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Britischer EU-Abgeordneter: Starkes Europa wichtig für Großbritannien

Nach Ansicht des britischen Europaabgeordneten Graham Watson liegt eine Eurorettung auch im Interesse Großbritanniens, da es die Hälfte seines Handelsverkehrs mit EU-Ländern hat. Auch Premier David Cameron wolle konstruktive Beziehungen zu den Europapartnern, sagt der Liberaldemokrat Watson.

Graham Watson im Gespräch mit Mario Dobovisek | 08.12.2011
    Mario Dobovisek: Die diplomatischen Drähte zwischen Europas Hauptstädten, sie glühen heiß dieser Tage - insbesondere vor dem EU-Gipfel, der heute mit einem gemeinsamen Abendessen der 27 Staats- und Regierungschefs beginnen wird. Es geht um den Euro, es geht um Europa, es geht ums Ganze. Jüngst haben sich Deutschland und Frankreich, haben sich Angela Merkel und Nicolas Sarkozy als die führenden Euroretter inszeniert und Vorschläge gemacht. Sie drängen auf eine Änderung der EU-Verträge und das notfalls auch im Alleingang der 17 Eurostaaten.

    Mitgehört hat Sir Graham Watson, für die britischen Liberaldemokraten sitzt er im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Watson!

    Graham Watson: Schönen guten Morgen!

    Dobovisek: Das klingt ja doch sehr bedrohlich, was wir da hören aus Brüssel. Steht Europa mit dem Gipfel heute und morgen möglicherweise vor einer Spaltung?

    Watson: Nein. Ich glaube nicht, dass es bedrohlich ist. Es ist auch im Interesse Großbritanniens, dass der Euro ein Erfolg sein wird, und es ist in unserem Interesse, dass Europa erfolgreich wird, da Großbritannien die Hälfte seines Kommerzes mit Partnerländern in der Europäischen Union hat. Das wissen wir alle. Aber es stimmt, dass Herr Cameron es bevorzugt, wenn es zu Vertragsänderungen kommt, dass diese Vertragsänderungen natürlich für alle 27 Staaten gültig sind.

    Dobovisek: Er sagt aber auch, Herr Watson, dass er bestimmte Forderungen stellen möchte, bestimmte Sonderregelungen haben möchte. Da geht es sicherlich hauptsächlich um den Finanzplatz London und eine geplante Finanztransaktionssteuer, die London ja ablehnt. Nun sagt der Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, heute in der "Süddeutschen Zeitung", es werde keine Sonderregelungen geben, auch nicht für Großbritannien. Wird es überhaupt noch Spielraum geben für Cameron, da was einzufordern?

    Watson: Nein. Es sollte auch keine Sonderregelungen geben. Ich spreche als Liberaldemokrat und wir nehmen teil an der Koalition in Großbritannien. Es sollte keine Sonderregelungen geben. Aber - und da muss man sehr, sehr geschickt sein - wir müssen auch nichts tun, was für unsere Finanzmärkte schlecht sein könnte, zum Beispiel etwa mit der Finanztransaktionssteuer. Wenn man das auf Weltebene einführen könnte, könnte das vielleicht klappen. Wenn man das auf europäischer Ebene alleine macht, könnte das dazu führen, dass alle unsere Großbanken sich nach Singapur oder Hongkong übersiedeln, und das wäre im Interesse von niemandem. Aber das ist nicht nur die Position, die Stellungnahme Großbritanniens, da sehen auch andere Länder diese Sache so, wie zum Beispiel Schweden, das die Erfahrung hat, eine solche Steuer eingeführt zu haben, und gesehen hat, was das gebracht hat. Niemand ist dagegen, dass es eine solche Steuer geben sollte, aber auf Weltebene, und das könnte Europa schaffen.

    Dobovisek: Was aber, wenn Großbritannien, wenn Premier David Cameron nun morgen oder heute schon als Einziger Nein sagt zur vorgeschlagenen Stärkung des Euroraumes? Droht ihm dann, droht Großbritannien dann die europäische Isolation?

    Watson: Theoretisch ja, aber ich glaube nicht, dass er dasteht als ein einziger Neinsager. Dieses Papier von Sarkozy und Merkel ist nicht das, was da besprochen wird. Was heute und morgen besprochen wird, ist ein Papier von Herman Van Rompuy, das einige Ideen von Angela Merkel und Sarkozy aufnimmt, aber das auch andere Möglichkeiten vorsieht, wie zum Beispiel eine zweistufige Reform der Verträge, erstens mit Protokoll 12. Das heißt, da braucht man keine Volksabstimmung in den Mitgliedsländern zu haben. Und dann vielleicht - und das wird nach einer gewissen Zeit sein, zwei oder drei Jahre - eine tiefere Reform der Euroverträge, um Disziplin in die Eurozone einzuführen.

    Dobovisek: Wie weit wird da Cameron voraussichtlich gehen, in der Konfrontation möglicherweise mit Paris und Berlin? Wir erinnern uns an die Eiserne Lady, wir erinnern uns an Maggie Thatcher, die bei ähnlicher Gelegenheit schon mal mit ihrer Handtasche auf den Tisch klopfte und gesagt hat: I want my money back, ich möchte mein Geld zurück.

    Watson: Ja, ja. David Cameron ist aber keine Maggie Thatcher und er will konstruktive Beziehungen zu seinen Europapartnern haben. Das sieht man schon in seinem Gipfel mit Angela Merkel und seinem Gipfel mit Sarkozy. Er will zusammen mit seinen Europartnern arbeiten, will natürlich aber Europa und Großbritannien davor schützen, vor Möglichkeiten, wie zum Beispiel diese Finanztransaktionssteuer, die irgendwie Schaden in unseren Finanzsektor bringen könnten.

    Dobovisek: Wenn aber Cameron zu sehr mit Europa und seinen europäischen Partnern kooperiert, dann isoliert er sich aber möglicherweise im eigenen Land, denn die Euroskeptiker haben eine sehr laute Stimme in Großbritannien. Ist das eine Zwickmühle für ihn?

    Watson: Ja, und er ist gestern unter Druck gekommen im Unterhaus, als er Prime Ministers Crashtest gemacht hat. Da sind eine ganze Reihe von seinen Back Benchers [Hinterbänklern] sehr kritisch mit ihm umgegangen. Er hat aber gesagt, unsere Interessen, die Interessen Großbritanniens liegen darin, dass der Euro erfolgreich wird und dass Europa erfolgreich wird, und ich glaube, er hat ein sehr großes Maß an Mut, an Courage gezeigt in seiner Beziehung mit seinen eigenen Parlamentariern.

    Dobovisek: Die Euro- und Europaskepsis in Großbritannien, die ist ja durchaus bekannt, schon über viele Jahre hinweg. In britischen Karikaturen sehen wir jetzt Bundeskanzlerin Angela Merkel unter anderem als Latex tragende Eurodomina. Wie groß ist in Großbritannien die Angst vor einem selbstbewussten Deutschland?

    Watson: Ja, diese Angst gibt es immer. Aber ich glaube - und alle wissen das auch -, auch wenn es einen gewissen Humor und einen echt britischen Humor gibt, wissen alle, dass unsere Interessen auf der Welt gemeinsam sind, dass wir nur durch Europa unsere Interessen verteidigen können und unsere Werte vorbringen können. Wir haben eine ganze Menge großer Herausforderungen in dieser Welt, und für alle diese brauchen wir ein starkes Europa.

    Dobovisek: Geht Deutschland da gemeinsam mit Frankreich den richtigen Weg?

    Watson: Ich glaube, dass es sehr gut ist, wenn Deutschland und Frankreich zusammenarbeiten. Die beiden Länder sind nicht immer einig, und das haben wir in dieser Woche gesehen. Aber es ist gut, dass dieser Motor der Europäischen Union immer noch etwas zu funktionieren scheint - nicht so gut wie früher, aber dass die beiden Länder zusammen denken und zusammen Maßnahmen vorstellen, ist eine gute Sache.

    Dobovisek: Wäre Großbritannien auch gerne Teil des europäischen Motors?

    Watson: Ich glaube, doch, und es kann auch dazu kommen in Zukunft. Aber David Cameron hat inzwischen etwas Arbeit mit seinen eigenen Truppen zu machen.

    Dobovisek: Aber wie könnte Großbritannien später Teil des europäischen Motors bleiben oder sein, wenn die Euroskepsis immer noch so hoch ist?

    Watson: Ich schließe es nicht aus, dass Großbritannien eines Tages Mitglied des Euro sein könnte. Warum ist diese Euroskepsis so groß? Weil unsere Zeitungen von Rupert Murdoch dominiert werden, und er ist bekannter Eurogegner. Aber ich bin auch sicher, dass die meisten meiner Landsleute es so sehen, dass wir auf dieser Welt die Solidarität der Europäischen Union auch brauchen. Also niemand sagt, wir sollen aus Europa austreten; alle sagen mehr, dass wir Europa so machen, wie es Großbritannien gut geht.

    Dobovisek: Der britische Europaabgeordnete Graham Watson im Deutschlandfunk-Interview. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen.

    Watson: Schönen Dank.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.