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Breyer (Piratenpartei)
Geplantes Anti-Hass-Gesetz "nicht verfassungskonform"

Patrick Breyer, Politiker der Piratenpartei Deutschland, spricht sich gegen das geplante Anti-Hass-Gesetz aus. Die Internetnutzung Einzelner in weitem Umfang auszuspionieren ohne die Voraussetzung einer schweren Straftat sei verfassungswidrig, sagte er im Dlf. Es diene der Bekämpfung von Hass im Netz wenig.

Patrick Breyer im Gespräch mit Jochen Fischer | 18.09.2020
Patrick Breyer, Bürgerrechtler, Jurist und Politiker der Piratenpartei Deutschland
Das Gesetz sei nicht verfassungskonform - dem Bundespräsidenten rät Breyer im Dlf, "die Finger vom Unterschriftenstift" zu lassen (dpa / Carsten Rehder)
Das geplante Gesetz gegen Hasskriminalität im Internet soll Behörden mehr Möglichkeiten geben, gegen Hasskriminalität vorzugehen. So müssen die Anbieter von Online-Plattformen in Zukunft die Kommentare von sich aus an das Bundeskriminalamt (BKA) melden müssen, inklusive der Daten der Nutzer. Nach Ansicht der Kritiker würde im weitem Umfang die Internetnutzung Einzelner "ausspioniert" oder Daten von Menschen, die nicht direkt im Zusammenhang mit einer Straftat stünden, mit ausgewertet.
Zu den Klägern, die sich gegen zu weitgehende Zugriffsrechte der Ermittlungsbehörden wehren, gehört Patrick Breyer. Er ist Bürgerrechtler, Jurist und Politiker der Piratenpartei Deutschland.
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Das geplante Gesetz zur Bekämpfung von Hasskriminalität sei ein klares Zeichen, sagte Bayerns Innenminister Herrmann (CSU) im Dlf. Es zeige der Gesellschaft, dass man vieles nicht mehr tolerieren werde.
Jochen Fischer: Herr Breyer, sollte Steinmeier unterschreiben?
Breyer: Er sollte die Finger ganz schnell vom Unterschriftenstift lassen, denn dieses Gesetz ist offensichtlich verfassungswidrig. Das hat ja das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber gerade erst ins Stammbuch geschrieben, auf Verfassungsbeschwerde von 6.000 Menschen hin, und das ist genau übertragbar auf dieses neue Gesetz.
Fischer: Es heißt ja, nicht alle Bestimmungen seien dort gleich, das heißt, der Bundespräsident müsste sich überlegen doch, unterzeichne ich das aus den Gründen gar nicht, nur weil einige Stellen mir nicht passen, oder lasse ich es durchgehend, und dann könnte man es ja hinterher wieder ändern.
Breyer: Der Bundespräsident ist dazu da, eine Prüfinstanz zu sein, und er sollte Gesetze, die jetzt wirklich offensichtlich verfassungswidrig sind, nicht unterzeichnen, denn dazu haben wir ihn, das zu prüfen, damit das Grundgesetz auch eingehalten wird. Wenn einige Bestimmungen verfassungswidrig sind, ist das Gesetz im Ganzen nicht verfassungskonform.
Neben dem "Gefällt mir"-Button von Facebook sind die Worte "Du Faschist" zu sehen.
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Grundrechte müssten von vornherein gewahrt werden
Fischer: Wenn er nun aber nicht unterschreibt, verlieren wir dann nicht Zeit bei diesem Thema, bei der Hassbekämpfung im Netz?
Breyer: Ich glaube, dass wir dann Zeit verlieren, wenn Gesetze wieder vor den Gerichten keinen Bestand haben und gekippt werden, und das gilt es zu vermeiden, indem von vornherein die Grundrechte gewahrt werden. Dieses Gesetz und vor allem die Bestimmungen, die verfassungswidrig sind, nämlich in weitem Umfang unsere Internetnutzung auszuspionieren und auch Verdachtsfälle zu melden an Behörden, die dienen überhaupt wenig der Bekämpfung von Hass im Netz. Dazu wären ganz andere gesellschaftliche Ansätze sehr viel wichtiger.
Es fehle an ausreichenden Datenschutz-Voraussetzungen
Fischer: Erzählen Sie mal, was denn dagegenspricht, dass zum Beispiel Facebook jetzt direkt an das Bundeskriminalamt meldet.
Breyer: Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages stellt fest, dass das Bundeskriminalamt im Moment überhaupt keine verfassungsmäßige Befugnis hat, solche Meldungen entgegenzunehmen. Das heißt, da hat der Gesetzgeber geschlampt und hat nicht ausreichende Voraussetzungen eingeführt, wie zum Beispiel die Voraussetzung einer schweren Straftat. Das ist ein Mangel, den man hätte erkennen müssen. Wir haben auch schon sehr früh darauf hingewiesen, dass die Datenabruferlaubnis in dem Gesetz verfassungswidrig ist, das ist aber schlichtweg ignoriert worden, was ich nicht verstehen kann, denn im Januar ging es um Telefonbestandsdaten. Hier bei diesem Gesetz geht es aber um Internetdienste, und zwar nicht nur, welche Dienste wir nutzen, sondern auch, welche Internetseiten wir wann angesurft haben. Das zu wissen, gibt einen so tiefen Einblick in das Privatleben, zum Beispiel, dass jemand eine Missbrauchserfahrung gemacht hat oder einen gewalttätigen Ehepartner hat. Solche Informationen können ja selbst höchste Amtsträger erpressbar machen.
"Internationale Online-Konzerne halten unser komplettes Online-Leben fest"
Fischer: Nun erleben wir ja, wenn wir das Internet nutzen, ständig, dass die Seiten uns fragen, wir sollten möglichst den Cookies zustimmen. Wir machen das dann, damit es schneller geht, damit wir ans Ziel kommen, aber diese Datensammlerei ist ja im Prinzip wahrscheinlich noch viel umfangreicher als diese Kompetenzen, die das BKA dort bekäme.
Breyer: Die internationalen Online-Konzerne sammeln in der Tat meistens jeden unserer Klicks, jedes Suchwort, was wir eingeben, halten also eigentlich unser komplettes Online-Leben fest, was eine Riesengefahr ist, wenn die Informationen in falsche Hände gelangen. Aber auch schon bei den Konzernen selbst werden diese Informationen über unsere Persönlichkeit dazu verwendet, um uns zu manipulieren durch Werbung, aber auch politisch zu beeinflussen, wie gerade der Cambridge-Analytiker-Skandal gezeigt hat.
Wenn jetzt auf diesen Datenschatz, der bei den Konzernen vorhanden ist, auch die staatlichen Behörden Zugriff nehmen, dann reden wir nicht mehr über Werbung oder Manipulation, dann reden wir darüber, dass im Fall eines falschen Verdachts auch Personen verhaftet oder schon alleine Ermittlungen, zum Beispiel in der Nachbarschaft, massive Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben können.
"Das zieht weite Kreise über die Zielperson hinaus"
Fischer: Also diese Daten wären beim Bundeskriminalamt in falschen Händen?
Breyer: Das Bundeskriminalamt hat in der Vergangenheit leider bewiesen, dass es viel zu leichtfertig mit seinen Befugnissen umgeht und zum Beispiel, wenn jemand, ein Verdächtiger, in einem Haus wohnt, einfach die Daten von allen Bewohnern dieses Hauses abfragt oder auch von Kontaktpersonen, nur weil man in Kontakt war mit einem Verdächtigen. Das heißt, das zieht weite Kreise, weit über Personen hinaus, die wirklich Zielpersonen sind, und man sehr leicht mit in dieses Raster geraten. Das liegt daran, dass diese Vorschriften viel zu weit sind.
"Es muss datenschutzrechtlich korekt gemacht sein"
Fischer: Es gibt ja Beispiele für diese private, quasi hoheitliche Aufgabe, ich denke da zum Beispiel an die Banken, die an das Finanzamt melden, oder die Arbeitgeber, die an Krankenkassen melden. Warum sollte nicht Facebook ans BKA melden?
Breyer: Grundsätzlich ist das absolut eine gute Sache, dass wenn Straftaten bekannt werden, dass das natürlich nicht nur irgendwie zur Löschung der Straftat führt oder auch den Nutzer auszuschließen, sondern dass das auch strafrechtlich verfolgt wird. Das ist ja überhaupt das einzig wirksame Mittel, um gegenzusteuern, was die Strafverfolgungsbehörden haben.
Aber es muss datenschutzrechtlich korrekt gemacht sein, und das ist hier nicht passiert, da ist geschlampt worden. Wie gesagt, der Kern des Kritikpunktes ist nicht diese Meldepflicht, der Kern ist die Zugriffsbefugnis des Bundeskriminalamts, ohne dass eine Straftat bekannt geworden ist. Die setzen nämlich nicht voraus, dass eine schwere Straftat vorliegt, sondern es reichen Ordnungswidrigkeiten.
Es geht auch über das Bundeskriminalamt hinaus beispielsweise um den Verfassungsschutz, auch die Geheimdienste erhalten Zugriff, und mit Hasskriminalität hat das nichts mehr zu tun.
Schutz der Anonymität der Internetnutzer würde beeinträchtigt
Fischer: Also noch mal gefragt: Zugriff auf was, auf Adressdaten oder auf Inhalte oder auf was?
Breyer: Die Behörden erhalten mit diesem Gesetz Zugriff auf die Daten von Internetnutzern, und zwar sowohl auf Kundendaten, auf die Identität von Internetnutzern, als auch auf Nutzungsdaten. Das heißt, wann haben wir welche Internetseite aufgerufen, wonach haben wir gesucht, was haben wir im Internet auch geschrieben und gepostet. Das beeinträchtigt natürlich den Schutz der Anonymität der Internetnutzer, der für viele benachteiligte Gruppen wichtig ist, aber auch für Whistleblower, für politische Aktivisten von großer Bedeutung ist. Das heißt, man kann im Grunde genommen sich kaum frei im Internet äußern und informieren, wenn man damit rechnen muss, dass einem daraus ein Strick gedreht werden kann.
Fischer: Und die effektive Bekämpfung von Hass und Extremismus im Netz geht nach Ihrer Ansicht durchaus mit weniger Grundrechtseingriffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.