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Briten in Spanien
Die große Brexit-Angst

Der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der EU wird von den 1,2 Millionen Briten, die in der Union leben, mit Sorge verfolgt. Die meisten von ihnen, 310.000, leben in Spanien. Sie haben sich jetzt in Interessenverbänden zusammengeschlossen, denn bislang, so die Klage, kamen sie kaum zu Wort.

Von Hans-Günter Kellner | 13.03.2017
    "English first", aufgenommen in Benalmádena, Spanien. Überall in dem Ort sind englischsprachige Hinweise zu sehen.
    Der Brexit beunruhigt viele Bewohner in den Briten-Enklaven Spaniens, hier in Benalmádena. (picture alliance / Emilio Rappold/dpa)
    Die 30-jährige Laura Cobbold arbeitet für ein deutsch-britisch-spanisch-französisches Unternehmen in Madrid. Sie ist Britin, aber vor allem fühlt sie sich als Europäerin. Darum ist sie gemeinsam mit anderen Landsleuten zu einer Diskussionsrunde über den Brexit am Sitz des EU-Parlaments in Madrid gekommen. Der britische EU-Austritt ist für sie:
    "Das traurigste, was mir im Leben passiert ist. Ich glaube sehr an das europäische Projekt. Es ist ein Stereotyp, das uns Briten die EU nicht gefällt. 48 Prozent haben gegen den Brexit gestimmt. Die britische Presse schreibt jetzt, wir Briten hätten uns für den Austritt ausgesprochen. Das stimmt nicht. Das war eine hauchdünne Mehrheit, die dafür war."
    Der Sprecher formuliert die Ängste
    Aber eine entscheidende Mehrheit. Darum haben sich in Spanien lebende Briten jetzt zur Vereinigung "Eurocitizens" zusammengeschlossen und in den Räumen der Europäischen Union in Madrid einen Diskussionsabend zu ihrer Zukunft organisiert. Ihr Sprecher, der in Madrid lebende britische Schriftsteller Michael Harris, formuliert ihre Ängste:
    "Wir genießen die EU-Bürgerrechte. Wir dürfen in ganz Europa leben und arbeiten. Wenn ich in Spanien arbeite, dann in Deutschland und später in Italien, beziehe ich später eine europäische Rente. Die wird es nicht mehr geben, wenn das Vereinigte Königreich austritt. Hinzu kommt das Recht auf gesundheitliche Versorgung in ganz Europa. Die Leute werden künftig eine private Krankenversicherung abschließen oder zurück nach Großbritannien gehen müssen. Was passiert mit der Hochschulbildung unserer Kinder, mit der Arbeitslosenversicherung? Als Nicht-EU-Bürger musst Du mit der Ausweisung rechnen, wenn Du arbeitslos wirst. So wird es uns ergehen."
    Zumindest wenn sich die Europäische Union nicht mit Großbritannien auf ein Abkommen zur Sicherung der Rechte der Betroffenen einigt, drohen weitreichende Konsequenzen. Doch die im Ausland lebenden Briten durften beim Referendum gar nicht abstimmen. Wer länger als 15 Jahre im Ausland lebt, verliert in Großbritannien das Wahlrecht. So haben die "Expats", wie man sie nennt, in ihrer Heimat keine große Lobby:
    "Wir haben gute Kontakte zur britischen Botschaft. Sie sind freundliche Diplomaten. Aber vor zwei Wochen war eine Kommission des Unterhauses in Madrid, wir wollten sie treffen, sie haben uns ignoriert. Zusammen mit mehreren Gruppen haben wir der Regierung geschrieben – und keine Antwort erhalten. Es gibt keinen Kontakt zur Regierung. Wir dürfen ja auch gar nicht wählen. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum sie uns missachten. Das ist ein Skandal."
    Beim Sprachtest in Madrid ist der Saal voller Briten
    Harris unterstreicht: Seine Organisation will auch für die Rechte der 100.000 in Großbritannien lebenden Spanier eintreten. Zu den 310.000 Briten in Spanien gehören viele Rentner, aber auch Angestellte, Freiberufler, Ärzte, Krankenpfleger, viele verheiratet mit Spaniern oder anderen EU-Bürgern. Die im Laufe der Jahrzehnte verflochtenen Beziehungen in Europa ließen sich nicht so einfach auseinander dividieren, warnt Harris:
    "Wir haben unsere Familien hier. Meine Frau ist Spanierin. Viele haben Kinder. Auch für viele Rentner wäre ein Rückzug nach Großbritannien ein traumatischer Einschnitt. Wenn jetzt alle Briten zurückgingen, würden die Preise ihrer Wohnungen und Häuser hier in den Keller gehen. In Großbritannien wäre das Gesundheitssystem überfordert, wenn von einem Tag auf den anderen mehrere hunderttausend alte Menschen zusätzlich versorgt werden müssten. Gleichzeitig würden Tausende von europäischen Ärzten und Pflegern Großbritannien verlassen. Das System würde zusammenbrechen."
    Er habe sich nie Gedanken über die Europäische Union gemacht, sagt Michael Harris zum Abschluss, aber mit der Union sei es wie mit vielen wichtigen Dingen im Leben: Ihre Bedeutung werde erst dann klar, wenn man sie verliere.
    Harris hat inzwischen die spanische Staatsbürgerschaft beantragt. Beim Sprachtest in Madrid sei der Saal voller Briten gewesen, erzählt er am Rande der Diskussionsrunde in den Räumen der Europäischen Union in Madrid. Die letzte Frage stellte dort ein junger Brite.
    Ob der Brexit denn überhaupt irgendeinen positiven Aspekt habe, wollte der in Spanien lebende junge Mann wissen. Die Antwort gab das Publikum im Saal. Es lachte laut.