Donnerstag, 28. März 2024

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Britische Abgeordnete Hobhouse
"Im Unterhaus gibt es für 'No Deal' keine Mehrheit"

Ein ungeordneter Brexit würde im britischen Parlament keine Mehrheit finden, sagte Wera Hobhouse, liberale Unterhaus-Abgeordnete, im Dlf. Die britische Regierung brauche mehr Zeit, um ihre Position zu überdenken. Eine verlängerte Übergangsphase wäre wahrscheinlich "der einzige Ausweg", so Hobhouse.

Wera Hobhouse im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.10.2018
    Porträt von Wera Hobhouse, Liberaldemokratin
    Wera Hobhouse, liberaldemokratische Abgeordnete im Unterhaus in London (imago stock&people)
    Sandra Schulz: Wie oft ist jetzt schon gesagt worden, dass die Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien in eine Sackgasse geraten sind, die Verhandlungen um einen Brexit. Gefühlt war häufiger davon die Rede, als dass echte Bewegung gemeldet wurde. Und doch heißt es jetzt immer wieder, der größte Teil der Fragen sei geklärt. Die Kanzlerin sprach gestern von 90 Prozent. Zuletzt ging es um die Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland, vom Schwierigkeitsgrad sicherlich trivialer als die Kugelmachung des Würfels, um das alte Wort von Angela Merkel zu zitieren. Messbare Fortschritte hat auch der Tag / der Abend gestern nicht gebracht.
    Mitgehört hat Wera Hobhouse. Sie ist britische Abgeordnete für die Liberaldemokraten und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
    "Die große Frage ist die irische Grenze"
    Wera Hobhouse: Guten Morgen!
    Schulz: Glauben Sie noch, dass ein Abkommen zu machen ist?
    Hobhouse: Machen wir uns doch noch mal wieder auf, auf das Eingemachte zu gehen. 90 Prozent sind vielleicht akzeptiert worden zwischen beiden Seiten. Aber letztlich ist die große Frage die irische Grenze. Die einzige Lösung mit der irischen Grenze ist, dass Nordirland in der Zollunion und im Binnenmarkt bleibt. Die irischen Nationalisten würden das nicht akzeptieren, denn die wollen, dass Nordirland genauso behandelt wird wie der Rest des Vereinigten Königreiches. Das sagt, ganz Großbritannien muss in der Zollunion und im Binnenmarkt bleiben. Aber Theresa May hat seit über zwei Jahren gesagt, wir treten aus. Sie sitzt in der Falle!
    Schulz: Das wollte ich gerne fragen. Eine Lösung, die von einem Regierungspartner in London abgelehnt wird, ist das überhaupt eine Lösung?
    Hobhouse: Die Lösung, dass man jetzt über die Verlängerung des Übergangsverfahrens spricht?
    Keine Mehrheit im Unterhaus für "No Deal"
    Schulz: Dass Nordirland in der Zollunion bleibt, was Sie gerade vorschlagen.
    Hobhouse: Das ist einfach so nicht möglich, denn die einzige Möglichkeit ist, dass dann das ganze Königreich in der Zollunion bleibt, denn die Grenze soll es ja nicht geben, und das sagen alle, das sagen beide Seiten. Die Frage ist natürlich, ist wirklich die britische Regierung so gegen eine Grenze, denn "No Deal" bedeutet ja auch eine Grenze. "No Deal" ist letztlich auch eine Grenze in Nordirland. Die Übergangsphase oder eine verlängerte Übergangsphase ist natürlich im Moment eine Lösung. Dann kann man darüber noch mal nachdenken, wie könnte man denn diese harte Grenze vermeiden. Allerdings haben die Brexiteers schon gesagt, dann wird die Übergangsphase zum Dauerzustand. Außerdem habe ich verstanden, dass die Europäische Union im letzten Jahr gesagt hat, wir können keine Übergangsphase machen, ohne dass wir wissen, wohin wir eigentlich gehen.
    Schulz: Soweit ich es verstanden habe, ist das genau das, was die Brexitiers nicht wollen. Die wollen ja so schnell wie möglich raus. Es ist dann immer eine Frage, ob das überhaupt ein Entgegenkommen ist.
    Hobhouse: Na ja. Die Brexiteers haben keine parlamentarische Mehrheit. Im Unterhaus gibt es für "No Deal" keine Mehrheit. Uns Parlamentariern ist ja versprochen worden, dass wir über was immer Mrs. May nach Hause bringt, abstimmen können. Nun ist hier seit gestern auch wieder ein Sturm losgebrochen, und selbst wenn das Parlament Nein zum "No Deal" sagt, dass wir trotzdem am 29. März aus der EU crashen. Hier ist wirklich auch die Hölle los. Dass wir das hier einfach mal so ruhig hinnehmen, das ist auf jeden Fall nicht der Fall. Keiner weiß so richtig, wo es langgeht. Aber ich glaube, wenn man nach einer Lösung suchen würde, um das Chaos zu vermeiden, wäre schon die Verlängerung der Übergangsphase eine Möglichkeit. Mrs. May hat gestern Abend ja auch angedeutet, dass sie dazu nicht unbedingt Nein sagen würde.
    "Wir müssen die Menschen noch mal fragen"
    Schulz: Jetzt ist die Lage im britischen Unterhaus, im Parlament ja durchaus kompliziert. Gibt es denn überhaupt eine Option für Theresa May, etwas vorzulegen, wofür sie eine Mehrheit bekommen könnte? Gibt es überhaupt ein Szenario, mit dem sie durchkommen könnte?
    Hobhouse: Ich kann das im Moment nicht sehen. Die Frage ist, was passiert, wenn sie im Parlament keine Mehrheit bekommt? Würde sie dann akzeptieren müssen, entweder den Artikel 50 zu verlängern? Würde die Europäische Union damit einverstanden sein? Würde es einen Regierungswechsel geben? Würde Mrs. May erst mal ausgetauscht werden von einem anderen Führer, Boris Johnson oder wer immer da vorgeschlagen wird? Oder kommt es wirklich zu Neuwahlen?
    Letztlich denke ich, Neuwahlen ist jetzt die einzige Möglichkeit. Allerdings hat die Labour-Partei ja auch nicht angedeutet, dass sie es einfach machen würden, der Bevölkerung oder dem Parlament oder den Europäern, denn die sitzen ja auch und sind sehr gespalten. Wir haben hier in London am Sonnabend eine große Demonstration zum People's World March. Wir finden, die Leute müssen noch mal ran. Wir müssen die Menschen noch mal fragen, wollen wir das wirklich so, ein Chaos oder ein No-Deal-Szenario, oder wollen wir nicht doch in der Europäischen Union bleiben, was, wie Sie ja wissen, die Liberalen hier in England für die richtige Option halten.
    Schulz: Das wollen Sie. Gerade an dieser Frage ist das Land aber gespalten. Wir haben gerade zuletzt die Zahl gesehen, dass zu der Frage, ob es ein zweites Referendum geben soll, wirklich die Meinungen fifty-fifty sind. Wir beobachten diese Diskussion jetzt seit vielen Jahren. Wie kommt es, dass nach wie vor die Brexiteers trotz dieser immer wieder an die Wand gezeichneten Horrorszenarien, sage ich jetzt mal ein bisschen flapsig, dass die immer noch so eine starke Stimme haben?
    Hobhouse: Na ja, ich lebe seit 30 Jahren in England. Wenn man so sieht, wie die Europäische Union in der Presse vor allen Dingen immer dargestellt worden ist – die waren immer die Bösemänner. Wo immer ich sonst im europäischen Festland herumreise, steht die Fahne, sagen wir mal, von Griechenland und die Fahne der Europäischen Union nebeneinander. Gehen Sie mal nach England; da passiert das einfach nicht. Die Engländer fühlen sich nicht als Teil der Europäischen Union. Das ist leider so. Das kann man auch jetzt in so kurzer Zeit nicht einfach umwenden. Aber letztlich: Ich glaube nach wie vor, dass die Engländer nicht so unrealistisch sind, wenn die vor die Möglichkeit eines Chaos gestellt werden, dass sie sich dann doch noch mal, wenn auch etwas verbrummt, der Europäischen Union zuwenden.
    Verlängerte Übergangsphase wahrscheinlich "der einzige Ausweg"
    Schulz: Aber die Frage ist auch: Sie kämpfen jetzt schon seit langer Zeit für ein Exit vom Brexit. Was machen Sie denn da falsch?
    Hobhouse: Na ja. Wir sind als die Liberalen die einzige Partei, die wirklich ganz klar sagt, unser bester Platz ist in der Europäischen Union. Von 650 haben wir zwölf Abgeordnete. Da ist unsere Stimme einfach nicht laut genug. Die Medien hören uns nicht so viel zu wie den anderen beiden großen Parteien, die beide gespalten sind, und die Menschen hören uns auch nicht.
    Aber unsere Forderung war ja ein Referendum on the Deal, dass die Menschen noch mal abstimmen können, und diese Bewegung nimmt ja ganz, ganz doll zu. Als wir im letzten Jahr das gefordert haben, da hat jeder gesagt, die spinnen wohl, aber inzwischen gibt es doch eine kleine, aber eine Mehrheit, dass die Menschen auch sagen, na ja, wir wollen jetzt noch mal abstimmen.
    Schulz: Worauf stellen Sie sich denn jetzt ein, wenn das alles nicht so kommt? Sie sagen es ja gerade: Das ist eine Position, die einfach in Großbritannien auch nicht mehrheitsfähig ist. Wenn der 29. März da ist und es gibt kein Abkommen, worauf stellen Sie sich dann ein?
    Hobhouse: Im Moment gibt es ja erst mal noch die Abstimmung im Parlament. Ich habe ja vorhin schon gesagt, im Parlament gibt es keine Mehrheit für "No Deal". Dann muss die britische Regierung sich doch noch mal umgucken, was sie denn machen könnte. Ich gehe mal davon aus, dass die britische Regierung in den nächsten Wochen darüber nachdenkt, ob sie ihre Position aufweichen kann, und ich glaube, die Übergangsphase, die verlängerte Übergangsphase wäre wahrscheinlich der einzige Ausweg, um diesen ganz schmalen Pass zu lavieren für die britische Regierung. Dann würden die Leute zwar auch sagen, eine längere Übergangsphase, die Brexiteers wollen das nicht, aber die haben auch keine Mehrheit.
    "Jedem noch mal ein bisschen Atem geben"
    Schulz: Wird es nicht so kommen, dass wir dann die Zuspitzung haben, keine Mehrheit für No Deal, aber auch kein mehrheitsfähiger Deal? Was passiert denn dann?
    Hobhouse: Wie gesagt, diese Übergangsphase als Dauerzustand, das kann ich mir vorstellen, oder erst mal verlängert, um jedem noch mal ein bisschen Atem zu geben. Es gibt auch Leute die sagen, innerhalb dieser zwei Jahre könnte man dann eine Lösung für die irische Grenze finden, die auf Technologie basiert ist, denn das ist ja dieser große Streitpunkt: Kann man eigentlich eine Grenze schaffen, wo es zwar keine Grenzanlagen gibt, wo aber doch Zollkontrollen von der Grenze entfernt, schon am Versandort gemacht werden, oder nur ein paar Spotchecks (Stichproben), wie das hier in England heißt, so dass diese Grenze jedenfalls keine physische Grenze ist. Das ist ja im Moment der allergrößte Brennpunkt. Es gibt nach wie vor Optimisten, die glauben, wenn man etwas mehr Zeit hätte, dann könnte man da eine Lösung finden.
    Schulz: Das sagen ja die Befürworter eines schnellen Brexits jetzt schon, dass das mit Drohnen oder mit elektronischen Chips alles zu lösen sei. Ist das Problem am Ende doch überbewertet?
    Hobhouse: Ich würde sagen, wenn es da tatsächlich eine technologische Lösung gäbe, dann würden ja zum Beispiel Länder wie Norwegen und Schweden das auch eingeführt haben. Es gibt ja Zollgrenzen zwischen Ländern und da soll mir mal jemand zeigen – das ist jetzt meine Position -, wo das funktioniert hat.
    Schulz: Wera Hobhouse, Abgeordnete im britischen Unterhaus von den Liberal Democrats und heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.