Dienstag, 19. März 2024

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Britische Abgeordnete Hobhouse
"Johnson will den starken Mann spielen"

Die liberale britische Abgeordnete Wera Hobhouse wirft Großbritanniens Premier Boris Johnson vor, mit seinem jüngsten Brexit-Vorstoß nur die innenpolitische "Propagandamaschine warm halten" zu wollen. Es sei völlig klar, dass die EU ihre Verhandlungsposition nicht ändern werde, sagte sie im Dlf.

Wera Hobhouse im Gespräch mit Christiane Kaess | 21.08.2019
Boris Johnson am Rednerpult vor Downing Street No 10
Boris Johnson ist neuer britischer Premierminister (dpa-news / AP / Matt Dunham)
Der neue britische Premierminister Boris Johnson kommt heute zum Antrittsbesuch nach Berlin. Seinen Brief an die EU, in dem Johnson die Streichung der Backstop-Regelung für die irische Grenze aus dem Brexitvertrag fordert, wertet die liberale britische Unterhaus-Abgeordnete Wera Hobhouse als Wahlkampfaktion. Jeder in Großbritannien und Europa wisse, dass die EU den Backstop nicht aufgeben werde. Johnsons Intention sei, der EU den "Schwarzen Peter" in die Schuhe zu schieben. Er wolle die EU nicht unterstützen, sondern zerstören.
Viele in Großbritannien rechneten mit einem Misstrauensvotum und Neuwahlen, sagte Hobhouse. Sie warb deshalb für eine Fristverlängerung für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Das größte Problem sei allerdings, dass die Oppositionsparteien sich nicht auf eine Zwischenregelung und einen Interims-Regierungschef einigen könnten. Der Labour-Parteivorsitzende Jeremy Corbyn etwa sei umstritten. Sie könne sich aber vorstellen, dass man ihn in Kauf nehme, wenn es keine andere Lösung gebe, um den sogenannten No-Deal-Brexit zu stoppen.

Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Wera Hobhouse, Abgeordnete der Liberaldemokraten im britischen Unterhaus. Guten Morgen, Frau Hobhouse!
Wera Hobhouse: Guten Morgen!
Kaess: Frau Hobhouse, auch wenn Sie Boris Johnson so gar nicht nahestehen, was glauben Sie denn, wollte er mit dem Brief an die EU vor seinen Besuchen bei Merkel und Macron noch bezwecken?
Hobhouse: Eigentlich nur die Propagandamaschine in Großbritannien warmzuhalten, denn er geht ja schon auf den Wahlkampf zu. Es wird bei ihm ja schon berichtet, dass die Gegner gegen den No-Deal sich zusammentun, und alles ist inzwischen schon in Wahlkampfstimmung. Und er will eben sozusagen noch mal sagen – und wie das in Ihrer Presseschau ja auch schon berichtet worden ist – den Schwarzen Peter der EU in die Schuhe schieben, das ist wirklich seine einzige Intention.
Kaess: Also eine rein innenpolitische Botschaft.
Hobhouse: Auf jeden Fall. Es ist ja so klar, dass die EU den Backstop nicht aufgeben wird. Das ist so oft gesagt worden, das weiß jeder in Europa, aber auch in Großbritannien ehrlich gesagt. Es geht also wirklich nur darum, den starken Mann zu spielen. Man muss wirklich in Europa, in Deutschland auch sehen, Boris Johnson ist Donald Trump, der will die EU gar nicht unterstützen, er will die EU letztlich zerstören. Es geht wirklich um populistische, rechtsgerichtete Regierung, und Boris Johnson ist jetzt einer, der eben diese demokratischen Institutionen, die die offenen Grenzen, die offene Gesellschaft unterstützen, dass die das zerstören wollen. Und es geht eben mehr als um den Brexit inzwischen, und ich mache mir große Sorgen um das Land.
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"Diese Fristverlängerung ist schon extrem wichtig"
Kaess: Haben Sie, Frau Hobhouse, wenn Sie das so sehen, denn den Verdacht, dass sich die Gespräche in Berlin und in Paris dann vor allem um die Zeit nach einem harten Brexit drehen könnten?
Hobhouse: Ich weiß natürlich nicht, wie solche Gespräche laufen. Sie haben ja auch schon in Ihrer Presseschau und Ihrem Vorbericht angekündigt, dass die Regierung auf einer ganz, ganz kleinen Mehrheit sitzt. Insofern denke ich mal, dass viele Regierungschefs in Europa darauf rechnen, dass es eben in Großbritannien eine Neuwahl gibt. Deswegen ist es eben ganz wichtig, dass die Europäische Union bereit ist, den Artikel 50 zu verlängern – das ist eben das Allerwichtigste, sonst fallen wir ja automatisch am 31. Oktober aus der EU aus. Diese Fristverlängerung ist schon extrem wichtig.
Kaess: Aber, Frau Hobhouse, kann denn jetzt zum Beispiel Angela Merkel dann tatsächlich damit rechnen, dass das Parlament Boris Johnson noch in den Rücken fällt, also ihn stürzt?
Hobhouse: Es wird hier innenpolitisch auf jeden Fall die ganze Zeit davon geredet, dass es ein Misstrauensvotum geben wird, damit rechnet jeder. Das größte Problem, was wir im Moment haben, ist, dass sich nicht alle Oppositionsparteien für eine Zwischenregierung und den Führer einer Zwischenregierung einigen können.
Kaess: Und da ist ja die Frage warum. Also wenn Sie das alle so stark wollen, aber Sie können nicht zusammenfinden – es gab diesen Corbyn-Vorstoß jetzt, der sofort eine Absage kassiert hat, auch aus Ihrer Partei –, warum ist das so schwierig?
Hobhouse: Na ja, weil Jeremy Corbyn eben selber auch eine umstrittene Person ist. Er selber ist ja auch ein Brexiteer, viele Leute trauen ihm eben nicht, und sie wollen im Moment eben versuchen, eine Alternative zu finden. Aber im Zweifelsfalle hoffe ich mal, ich gehe davon aus, dass selbst meine Partei, wenn es wirklich keinen anderen Vorschlag gibt, in extremis sich eben auf Jeremy Corbyn einlassen wird. Darauf hoffe ich.
Im Extremfall auch für Corbyn als Zwischenlösung
Kaess: Und das glauben Sie auch tatsächlich ist realistisch, denn im Moment wirkt es ja zumindest nach außen überhaupt nicht so, als könnte man sich da noch irgendwie zusammentun?
Hobhouse: Ich denke mal, wenn es … Die größte Frage ist natürlich, was machen die Tory-Rebellen, die sich ja auf jeden Fall gegen den No-Deal-Brexit – also der ehemalige Chancellor Philip Hammond hat ja öffentlich so oft gesagt, dass er den No-Deal-Brexit auf jeden Fall nicht durchziehen wird. Was macht er, [...] seine eigene Regierung zu stürzen. In seinen Kopf kann ich ja nicht gucken. Es geht also vor allen Dingen darum, wie sich die Tory verhandeln. Die 40 Leute, die ja inzwischen zusammengekommen sind, die gesagt haben, dass sie auf jeden Fall den No-Deal-Brexit stoppen wollen, und wenn es wirklich, in extremis, wirklich keine andere Lösung gibt, als als Zwischenführer Corbyn zu akzeptieren und dann eine Neuwahl und eine Verlängerung des Artikel 50 zu erreichen, dann kann ich mir nicht vorstellen – außer dass eben wirklich dann die Leute sagen, okay, dann machen wir einen No-Deal-Brexit –, ich kann mir nicht vorstellen, dass das dann die große Hürde ist, dass man sagt, na ja, also als Zwischenführer nehmen wir jetzt mal Corbyn in Kauf, es gibt wirklich keine andere Möglichkeit, aber es stoppt den No-Deal-Brexit.
"Ich gehe davon aus, dass sich irgendwas bewegen wird"
Kaess: Aber ich muss da noch mal nachfragen, Frau Hobhouse, ist das nicht nur ein Wunsch, den Sie da haben? Können Sie es noch ein bisschen konkreter machen, sehen Sie denn irgendwelche Anzeichen, sind Sie vielleicht in Kontakt mit anderen Parlamentariern, dass das ganze Szenario, das Sie jetzt schildern – Misstrauensvotum –, das konkret untermauern könnte?
Hobhouse: Wir sind im Moment ja alle in den Ferien, insofern …
Kaess: Auch wir erreichen Sie gerade im Urlaub.
Hobhouse: Insofern ist es so ein bisschen schwierig, außer dass ich mit meinen eigenen Parteimitgliedern rede, ich bin ja nicht die Parteiführerin. Unsere Parteiführerin, die ist auch gerade im Urlaub, diese eine Woche, die hat natürlich diese Gespräche an oberster Stelle, aber man kann im Moment natürlich, weil man nicht zusammen ist, das macht ja schon einen Unterschied, kann man sich nicht in kleineren Gruppen unterhalten überparteilich. Insofern warten wir jetzt wirklich auf Anfang September, wo wir alle wieder zusammenkommen, und ich geh mal davon aus, dass sich irgendwas schon bewegen wird.
Kaess: Dann schauen wir noch mal mehr auf die Linie auf Boris Johnson. Er erhofft sich ja auf der anderen Seite des Kanals – so hat er das formuliert –, dass man dort noch die Position ändern werde, und er setzt da massiv auf Druck. Die Regierung hat jetzt auch gesagt, wenn es am 31. Oktober zu einem No-Deal-Brexit kommt, dann wird die Personenfreizügigkeit sofort ausgesetzt. Ist es rein aus britischer Sicht nicht tatsächlich das effizientere Vorgehen, die EU unter Druck zu setzen, als dieser weiche Weg, den Theresa May davor gewählt hatte und ja auch nichts erreicht hat?
Hobhouse: Ich sehe das nur als die Worte eines Politikers, der den starken Mann spielen wird. Ich gehe mal davon aus, dass die EU ihre Verhandlungsposition eben so vorgelegt hat und ja schon seit zweieinhalb Jahren verfolgt, und dass jetzt selbst, wenn jemand mit starken Worten ankommt, sich daran wirklich nichts verändert. Wir hatten ja vor einigen Monaten eine Karikatur, da stand ein Mann und hat sich die Pistole an den Kopf gesteckt, und es stand darunter: Gib mir, was ich will, oder ich erschieße mich. Man weiß ja inzwischen, dass es für die Briten viel schwieriger wird, den No-Deal-Brexit durchzuziehen, als für die Europäische Union.
Kaess: Und dennoch, Frau Hobhouse, ist es aber so, dass eben nun mal die Mehrheit der Menschen in Großbritannien den Brexit will, und Boris Johnson setzt ihn jetzt durch, offenbar egal, unter welchen Bedingungen. Muss man nicht auch sagen, im Moment ist er vielleicht der bessere Volksvertreter als viele Abgeordnete?
Hobhouse: Das wird ja inzwischen auch so ausgespielt, als rechtspopulistische Strategie, Parlament gegen den Führer des Volkes. Also wo kommen wir denn da hin, das ist doch nicht Demokratie. Inzwischen …
"Es sollte noch einmal eine Volksabstimmung geben"
Kaess: Er vertritt die Mehrheitsmeinung im Moment, also auf der Linie liegt er.
Hobhouse: Er liegt auf seiner eigenen Linie da, aber wir haben ja schon seit über zwei Jahren gefordert, dass es eine Volksabstimmung geben soll über einen Deal, der verhandelt worden ist, oder nicht, damit die Menschen noch einmal darauf gucken können, wofür sie sich 2016 entschieden haben in einem Wahlkampf, der ja nur sechs Monate lief und wo die Menschen sich ja besonders über die nordirische Grenze gar keine Gedanken gemacht haben. Jetzt sollen die Menschen doch noch mal gucken, und lange, lange haben wir gesagt, es soll doch noch mal eine Volksabstimmung geben. Und in der europäischen Wahl war ja auch ganz klar, dass viele Menschen inzwischen eingesehen haben, dass unsere Mitgliedschaft in der EU das Beste ist, und es sollte doch noch einmal eine Volksabstimmung über diesen Brexit-Deal geben. Es gibt ja inzwischen auf jeden Fall Umfragen, die ganz deutlich darauf zielen, dass eine Mehrheit der Menschen in Großbritannien sich jetzt für die Mitgliedschaft entscheiden würde und nicht umgekehrt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.