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Brexit-Verhandlungen
"Die EU sorgt sich zu Recht"

Nach Einschätzung von Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, werden die Brexit-Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU nach der Wahlniederlage von Theresa May noch komplizierter und unberechenbarer. Der Zeitplan sei "nicht einzuhalten" und die Kosten für beide würden steigen, so Fuest im Dlf.

Clemens Fuest im Gespräch mit Eva Bahner | 09.06.2017
    Der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest, posiert vor einem Schild mit der Aufschrift "ifo".
    Der Präsident des ifo-Instituts Clemens Fuest (picture alliance / dpa / Christina Sabrowsky)
    Eva Bahner: Theresa Mays Rechnung ist nicht aufgegangen – die Tories haben ihre absolute Mehrheit im Unterhaus verloren, es ist völlig unklar, mit wem sie in Zukunft regieren wird. Was bedeutet diese Wahlschlappe nun für die Brexit-Verhandlungen?
    Bahner: Herr Fuest, ist der "Hard Brexit", für den Theresa May stand, damit auch abgewählt?
    Clemens Fuest: Das würde ich nicht sagen. Es steigt zunächst mal die Unsicherheit darüber, wie es ausgeht. Wenn Theresa May aber eine Koalition eingeht mit der DUP – das ist ja eine nord-irische, konservative Partei, die eher EU-feindlich ist –, dann könnte der Brexit sogar noch härter ausfallen. Die Handlungsspielräume, Kompromisse zu machen für May, könnten noch kleiner werden. Es ist also schwer vorherzusagen, wie das Ganze ausgeht. Aber dass der Brexit jetzt weicher wird, das ist nicht unbedingt zu erwarten.
    Bahner: Also, damit rechnen die Börsen ja nicht unbedingt, die reagieren ja relativ gelassen. Das heißt, da könnte man sich täuschen heute?
    Fuest: Na ja, auch bislang war ja eine relativ harte Linie erwartet worden von Theresa May, aber eben eher aus einer Position der Stärke. Jetzt macht sie das wahrscheinlich eher aus einer Position der Schwäche und dann eben dem neuen Koalitionspartner geschuldet, der eben verlangen wird, dass man da relativ kompromisslos vorgeht in den Verhandlungen. Vor allem eben die Immigration einschränkt, keine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes mehr in Großbritannien. Bei dieser Linie wird man mit Sicherheit bleiben.
    "Das Ganze könnte auch eine Minderheitsregierung werden"
    Bahner: Das heißt, die EU sorgt sich nun zu Recht?
    Fuest: Die EU sorgt sich zu Recht, weil es jetzt natürlich erst mal dauern wird, bis klar ist: Ist es wirklich eine Koalitionsregierung? Das Ganze könnte auch eine Minderheitsregierung werden. Auf EU-Seite muss man sich jetzt fragen, wie verhandlungsfähig die britische Regierung wirklich ist und wie sicher ihr Mandat ist. Es könnte zum Beispiel passieren, dass man mit Theresa May ein Abkommen aushandelt, dass das dann aber im Parlament scheitert. Dann stellt sich die Frage, scheidet Großbritannien dann völlig ohne Abkommen aus oder wie geht es weiter? Die Verhandlungen, die ja sowieso schon sehr komplex sind, unter sehr hohem Zeitdruck stehen, die werden jetzt noch komplizierter und noch unberechenbarer.
    Bahner: Am 19. Juni sollen die Verhandlungen ja zunächst erst mal beginnen. Ist dieser Zeitplan denn jetzt überhaupt, nach diesem ganzen Chaos, noch einzuhalten?
    Fuest: Der ist nach meiner Einschätzung nicht einzuhalten. Man kann sich zwar an einen Tisch setzen, aber es wird nichts zu verhandeln geben. Wir brauchen erst mal eine Regierung in Großbritannien und da muss es Gespräche geben, ob es zu einer Koalition kommt oder einer Minderheitsregierung. Das wird dauern, ich denke, man wird die Verhandlungen verschieben müssen um ein paar Wochen. Das ist vielleicht nicht so dramatisch, aber die Zeit ist natürlich knapp und da zählen möglicherweise auch ein paar Wochen. Aber jetzt direkt anzufangen, hat keinen Sinn.
    Bahner: Das heißt, sehen Sie denn diese Zweijahresfrist überhaupt noch einzuhalten unter den veränderten Voraussetzungen jetzt?
    Fuest: Das wird sehr schwierig. Allerdings wird es auch Widerstände geben gegen eine Verlängerung der Frist. Der Austritt ist ja erklärt, die Uhr tickt. Und wenn es nicht zu weiteren Verhandlungen kommt oder zumindest nicht zu einer Einigung, dann scheidet Großbritannien automatisch im März 2019 aus der EU aus. Es sei denn, die 27 Mitgliedsstaaten und Großbritannien würden sich einig sein, dass die Frist verlängert wird. Das kann natürlich so kommen, das wäre auch eine vernünftige Lösung. Aber ob man da wirklich alle an Bord kriegt, das bleibt abzuwarten. Also, das Risiko ist gestiegen, dass es zu überhaupt keinem Abkommen kommt.
    Bahner: Was würde dann passieren?
    Fuest: Ja, Großbritannien würde ausscheiden, alle Rechte und Pflichten des Landes, was die EU angeht, würden erlöschen. Großbritannien wäre nicht mehr Teil des europäischen Binnenmarktes und würde mit der EU handeln auf der Basis von WTO-Regeln, so wie andere Drittländer auch.
    Bahner: Also, Sie sehen, dass dieses Risiko tatsächlich nun durch diesen Wahlausgang gestiegen ist?
    Fuest: Aus meiner Sicht ist dieses Risiko gestiegen, ja.
    "Kosten für die britische und europäische Wirtschaft steigen"
    Bahner: Und damit auch die Brexit-Kosten für die britische Wirtschaft. Also, die britische Wirtschaft hat ja nach dem Referendum schon etwas an Schwung verloren.
    Fuest: Ja, die Brexit-Kosten nicht nur für die britische Wirtschaft, sondern auch für die europäische Wirtschaft steigen. Das, was auf dem Spiel steht, ist die Handel- und Wirtschaftsaktivität auf beiden Seiten. Für Großbritannien ist das Gewicht relativ zu eigenen Wirtschaftsaktivitäten größer, aber es steht hier viel auf dem Spiel für beide Seiten, gerade auch für Deutschland. Großbritannien ist für uns ein wichtiger Markt. Also, die EU und Großbritannien verlieren, wenn es nicht zu einem Abkommen kommt.
    Bahner: Sind denn diese Kosten schon absehbar?
    Fuest: Ja, diese Kosten sind nicht ganz einfach zu berechnen, aber es gibt Abschätzungen, die beziehen sich dann eher auf die mittelfristigen Kosten. Wenn man den Handel einschränkt, dann gibt es Wachstumsverluste. Die Schätzungen, die es da so gibt, bewegen sich für Großbritannien um etwa zwei bis drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist aber nicht ein sofortiger Absturz, sondern ein einfach verlangsamtes Wachstum. Für Deutschland sind die Verluste wahrscheinlich deutlich kleiner, das bewegt sich eher so um 0,3 bis 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Ganze ist also keine Katastrophe, aber es ist schon spürbar, gerade für die Unternehmen und die Angestellten in den Unternehmen, die in Großbritannien stark aktiv sind.
    Bahner: Welche Branchen sind davon denn am stärksten betroffen?
    Fuest: Ja, sehr stark betroffen ist die deutsche Autoindustrie. Teilweise produziert man ja in Großbritannien, BMW etwa stellt in Oxford den Mini her. Dann sind es aber auch andere Unternehmen der Autobranche, die nach Großbritannien exportieren. Also, die Autobranche ist sicherlich am stärksten betroffen, aber es gibt auch viele andere.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.