mal vielleicht so auf den Nenner bringen, dass wir mit 80 Prozent der Dinge auch durch sind. Aber die verbleibenden 20 Prozent haben es natürlich in sich. Was jedoch aus Sicht der Europäischen Union gar nicht in Frage kommen kann ist, dass wir unsere Grundprinzipien, Warenverkehrsfreiheit, Personenfreizügigkeit und anderes, aufsplitten lassen, denn das wäre eine Rosinenpickerei. Man kann nicht nur die Rechte einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union in Anspruch nehmen und die Pflichten außer Acht lassen. Das geht nicht, wenn man Mitglied ist der Europäischen Union, und wenn man nicht Mitglied ist der Europäischen Union, dann kann man nicht bessergestellt werden als ein Land, das der EU angehört. Deswegen kann es natürlich diese Rosinenpickerei nicht geben. Auf der anderen Seite dürfte man, glaube ich, auch nicht Blaupausen schaffen für andere Länder nach dem Motto, eine EU-Light-Mitgliedschaft ist irgendwie besser. Ich glaube, gerade der Binnenmarkt ist das, was uns wirtschaftlich so erfolgreich macht, und da können wir eine Aufsplittung nicht zulassen.
    "Die vier Grundfreiheiten sind die DNA der Europäischen Union"
    Büüsker: Die Argumente für die Verhandlungsposition der Europäischen Union sind seit ein paar Monaten auch klar und wahrscheinlich auch den meisten nachvollziehbar. Trotzdem möchte ich noch mal die Frage stellen, ob man nicht bei dem, was man sieht, was das in Großbritannien verursacht, nämlich dass eine Theresa May dadurch auch in der eigenen Partei erheblich unter Druck gerät, ob man im Angesicht dessen nicht tatsächlich noch mal die eigene Verhandlungsposition überdenken muss, weil am Ende droht uns sonst ja ein "No Deal" und das wäre für alle Seiten doch das Schlechteste.
    Krichbaum: Zunächst bin ich nicht für das persönliche Schicksal von britischen Premierministern verantwortlich. Danach hätte schon Cameron gar nicht dieses Referendum überhaupt initiieren dürfen. Denn er hat es ja auch nur deshalb gemacht, weil er damals parteiintern unter Druck stand. Er hatte überhaupt gar keine Veranlassung, das ansonsten durchzuführen, weil es keine Diskussion in Großbritannien über eine Mitgliedschaft in der EU oder dem Verbleib in der EU gab. Es war rein innerparteilicher Druck, dem er sich dann gebeugt hatte, indem er damals in seiner ersten Bloomberg-Speech dann dieses Referendum ins Spiel gebracht hatte.
    Jetzt ist Theresa May nach ihrem Chequers-Plan heftig in die Kritik geraten. Sie hatten das ja auch gerade in Ihrer Reportage gebracht, dass der während ihrer ganzen Ansprache überhaupt gar keine Rede gespielt hat, weil er auch sehr umstritten ist. Wie gesagt, ich bin nicht für das Schicksal der britischen Premierminister verantwortlich, aber sehr wohl dafür, wie wir auch weiterhin in der Europäischen Union erfolgreich Politik machen. Die vier Grundfreiheiten sind der Markenkern, die DNA der Europäischen Union, und hier kann es ein Aufsplitten vernünftigerweise nicht geben.
    Selbst, mal ein anderes Beispiel genommen, die Schweiz, die ihrerseits den Zugang auf den Binnenmarkt hat, akzeptiert dafür natürlich auch nicht nur die Grundfreiheiten, sondern zahlt auch erhebliche Mittel in die Europäische Union hinein. Deswegen: Das darf man alles nicht außer Acht lassen. In anderen Ländern gibt es ja auch Modelle, siehe mit Norwegen, aber es gilt immer dasselbe Prinzip. Wer den Zugang in den Binnenmarkt haben möchte, wer für seine Unternehmen dann auch den Erfolg haben möchte, den wirtschaftlichen, der muss dann auch bereit sein, die Pflichten einzugehen.
    Büüsker: Sie sagen, die Prinzipien der Europäischen Union hochhalten und gegenüber Großbritannien eine harte Verhandlungslinie weiterhin fahren. Könnte das aber tatsächlich dann am Ende zu einem No-Deal-Szenario führen? Das würde dann Ende März zustande kommen, 29. März wäre das Austrittsdatum Großbritanniens. Und im Mai sind, Sie haben es eben auch schon angesprochen, Europawahlen. Fliegt uns dann nicht die ganze Kiste um die Ohren, wenn wir Ende März ein No-Deal-Szenario haben, die negativen Folgen für die ganze Europäische Union, und direkt danach Wahlen?
    Krichbaum: Wie gesagt, zunächst ist einmal Großbritannien selbst aufgerufen, mit einer geschlossenen Position in die Verhandlungen zu gehen.
    Büüsker: Die wird es aber ja nicht geben, Herr Krichbaum. Das sehen wir ja immer wieder.
    Krichbaum: Da wurde sehr, sehr viel Zeit verschwendet. Die Europawahlen, das wäre nicht zu verachten, vor allem in einem Land auch wie Irland, denn wir hätten natürlich auch mit einem Austritt aus der Europäischen Union ohne Abkommen eine Außengrenze zwischen Nordirland und Irland. Das wollen wir ja gerade vermeiden. Und noch einmal: Auch die Europäische Union möchte diese Folgen vermeiden, um das klar und deutlich zu sagen. Aber man muss natürlich auch mal von dem hohen Ross runterkommen, auf dem Großbritannien nach wie vor noch sitzt, und sich der Lebenswirklichkeit stellen.
    "Können Rosinenpickerei nicht zulassen"
    Büüsker: Und die EU sitzt da nicht auf einem hohen Ross?
    Krichbaum: Ich glaube, noch einmal, und das deutlich unterstrichen, wir können es nicht zulassen, dass hier eine Rosinenpickerei stattfindet, dass sich jeder wie in einem Gemischtwarenladen nur das rauspickt, was einem selbst gefällt. So werden wir nicht die Europäische Union erfolgreich gestalten. Ich bin im Übrigen davon überzeugt, weil Sie gerade Wahlen angesprochen hatten, dass das die Frustration noch sehr viel mehr steigern würde, wenn wir hier in eine Beliebigkeit hinein verfallen. Das kann es am Ende des Tages nicht sein.
    Und es geht hier nicht um die Prinzipienreiterei, sondern es geht darum, dass die Menschen dann nach wie vor auch frei ihren Arbeitsplatz wählen können, dass sie frei sich bewegen können in der Europäischen Union, dass die Waren von A nach B ohne Zölle, ohne irgendwelche Hemmnisse transportiert und befördert werden können. Das sind genau die Dinge, die wir natürlich als Europäische Union haben. Und noch einmal, klar und deutlich ausgesprochen: Wer den Zugang in diesen Binnenmarkt haben möchte, der muss natürlich dann auch die anderen Prinzipien akzeptieren, das heißt der freie Verkehr auch von Personen und der freie Verkehr auch von Arbeit. Ohne das wird es nicht aufgehen. Deswegen: Das können wir an der Stelle in der Tat nicht zulassen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.