Dienstag, 19. März 2024

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Briefe an Beethoven
"Lieber Ludwig, ich habe schon immer Deine Arbeitsdisziplin bewundert"

Kristjan Randalu gehört zu den spannendsten Jazz-Pianisten der jüngeren Generation. In seinem Brief an Beethoven adressiert er den Komponisten als wäre der noch leibhaftig unter uns. Randalu fragt ihn nach Hörgeräten, der neuen Sinfonie und den Auswirkungen der Corona-Pandemie.

Von Kristjan Randalu | 03.08.2020
    S/W Bild. Das Gesicht eines Mannes ist hinter einem Flügel am äußeren linken Rand zu sehen. Der Gesichtsausdruck konzentriert, der Blick gesenkt.
    Pianist Kristjan Randalu wurde 1978 in Tallinn geboren (Kristian Kruuser)
    Lieber Ludwig,
    es ist mal wieder eine Weile her. Wie geht es Dir in dieser seltsamen Zeit? Ich hatte mich bereits auf ein Wiedersehen in Wien gefreut, aber mit den ganzen Absagen und Unregelmäßigkeiten durch die Corona bedingten Beschränkungen wurden alle Pläne zunichte gemacht oder erstmal verschoben.
    Du hattest letztens ein paar Endorsement-Angebote für Hörgeräte erwähnt. Konntest Du mittlerweile etwas Passendes finden? Funktioniert die Technik mit Musik tatsächlich auch bei Online-Übertragungen?
    Ich muss an den zweiten Satz Deiner 7. Sinfonie denken. Als professioneller Musiker beschreibt man musikalische Erfahrungen nicht unbedingt mit Begriffen wie Gänsehaut und daher habe ich diese Erfahrung für mich öfters auch mit den Klimaanlagen in den Sälen begründet. Mittlerweile ist mir klargeworden, dass es nicht an der Temperatur liegt. Es ist der Klang der Streicher. Die akustische Schwingung in Echtzeit und vor Ort bleibt für mich weiterhin unersetzbar.
    Wenn ich selber spiele, das Material beim Flügel vibriert und man es physisch erfährt. Kein digitales Gerät kann diese Wahrnehmung ersetzen.
    Aber wem schreibe ich das?
    Wie kommt die 10. Sinfonie voran? Das neue C-Dur-Quartett kann natürlich aufgeführt werden, wenn auch vor kleinerem Publikum. Oder Open Air mit Verstärkung und mehr Zuhörern? Wie planst Du die größere Besetzung, falls ein komplettes Orchester nicht auf der Bühne sein darf? Eine alternative Fassung für Ausnahmesituationen wie diese?
    Die Monate ohne Reisen und Konzerte sind bisher eine gute Zeit gewesen, um bereits vereinbarte Projekte inhaltlich vorzubereiten und auch über längere Zeiträume verschobene Aufträge fokussiert anzugehen.
    Konntest Du die aufgezwungene Auszeit kreativ nutzen? Ich habe schon immer Deine Arbeitsdisziplin bewundert, wie Du aus den kleinsten Motiven ein ganzes musikalisches Universum schaffen kannst. Ideen und Einfälle sind meistens kurz, aber Deine Entwicklungen dieser Funken sind eine große Inspirationsquelle für mich.
    Viele Fragen – so gerne hätte ich diese bei einer schönen Flasche Weißwein mit Dir diskutiert.
    Für konkrete Pläne bleibt die Situation erstmal zu ungewiss. Zu viele Nachrichten über eine mögliche zweite Welle der Pandemie sind nicht gerade förderlich für das ohnehin von kollektiven Stimmungen und theoretischen Prognosen abhängige Kulturleben. Ich melde mich, wenn die Wien-Pläne wieder konkret werden.
    Herzliche Grüße,
    Kristjan Randalu