Donnerstag, 18. April 2024

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Briefe an Beethoven
"Lieber Ludwig, Kinder lieben Deine Musik!"

Pianist Martin Stadtfeld kritisiert in seinem Brief an Beethoven den Lehrermangel an Grundschulen. Dabei würden Kinder Beethovens Musik nicht nur verstehen, sondern auch lieben. Wenn man sie ihnen denn zeigen würde.

Von Martin Stadtfeld | 01.06.2020
Ein junger Mann sitzt mit überkreuzten Beinen in einem herbstlichen Wald.
Der Pianist Martin Stadtfeld ist mit seinen Bach-Einspielungen bekannt geworden (Yvonne Zemke, Sony Classical)
Lieber Ludwig,
eigentlich warst Du immer schon da. Solange ich denken – nein – fühlen kann. Also immer. Auf Schallplatte hörte meine Mutter Deine Musik, und wenn ich als Baby eben noch geschrien hatte, wurde ich dann ruhig und sog Deine Klänge in mich auf, so erzählte sie es mir. Deine Klavierkonzerte liefen auf CD, und ich stoppte als Kind das Spiel und lauschte gebannt diesen Klängen. Kinder verstehen Beethoven. Kinder lieben Deine Musik. Und sie verstehen sogar, dass Deine Musik dieses Ernste hat, auch wenn sie manchmal witzig ist. Und dass sie tiefgründig ist, weil es in ihr immer ums Leben geht. Und dass in Deiner Musik – auch wenn sie so schön ist – immer auch eine Traurigkeit wohnt.
Als ich dann selber mit dem Klavier begann, wurde Bach so ein bisschen mein Hausgott. Aber Du bist einfach immer da, wenn man Dich braucht. In der Jugend, wenn Du es mir erlaubt hast, durch Deine Violinsonaten in Dein auch noch jugendliches Herz zu schauen. Oder mich Dein langsamer Satz der 7. Sinfonie bis ins Mark erschütterte. Und es ist immer noch so: Wenn ich Klänge aus der Pastorale höre, wird mir ganz gewiss, eine Heimat zu haben, eine Identität, einen Sinn. Dafür kann ich Dir nicht genug danken.
Dieses Jahr sollte das Deinige werden. Landauf und landab sollten Deine Werke erklingen. Und ganz ehrlich: Der Gedanke daran war gar nicht so nervig. Denn im Gegensatz zu diesem überzuckerten Mozart-Jahr 2006 erschien es durchaus erfreulich, dass viele Deiner Werke mal wieder in den Fokus gerückt würden. Die 8. Sinfonie hört man einfach zu selten, dabei lacht man doch Tränen, wenn sie gut gespielt wird und stellt hinterher fest, dass es Tränen der Rührung waren. Oder Deine Klaviertrios Opus 70, als Du begonnen hast, konsequent in jedem Takt das Erwartete zu unterlaufen, und trotzdem jeder Ton genial ist.
Deine Klaviersonaten...naja, die haben mich nie so in den Bann geschlagen. Sie scheinen mir bis auf Ausnahmen doch eher Ort Deiner Nebengedanken zu sein. Manche langsamen Sätze der frühen Sonaten, die Appassionata als Statement, Opus 111 als persönlicher Abschied sind allerdings bewegende Momente.
Sinfonien als Lebensmission
Es erschien mir gut, dass im Beethoven-Jahr Deine Sinfonien wieder ins Zentrum rücken, denn dazu bist Du doch auf die Welt gekommen, das war Deine Lebensmission, Dein persönlicher Beethoven-Auftrag: Sinfonien zu schreiben, die Botschaft an die Menschheit sind. Die künden von neuen, besseren Zeiten, vom Mut, den man braucht und vor allem: Vom Zusammenhalt gegen die da oben.
Ein bisschen haben wir Dich verloren, lieber Ludwig, in einer haltlosen Zeit, in der jeder seines Glückes Schmied ist und Entscheidungen alternativlos sind. In der uns immer alles zu unserem Besten verkauft wird.
Auch deshalb, weil wir dabei waren, Dich zu verlieren, fand ich das gar nicht so schlecht mit dem Beethoven-Jahr.
Aber Du ahnst es schon, wegen des ewigen Konjunktivs: Tatsächlich. Das Beethoven-Jahr ist ausgefallen. Wegen Corona. Kultur fällt jetzt eh aus. Auf unbestimmte Zeit. Das ist aber nicht so schlimm, weil sie nicht sehr wichtig ist, hat man uns erklärt. Und Fragen muss die Musik ohnehin nicht mehr stellen. Heute haben wir nämlich auf alles eine Antwort. Wenn Du das noch hättest erleben können!
Corona und Clickbaiting
Also wegen Corona kein Beethoven. Zwei Sachen gehen nicht. Auch die Medien müssen sich im Kampf beim Clickbaiting ja auf eine Sache konzentrieren. Clickbaiting? Ach so, heute ist es wichtig, dass Contents geklickt werden im Internet? Content? Internet? Ach vergiss es. Eine Sache ist halt gut, wenn sie viel konsumiert wird. Und gut konsumierbar ist. Mit Deinen späten Streichquartetten hast Du auf’s falsche Pferd gesetzt. Besser schon Deine Neunte. Als hohler Ausdruck dessen, dass man sich für was Besseres hält. Ein schöner Satz aus einer bekannten Zeitung, nachdem sie für die Leader der Welt bei G 20 gespielt wurde, das war so eine Art Wiener Kongress von heute: "Die Kanadierin Chrystia Freeland hat sogar ihre Füße über die Lehne des freien Vordersitzes gelegt und genießt in dieser lässigen Haltung das Konzert". Cool, oder? Ich vermute aber, der Soundtrack zum neuesten Hollywood Blockbuster hätte ihr noch besser gefallen! Aber es gibt keine Zensur mehr. Heute schreiben die Zeitungen eh alle das Gleiche, weil man endlich rausgefunden hat, was die richtige Meinung ist. Gut, oder?
Vielleicht, lieber Ludwig, ist es gar nicht so schlecht, dass es gerade keine Kultur gibt. Vielleicht ist es wirklich Zeit zur Besinnung.
Viele Kinder kennen Dich eh nicht mehr. "Der musisch-ästhetische Bereich in der Grundschule ist sehr wichtig, wird aber total vernachlässigt", heißt es beim Grundschulverband. Lehrermangel halt. Also entweder fällt der Unterricht aus oder wird von Lehrern gegeben, die von Musik keine Ahnung haben. Die spielen dann ihre liebsten Popsongs. Popsongs? Schwieriges Thema. Deutschland 2020. Beethovenjahr.
Dabei verstehen wie gesagt die Kinder doch Deine Musik. Das mit dem Ernsthaften, dem Tiefgründigen, und dem Traurigen. Man müsste sie ihnen nur zeigen.
Ich hör jetzt mal auf. Vielleicht sollten wir hier uns erst einmal klar werden, was wir unseren Kindern vermitteln wollen. Welche Werte, oder ob überhaupt, muss ja nicht. Aber dann sollen sie wenigstens aufhören mit dem Gerede von der Kulturnation. Ich melde mich vielleicht mal wieder, wenn es bessere Neuigkeiten gibt. Im Moment sieht’s nicht so gut aus.
Dein
Martin Stadtfeld