Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Briefe an Beethoven
„Lieber Ludwig, ich sah Dein Violinkonzert in Farben“

Beethovens Violinkonzert als Fest der Sinne wahrzunehmen – das habe sein Leben geprägt, schreibt der Liedermacher Konstantin Wecker in seinem Brief an den berühmten Komponisten. Der Rebell in Beethoven, aber auch der Melodiker und zutiefst menschliche Künstler habe ihn immer sehr fasziniert.

Von Konstantin Wecker | 19.10.2020
    Ein Mann in weißem Hemd, kurzem weiß-grauen Haar und Bart lächelt in die Kamer. Er ist im Halbporträt vor einer bunt bemalten Wand zu sehen.
    Ludwig von Beethoven sei ihm immer sehr nahe gewesen, bekennt der Musiker Konstantin Wecker (Thomas Karsten)
    Lieber Ludwig,
    ich war gerade mal zwölf Jahre alt und versuchte, Deine Sonaten am Klavier zu gestalten, jene Sonaten, die mir Ton für Ton mein Leben lang im Gedächtnis bleiben werden und mich geprägt haben wie wenige andere Klaviermeisterwerke.
    Und dann erinnerte ich mich, dass gegen Abend Dein Violinkonzert im Bayerischen Rundfunk gesendet werden sollte. Ich war allein zu Hause und richtete es mir vor dem Rundfunkapparat ein. Keine Kopfhörer damals und kein besonders großartiges Sounderlebnis - aber immerhin: ein ganzes Orchester bei uns zu Hause im Wohnzimmer.
    "Ein Fest der Sinne"
    Und da passierte mir etwas, was mein Leben geprägt hat: Ich sah Dein Violinkonzert in Farben. Jede Tonhöhe hatte ihre eigene Farbe, die Welt um mich herum tanzte in Farben, und Hören und Sehen vermischten sich so großartig, wie ich es nie mehr wieder erleben durfte. Ich hätte nie gedacht, dass so ein Fest der Sinne ohne psychedelische Drogen möglich sein kann - wenn ich es nicht in so jungen Jahren erfahren hätte dürfen.
    Hamburg: Generalmusikdirektor Kent Nagano aus den USA, aufgenommen am Rande der Jahres-Pressekonferenz des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg
    Briefe an Beethoven - "Sie sind ein Prometheus, der uns Menschen Feuer gibt"
    "Ihre Stimme wird noch lange Zeit unseren Nachkommen in den Herzen klingen", schreibt Dirigent Kent Nagano in seinem Brief an Ludwig von Beethoven.
    Und gerade mal ein paar Jahre ist es her, dass ich meinen Text "Den Parolen keine Chance" vertonte, und ich ahnte zwar, dass ich da etwas geklaut haben könnte, aber dass ich ausgerechnet das herrliche Freudenthema aus dem Finale Deiner 9. Sinfonie in diesem Moment nicht erkannt habe und für meine eigene Eingebung gehalten habe, ist schon leicht wahnsinnig. Vielleicht sind wir ja seelenverwandter, als mancher so denkt …
    "Der Rebell in Dir faszinierte"
    Ich erzähle gern meinem Publikum, dass ich völlig vergessen hatte, dass ich diese Melodie schon vor über 200 Jahren komponiert habe.
    Nun mein lieber Ludwig - ich könnte jetzt als Opernliebhaber noch so viel über Deinen Fidelio erzählen, wie mich dieses Meisterwerk die Jahrzehnte über begleitete. Ich habe es gesungen und korrepetiert und in den verschiedensten Inszenierungen gesehen und ach noch so vieles mehr.
    Vielleicht war es der Rebell in Dir, der mich immer so faszinierte? Der Melodiker? Der wütendweiche und so zutiefst menschliche Künstler? Du warst mir immer nahe. Sehr nahe, Ludwig.
    Alles Liebe
    Dein Konstantin Wecker