Samstag, 20. April 2024

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Brief aus Griechenland
"Griechen sind wie Elefanten im Porzellanladen aufgetreten"

Der Brief der Griechen führe zu Bewegung in den Verhandlungen, aber er sei in keinem Fall ausreichend, sagte Günther Oettinger (CDU), EU-Kommissar für Digitalwirtschaft, im DLF. Denn er mache zu Sparvorgaben und Reformen keine belastbaren Aussagen. Die Ablehnung dieses Briefes sei aber auch durch die Vorgeschichte bedingt.

Günther Oettinger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 20.02.2015
    Der EU-Kommissar Guenther Oettinger (CDU)
    Der EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) (imago stock&people / Reiner Zensen)
    Oettinger kann die Ablehnung des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble (CDU) nachvollziehen. Die Griechen hätten viel getan, um Vertrauen der europäischen Partner zu verbrauchen.
    Man müsse gemeinsam die bisherigen Reformzusagen einfordern, sagte Oettinger im DLF. Nur so sei es möglich, von der Gesamtverschuldung herunterzukommen und die Handlungsfähigkeit Griechenlands wieder herzustellen. Im Rückblick seien aber auch manche Forderungen kritisch zu bewerten. So entspreche die fehlende Gesundheitsversorgung für jeden vierten Griechen nicht dem Menschenbild der EU.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Vielleicht spielt bei der gegenwärtigen Kommunikationsstörung tatsächlich auch das äußerliche Erscheinen eine Rolle. Vielleicht wäre alles einfacher, wenn Jannis Varoufakis das Hemd in der Hose und unter dem Hemdkragen eine Krawatte trüge. Anfangs mag die eine oder der andere unter den Amtskollegen das lässige Auftreten des neuen griechischen Finanzministers als cool empfunden haben.
    Das hat sich schnell abgenutzt. Tenor im Kreise der Ressortchefs: Der Typ nervt. Heute sieht man sich wieder. Die Finanzminister der Eurogruppe kommen abermals zusammen, um über die griechische Schuldenkrise zu beraten. Gestern traf der Brief beim Chef der Eurogruppe ein, in dem Griechenland eine Verlängerung des Rettungsprogramms beantragt - mit einem Schönheitsfehler, meint Wolfgang Schäuble.
    Jeder, der sich schon einmal Geld geliehen hat, weiß, dass er dafür Verpflichtungen eingehen muss, und dazu sei die griechische Regierung - so meint der Bundesfinanzminister - nicht bereit. Deshalb sagte Wolfgang Schäuble postwendend Niet.
    Die "Bild"-Zeitung fasst das in der ihr eigenen Sprache heute so zusammen: "Riesenwatschen für die Griechenraffkes". Gestern Abend gab es ein Telefonat zwischen dem griechischen Ministerpräsidenten Tsipras und der Bundeskanzlerin. Dabei hat er sich offenbar über die harte deutsche Position in der Eurogruppe beschwert.
    Am Telefon ist Günther Oettinger, Mitglied der Europäischen Kommission. Guten Morgen!
    Günther Oettinger: Guten Morgen.
    Heinemann: Herr Oettinger, ist der griechische Antrag brauchbar?
    Oettinger: Der Brief der griechischen Seite führt zu einer neuen Sitzung der Eurozone heute Nachmittag. Insoweit ist Bewegung in den Verhandlungen. Aber er ist in keiner Form ausreichend, weil er bei milliardenschweren Geschäften, bei Krediten, bei Fragen, die die Schuldentragfähigkeit Griechenlands berühren, zum Thema der Fortführung des Sparkurses und zum Thema weitere Reformen keine belastbaren Aussagen macht.
    Insoweit kann der Minister aus Athen heute Nachmittag nachlegen. Er kann sich hier verbindlich verpflichten. Dann kommt Bewegung ins Spiel. Ansonsten wäre der Brief eher ein Ablenkungsmanöver.
    "Sie haben ganz schön viel getan, um Vertrauen seitens ihrer europäischen Partner zu verbrauchen"
    Heinemann: Sie teilen Wolfgang Schäubles Ablehnung?
    Oettinger: Ich kann seine Bewertung nachvollziehen. Ja, ich teile seine Ablehnung. Ob der Brief jetzt vielleicht ein, zwei mehr freundliche Sätze am Anfang und Ende hätte haben können, ganz andere Frage. Aber man muss das Ganze auch im Lichte der Vorgeschichte sehen.
    Die Griechen sind wie Elefanten im Porzellanladen aufgetreten, haben Vertrauen zerstört, haben taktiert, haben die Karten nie auf den Tisch gelegt, kommen jetzt langsam zum Bewusstsein der realen Zahlen, aber sie haben ganz schön viel getan, um Vertrauen seitens ihrer europäischen Partner zu verbrauchen.
    Heinemann: Herr Oettinger, wieso begrüßt dann Jean-Claude Juncker dieses Schreiben und wieso mischt der sich überhaupt ein? Er sitzt ja gar nicht mit am Verhandlungstisch.
    Oettinger: Die Kommission und damit unser Präsident sind über die Troika, das heißt über den Kreis von Mitarbeitern, der die Reformmaßnahmen begleitet, der auch gewisse Kontrollen ausübt, mit am Tisch.
    Hinzu kommt, dass die Kommission ja auch in der sachlichen Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung Griechenlands verantwortlich ist. Wir machen unsere Fortschrittsberichte und betrachten genau, wo steht die Wirtschaft Griechenlands, ist die Haushaltspolitik mittelfristig erfolgreich, wo steht die Schuldentragfähigkeit. Deswegen muss er hier mitwirken. Er begrüßt den Brief, aber ich glaube nicht, dass er in der Sache mit dem Inhalt zufrieden ist.
    "Es kann nicht sein, dass der Reformkurs abbricht"
    Heinemann: Genau! Er hat den Brief begrüßt. Was stört den Kommissionspräsidenten nun wiederum genau inhaltlich?
    Oettinger: Klar ist doch, wir müssen gemeinsam die bisherigen Reformzusagen erwarten. Es kann nicht sein, dass der Reformkurs abbricht. Und wir brauchen einen Haushaltsüberschuss vor Zins und Tilgung.
    Heinemann: 4,5 Prozent?
    Oettinger: Der sollte in diesem Jahr drei Prozent und in nächsten Jahr viereinhalb Prozent sein. Und ob der eingehalten wird, ist in dem Brief überhaupt nicht erwähnt.
    Heinemann: Und muss der eingehalten werden?
    Oettinger: Ich glaube, ja. Die Griechen sind bei über 175 Prozent Gesamtverschuldung, bezogen auf ihr Bruttosozialprodukt, und kommen erst dann runter Richtung 120 Prozent oder gar weniger und damit wieder in eine eigene Handlungsfähigkeit, wenn sie losgelöst von Tilgung und Zins einen Überschuss aus den Steuereinnahmen erwirtschaften.
    Das sind die drei Prozent oder viereinhalb Prozent und an die muss man sich, glaube ich, halten. Ansonsten ist die Schuldentragfähigkeit Griechenlands nicht glaubwürdig.
    "Die Troika hat letztendlich ihren Dienst getan"
    Heinemann: Herr Oettinger, Jean-Claude Juncker hat ja in dieser Woche die Arbeit der internationalen Gläubiger-Troika ungewöhnlich deutlich kritisiert. Er hat gesagt, man hat wirklich gegen die Würde der Völker verstoßen, gerade in Griechenland. Das ist O-Ton EU-Kommissionspräsident. Teilen Sie diese Auffassung?
    Oettinger: Man wird im Rückblick sicherlich kritisch prüfen müssen, ob wir bei allen Reformauflagen richtig gelegen sind.
    Jean-Claude Juncker beschäftigt sich vor allen Dingen damit, dass jeder vierte Grieche nicht mehr in der Gesundheitsversorgung Griechenlands ist, dass er nicht mehr Anspruch auf Medizin und Arztbehandlung hat. Das ist in der Tat eine gravierende Entwicklung, die eigentlich nicht der Würde und dem Menschenbild Europas entspricht.
    Insoweit gebe ich ihm Recht. Aber ansonsten: Die Troika, das sind unsere Beamten, das sind jetzt seine Beamten, das sind die Beamten des IWF, die hervorragende Fachleute sind, das ist die EZB, die unser Vertrauen genießt. Ich glaube, die Troika hat letztendlich ihren Dienst getan. Die Kritik von Jean-Claude Juncker zielt eigentlich eher auf die Politik und nicht auf die ausführende Troika.
    "Die Griechen haben einfach den Wahlkampf fortgeführt"
    Heinemann: Wie erklären Sie sich Inhalt und Ton - Sie sprachen eben von den Elefanten im Porzellanladen - der griechischen Forderungen der neuen griechischen Regierung?
    Oettinger: Die Griechen haben einfach den Wahlkampf fortgeführt. Die haben die Wahlkampfbühne von Athen nach Brüssel verlagert, und das geht nicht. Sie haben, glaube ich, einen unsäglichen Wahlkampf geführt. Sie haben allen alles versprochen. Normal hätten sie mit dem Wahlkampf und den Versprechen 70 Prozent der Wählerstimmen bekommen müssen, nicht nur 34 Prozent.
    Aber sie müssen jetzt endlich in der Realität ankommen, denn sie brauchen zu allererst ihre 18 Partner in der Eurozone und sie brauchen den IWF, der, in den USA sitzend, nicht nur von Europäern getragen wird. Und sie brauchen die Verlängerung der Programme.
    Es geht um zig Milliarden und da ist man gut beraten, wenn man mit offenen Karten spielt, wenn man nicht trickst und wenn man sich auch in den Manieren halbwegs an die Kinderstube erinnert.
    Zeitpunkt der Schuldentilgung "halte ich für sekundär"
    Heinemann: Nun kommen heute, Sie haben das auch gesagt, die Minister der Eurogruppe zusammen. Wo sehen Sie Spielraum?
    Oettinger: Wir haben ja schon mehrfach erwähnt, dass man in der Frage, bis wann die Schulden zu tilgen sind, über eine weitere Verlängerung der Zeitachse sprechen kann.
    Ob das dann fünf oder zehn Jahre später eintritt, dass die Schulden getilgt sind, halte ich für sekundär. Man kann auch die Frage prüfen, ob man den Zins, den Griechenland zu zahlen hat, noch mal etwas senkt. Aber ansonsten muss klar sein: Die Griechen haben Schulden, sie brauchen weiter die Kredite der Eurozonen-Länder, in der Eurozone sitzen Länder, die sind im Lebensstandard unterhalb der griechischen Bürger, haben ein geringeres Nettoeinkommen, haben geringere Sozialstandards.
    Das heißt, weniger Deutschland!
    Mehr Slowenien, mehr die Slowakei, mehr die baltischen Staaten sind genervt davon, dass Griechenland so tut, als ob sie, wenn man nur die Spielregeln ändert, wenn man nur die Sprache ändert, wenn man nur unverschämt auftritt, bessere Konditionen bekommen. Das geht nicht.
    "Wir sind gutwillig, aber nicht dumm"
    Heinemann: Herr Oettinger, Sie sind ein erfahrener Vermittler. Sie haben damals in dem Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine den Mediator gegeben. Wie bekommt man trotz vorgeblich verfahrener Ausgangslagen Kühe vom Eis?
    Oettinger: Unverändert gilt für uns, wir streben an, dass Griechenland in der Eurozone bleibt. In der Europäischen Kommission will niemand, und zwar auch nicht als Plan B, den Austritt Griechenlands als Ziel. Der kann vielleicht unvermeidbar sein, aber wir wollen ihn verhindern und wollen alles tun, was im Rahmen der Gerechtigkeit und der Zumutbarkeit in der Eurozone geht.
    Wir wollen auch mit dem europäischen Haushalt und in unseren Programmen noch mehr tun, um Arbeitsplätze, um Wachstum in Griechenland zu befördern. Das heißt, die griechische Regierung muss einfach verstehen: Wir sind gutwillig, aber nicht dumm. Wir sind entgegenkommend, aber lassen uns nicht ausnehmen.
    Auf der Grundlage halte ich in den nächsten acht Tagen noch immer eine Einigung für möglich, gegebenenfalls durch eine weitere Sitzung auf Ebene der Regierungschefs. Vielleicht muss dazu die Ebene der Regierungschefs nächste Woche nach Brüssel kommen, um dann über Nacht noch eine Einigung zu erreichen.
    Heinemann: Aber Sie halten diese Einigung bis zum Monatsende für möglich?
    Oettinger: Ich halte sie für denkbar und der Deutsche Bundestag kann am nächsten Freitag, heute in einer Woche, gegebenenfalls zustimmen, die finnischen Parlamentarier ebenso. Das heißt, es sind noch sieben Arbeitstage vor uns.
    Heinemann: Günther Oettinger, EU-Kommissar, Mitglied der Europäischen Kommission. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Oettinger: Ich danke auch, einen guten Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Über Günther Oettinger:
    Geboren 1953 in Stuttgart, Baden-Württemberg. Der CDU-Politiker studierte Rechtswissenschaften an der Universität Tübingen, wo er 1982 sein zweites Staatsexamen ablegte. Seine politische Laufbahn begann 1977 mit der Gründung eines Ortsvereins der Jungen Union in Dittzingen. Von 2005 bis 2010 war er Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, im Anschluss daran wechselte er als Kommissar zur Europäischen Kommission und war dort zunächst für Energiethemen zuständig, seit 2014 für die Digitalwirtschaft.