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Britische Vogue
Neuer Chef muss Anzeigenkunden glücklich machen

Tausche teure Handtasche gegen lobenden Artikel: Die großen Modemarken diktierten den Inhalt der Hochglanzmagazine, kritisiert Anja Aronowsky Cronberg, Gründerin einer unabhängigen Modewebsite. Kritischer Journalismus sei nicht gewünscht. Daran werde auch der neue Chefredakteur der britischen Vogue nichts ändern.

Von Sandra Pfister | 07.08.2017
    Edward Enninful, nachdem er mit dem Verdienstorden des britischen Empires ausgezeichnet wurde, gemeinsam mit dem Model Naomi Campbell am Buckingham Palace in London.
    Edward Enninful ist seit dem 1. August neuer Chefredakteur der britischen Vogue, neben ihm das Model Naomi Campbell. (imago - i Images)
    "Ein sehr bekannter Modejournalist hat mir mal unter dem Siegel der Verschwiegenheit gesagt: Ich glaube, wir sind nur noch Beiwerk für Mode-PR und Designer. Was wir tun, spielt keine Rolle mehr."
    Wer Modejournalist bleiben wolle, in Anja Aronowsky Cronbergs Jargon ein "Insider", der müsse den großen Modemarken nach dem Mund schreiben.
    "Es ist ein offenes Geheimnis in der Branche, dass Marken, die in Magazinen werben, auch Inhalte diktieren. Häufig ganz offen, aber meistens müssen sie das gar nicht. Es gibt jede Menge Geschichten von Reportern, die von Shows ausgeschlossen wurden, wenn die Kritiken nicht so gut ausfielen."
    Eine fast symbiotische Beziehung zwischen Magazinen und Werbeindustrie
    Umso mehr Gewicht hat die Abrechnung von Lucinda Chambers, der ehemaligen Modechefin der "Vogue". Sie, die einzige im von Enninful gründlich dezimierten Vogue-Führungsteam, die offen zugibt, rausgeschmissen worden zu sein, kippte Dreck in Kübeln aus. Eine Reihe ihrer Bilder seien "crappy" gewesen, beschissen, weil sie Anzeigenkunden habe gefallen müssen.
    Sie habe die "Vogue" seit Jahren selbst nicht mehr gelesen, weil Modemagazine inzwischen einfach irrelevant für normale Menschen geworden seien. Sie würden Menschen nur schmeicheln und drangsalieren, damit sie Dinge kaufen, die sie nicht bräuchten. Mehr als die schmutzige Wäsche einer verbitterten Gefeuerten, findet Aronowsky Cronberg.
    "Die Beziehung zwischen Modemagazinen und Werbeindustrie ist fast symbiotisch. Die Modemarken und die Verlage haben ein gemeinsames Interesse: Sie wollen uns dazu kriegen, immer mehr zu kaufen. Für viele, mich eingeschlossen, ist das problematisch. Es heißt, dass kritische Einschätzungen leicht verdaulichem Journalismus weichen müssen."
    Endlich mal bestätigt jemand öffentlich die Oberflächlichkeit selbst des Flaggschiffes des Modejournalismus, der Vogue - so war die Schadenfreude in allen "seriösen" britischen Medien herauszuhören.
    "Worüber Journalisten weniger reden, sind die üppigen Geschenke, die viele von uns Modejournalisten nach einem besonders positiven Artikel über eine bestimmte Marke geschenkt kriegen. Eine Handtasche zurückschicken wäre unhöflich, aber sie zu behalten, ist wie ein implizites Einverständnis, dass noch mehr positive Artikel folgen werden."
    Vogue: Gibt weiter den Ton an
    Sitzt also selbst die alt bewährte Vogue im Zeitalter von Social Media auf einem absterbenden Ast? Ja - und Nein, antwortet Aronowsky Cronberg salomonisch.
    Nein, weil Hochglanz-Magazine wie die Vogue nach wie vor Exklusiv-Interviews bei den Mode-Designern bekämen und bei den Modeschauen in der ersten Reihe sitzen dürften.
    "Die Konsumenten glauben vielleicht nicht mehr daran, dass die Vogue noch so wichtig ist. Aber innerhalb der Fashion-Industrie gibt die Vogue immer noch den Ton an."
    Enninful gehört zum Mode-Establishment
    Vorerst allerdings bleibt die Vogue Britain der Platzhirsch unter den Modemagazinen auf der Insel - und damit Edward Enninful, ihr neuer Chefredakteur, ihr wichtigster Impulsgeber. Enninful hat für die italienische und britische Vogue geschrieben, war jahrelang Style-Director für das Mode-Magazin "W", und hat jahrelang zahlreiche Modekonzerne bei Werbekampagnen und Modeschauen beraten. Echte Vielfalt - mehr schwarze Models, mehr dicke Models, die dürfe man daher nicht von ihm erwarten, bloß, weil er schwarz und schwul sei, sagt Aronowksy Cronberg.
    "Wer wissen will, was Enninful und sein Team in Zukunft pushen, der sollte sich anschauen, was er in der Vergangenheit gemacht hat, und nicht, wofür er als Person steht. Und da muss man einfach darauf hinweisen, dass Enninful sein ganzes Erwachsenenleben Teil des Mode-Establishments war. Und es ist unwahrscheinlich, dass sich das System selbst herausfordert."