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Britische Parlamentswahl
Mit Bildungspolitik um Stimmen kämpfen

Im britischen Wahlkampf zeigen sich die Unterschiede bei der Bildungspolitik zwischen der Regierungschefin Theresa May von den Tories und Jeremy Corbyn von der Labour-Partei. May will Unis erlauben, noch mehr Studiengebühren zu erheben. Labour verspricht, die Studiengebühren komplett abzuschaffen.

Von Sandra Pfister | 02.06.2017
    Studenten sitzen am 11.11.2014 im Hörsaal der Tongji Universität in Anting bei Shanghai (China)
    Laut Umfragen lehnen viele Briten am Bildungssystem die hohen Studiengebühren ab. (picture alliance / dpa - Ole Spata)
    Die britische Premierministerin hat sich bislang kaum festgelegt, was sie wirklich will. Nur in einem Punkt ist sie seit Monaten kristallklar: Sie will neue Grammar Schools – also Gymnasien, von denen es im Vereinigten Königreich insgesamt nur noch gut 120 gibt. Alle anderen wurden 40 Jahren abgeschafft. Seither besuchen die meisten jungen Briten nach Klasse 6 eine Art Gesamtschule. Jetzt will Theresa May zurück zur akademischen Selektion.
    "Ich will, dass Kinder aus normalen Arbeiterfamilien die Möglichkeit bekommen, die ihren reicheren Zeitgenossen einfach so zufällt. Das heißt, wir brauchen mehr hervorragende Schulen. Und so kriegen wir sie."
    Mehr hervorragende Schulen vielleicht – aber die meisten Bildungsforscher bezweifeln, dass davon ausgerechnet ärmere Schüler profitieren werden.
    Schwere Aufnahmeprüfung bei Grammar Schools
    Denn Schüler, die auf eine Grammar School wollen, müssen mit elf Jahren eine schwere Aufnahmeprüfung absolvieren, das sogenannte Eleven-Plus-Examen. Mittelschicht-Eltern bereiten ihre Kinder darauf monatelang vor, mit Privatunterricht und Wochenendkursen. Das können sich benachteiligte Familien schlichtweg nicht leisten. Deshalb zweifeln auch konservative Parteigenossen an Mays Konzept. Bildungsforscher wie Rebecca Allen, Director des Education Data Lab, sagen: Alle Empirie spricht dagegen.
    "Ich erforsche Selektion im Bildungssystem nun schon seit zehn Jahren, und das ist einer der wenigen Teile der Bildungspolitik, wo es vollkommen unstrittig ist, dass man, wenn man armen Kindern helfen will, man ganz sicher keine Grammar Schools wieder einführt."
    Grammar Schools, sagt Allen, waren von jeher eine Bastion der wohlhabenderen Elite – daran hat sich nicht viel geändert. Je mehr Grammar Schools aufgewertet werden, desto schlechter fühlen sich die, die beim Aufnahmetest versagen. So empfinden es auch zwei elfjährigen Schülerinnen aus einer Gesamtschule in Ostlondon.
    "Ich glaube nicht, dass man mit elf Jahren schon ein Examen machen sollte, dass so wichtig für das Leben ist."
    "Ich wäre richtig nervös und hätte Angst, wenn ich es nicht in diese Schule schaffen würde."
    Mehr Gymnasien wollen auch ihre Eltern nicht.
    "Wenn Sie mit Leuten reden, die älter sind als ich, und die die vielen Grammar Schools damals noch miterlebt haben, die würden ihnen wahrscheinlich sagen, dass sie sich als Versager gefühlt haben, wenn sie den Aufnahmetest nicht bestanden haben. Oder sie waren ein bisschen Schüler zweiter Klasse. Und ich glaube, diese Trennung, diese Kluft schon in diesem jungen Alter zu haben, das hilft niemandem."
    "Ich bin kein großer Fan dieses Grammar-School-Systems. Die Regierung sollte einfach jede einzelne weiterführende Schule im UK anständig finanzieren. In London haben sie es geschafft, damit Schulen in sehr schlechten Gegenden wirklich gut zu machen. Das ist der Weg, den sie im ganzen Land gehen sollten, statt Geld für Grammar Schools auszugeben."
    Das allerdings – mehr Geld für alle Schulen – ist im Wahlkampf kein Thema. Und Umfragen suggerieren auch, dass diese beiden Mütter in der Minderheit sind: Viele Briten sind Fans der Grammar Schools. Sie sind für sie offenbar eng verknüpft mit den guten alten Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen clevere Kinder aus ärmeren Familien erstmals durch die Aufnahmeprüfung auf bessere Schulen gehen konnten.
    Studiengebühren in Großbritannien
    Die gleichen Umfragen zeigen übrigens auch, was die Briten am Bildungssystem überhaupt nicht mögen: die hohen Studiengebühren. Die liegen inzwischen fast flächendeckend bei 9.000 Pfund pro Jahr, also derzeit etwa 12.000 Euro – drei Mal mehr als noch vor sieben Jahren. Theresa May will den Unis erlauben, noch mehr zu verlangen.
    Die in Umfragen weit abgeschlagene Labour-Opposition hingegen verspricht, die Studiengebühren komplett abzuschaffen – und das ist so ziemlich das einzige, womit sie bei den Wählern punktet. Angela Rayner, im Schattenkabinett der Tories die Fachfrau für Bildung:
    "Was wir sagen: Wir werden die Studiengebühren schon im September abschaffen, und es ist wichtig, dass wir das ab September machen wollen, denn wir wollen nicht, dass junge Leute sich deshalb dieses Jahr nicht einschreiben."
    Ein durchschnittlicher britischer Uni-Absolvent ist mit umgerechnet 50.000 Euro verschuldet, wenn er die Uni verlässt. Labour will deshalb, dass alle Bürger für die Unis aufkommen – über höhere Steuern. Elf Milliarden Pfund pro Jahr hat Labour dafür in seinem Wahlmanifest eingepreist – der dickste Posten im Etat. Viele Studierende finden das naturgemäß gut, wie Sorana Vieru, Vizepräsidentin der Studentengewerkschaft "National Union of Student":
    "Bildung ist ein öffentliches Gut. Und nicht nur, wer studiert hat, hat später was davon, sondern es bringt der ganzen Bevölkerung greifbare Vorteile. Also ist es fair zu fragen, wie wir das finanzieren."
    Fair – von wegen, widersprechen konservative Wissenschaftler – und auch andere Studierende. Tom Harwood, ehemaliger Vorsitzender der Initiative "Students for Britain", die vor einem Jahr für den Brexit geworben hatte.
    "Entweder bezahlt jeder über die Steuer die Studiengebühren, oder nur die Leute, die den Vorteil haben, auf die Uni gehen zu können. Ich glaube, dass es nur fair ist, dass wir, die wir später mehr im Leben verdienen, weil wir an der Uni waren, dafür später im Leben bezahlen."
    Von der Abschaffung der britischen Studiengebühren, sagen auch Forscher, würden die am meisten profitieren, die danach am besten verdienen. Denn wer weniger als 21.000 Pfund verdient, etwa 25.000 Euro pro Jahr, der zahlt erst mal gar nichts. Und das sind derzeit die meisten jungen Akademiker.