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Briefe an Beethoven
"Warum schreibst Du für Horn oft so heikel?"

Die Hornistin Marie-Luise Neunecker hört in vielen Werken Beethovens seine Liebe zum Hornklang - und ist ihm dafür sehr dankbar. Doch einen kleinen Änderungswunsch hat sie an ihn.

Von Marie-Luise Neunecker | 16.11.2020
    Eine Frau mit langen dunkelblonden Haaren trägt einen schwarzen Mantel und hält mit ihrer rechten Hand ein Horn vor sich. Sie steht auf einer Allee, die Pflanzen sind im Hintergrund unscharf zu erkennen.
    Wünscht sich von Beethoven eine neue Regieanweisung in der Oper "Fidelio": die Hornistin Marie-Luise Neunecker. (Janne Saksala)
    Lieber Ludwig,
    sag mal, wie lange hattest Du Hornunterricht bei Simrock? Man erzählt, dass Du ihm das Sextett für zwei Hörner und Streicher als Freundschaftsdienst versprochen hattest, bevor Du nach Wien gingst. Ich frage mich, ob Simrock den tiefen Hornpart wirklich spielen konnte oder wolltest Du ihn damit etwas ärgern? Vielleicht ist deshalb Deine Horn-Sonate nicht bei Simrock erschienen. Also warum schreibst Du für Horn oft so heikel? Du müsstest doch wissen, wie sich das anfühlt. Der Ausspruch "No risk, no fun" könnte auch von Dir stammen. Egal. Deine Liebe zum Hornklang ist in so vielen deiner Werke zu spüren, und ich bin Dir dafür sehr dankbar.
    Deine Musik verrät viele weibliche Anteile Deiner Persönlichkeit
    Die Leonoren-Arie in Deiner Oper "Fidelio": Einfach genial, wie Du die drei Hörner dieser starken, tapferen und pflichtbewussten Frau zur Seite stellst. Diese bedingungslose Gattenliebe. Gibt es eigentlich auch eine Gattinnenliebe? Wikipedia findet da leider nichts. Ich stelle mir mal zum Spaß diese wunderbare Oper "Fidelio" mit den Hauptrollen Leonor und Florestine vor. Hätte die Oper denselben großen Erfolg, wenn ein Mann seine Frau aus Pflichtbewusstsein und Gattinnenliebe rettet? Kaum vorstellbar. Immerhin Orpheus hatte es versucht, aber vergeblich. Oder wären gar die Konstellationen "Leonor und Florestan", "Leonore und Florestine" denkbar? Pardon. Das führt jetzt, glaube ich, zu weit.
    Warum muss sich Leonore eigentlich als Mann verkleiden? Ach so, ja, alle Menschen werden Brüder. Gut, dass sich das Frauenbild in den letzten 200 Jahren etwas gewandelt hat. Stell Dir vor, die Frauen dürfen mittlerweile alle Instrumente spielen, nicht nur Klavier. Sogar Horn! Eigentlich könnte Dir das gefallen. Ich glaube, dass Du gar nicht so männlich warst, wie Du oft dargestellt wirst. Deine Musik verrät viele weibliche Anteile Deiner Persönlichkeit, wenn man überhaupt diese Kategorisierungen gebrauchen will.
    Die grobe Unterscheidung und Zuteilung von männlich und weiblich funktioniert in Wahrheit sowieso weder im normalen Leben und schon gar nicht in der Musik. Ein guter Musiker, ob männlich, ob weiblich oder divers ist fähig, die gesamte emotionale Bandbreite zu zeigen. Ich habe die Vorstellung, dass die unsterbliche Geliebte in Deinem Brief eine starke Frau war, so wie Leonore.
    Eine anstrengende Frage: Warum spielen Sie als Frau Horn?
    Zum Schluss noch eine kleine Bitte an Dich: Könntest Du quasi posthum der Leonore-Arie eine kleine Regieanweisung hinzufügen und der Sängerin ein Horn in die Hand geben? Ein Naturhorn wäre schön leicht und dekorativ dazu, würde auch optisch hervorragend zum begleitenden Horntrio im Orchester passen. Warum? Nun, bis heute werden die Hornistinnen mit diesen Fragen belästigt. Warum spielen Sie als Frau Horn? Das ist aber etwas ganz Außergewöhnliches. Ist das nicht fürchterlich anstrengend? Und was machen Sie da mit Ihrer rechten Hand?
    Frau könnte nun wie Evelyn Hamann in der loriot‘schen Jodel-Schule antworten: Da regt mich ja die Frage schon auf. Träte aber Leonore mit einem Horn in der Hand auf, wäre das Bild "Frau mit Horn" in das Unterbewusstsein der Musikkenner eingepflanzt. Eine Horn spielende Frau hätte somit ein opernhistorisches Vorbild und würde uns Hornistinnen das Leben etwas erleichtern. Es wäre mir wirklich eine Herzensangelegenheit und ich verspreche als Gegenleistung Deine wunderbare Horn-Sonate nur noch auf dem Naturhorn aufzuführen.
    In größter Bewunderung und Dankbarkeit für all Dein Schaffen
    Marie-Louise Neunecker