Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Britischer Ex-Staatssekretär zum Brexit-Deal
Abkommen in mehreren Bereichen problematisch

Für den ehemaligen britischen Staatssekretär Greg Hands ist die Möglichkeit einer Zollunion mit der EU als Folge eines sogenannten Backstops das größte Problem an dem aktuell geplanten Brexit-Abkommen. Im Dlf sagte er, Großbritannien wäre dann kein EU-Mitglied mehr, müsste aber alle Regeln aus Brüssel befolgen.

Greg Hands im Gespräch mit Christine Heuer | 23.11.2018
    Mann steht an Redenerpult und spricht
    Greg Hands, bis Juni 2018 Theresa Mays Staatssekretär im britischen Außenhandelsministerium (PAP)
    Greg Hands war bis Juni Staatssekretär im britischen Außenhandelsministerium. Er ist nach eigenen Angaben noch unentschieden, für wie gelungen er den Brexit-Deal von Premierministerin Theresa May mit der EU hält. Es gebe mehrere Bereiche des geplanten Abkommens, die er problematisch finde, sagte er im Dlf. "Das größte Problem wäre eine Zollunion mit der EU, in der Großbritannien keinen Sitz am Tisch haben würde", sagte Hands. Durch die sogenannte Backstop-Regelung könnte Großbritannien sich in einer Zollunion wiederfinden, ohne eine Stimme darin zu haben, so der Tory-Abgeordnete. Sein Land wäre dann kein Mitglied der EU mehr, müsste aber alle Regeln aus Brüssel befolgen.
    Irische Grenzfrage technologisch lösen
    Die "Backstop"-Regelung sieht vor, dass Großbritannien in der Zollunion bleibt, solange keine andere Lösung in der Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland gefunden wurde. Dies sei allerdings eher eine politische Frage als die einer Handelsgrenze, sagte Hands. Das Handelsvolumen an der Grenze sei gering. Es gehe darum, dort keine "harte Grenze" zu haben. Man könne die Grenzfrage technologisch lösen, anstatt etwa auf Wachtürme zu setzen.
    "Harter Brexit unvorteilhaft"
    Andererseits sieht er auch einen harten Brexit, einen Brexit ohne Vertrag, als unvorteilhaft. Das wäre nicht nur für den Handel problematisch, sondern etwa auch für die Sicherheitsbeziehungen im Hinblick auf den Terrorismus, sagte der Politiker der britischen Konservativen. "Mir wäre ein gutes Abkommen lieber, bei dem es ein Gleichgewicht zwischen den zwei Seiten gäbe." Derzeit sei das Abkommen "zu weit in Richtung Brüssel geschoben worden". Alles, was negativ für Großbritannien sei, sei in dem Vertrag festgehalten. Alles, was positiv sei, stehe in der Willenserklärung zum Austritt. Der Vertrag sei aber das dauerhafte, internationale Dokument.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Christine Heuer: Werden Sie dem Deal von Theresa May im Unterhaus zustimmen?
    Greg Hands: Ich bin immer noch dem gegenüber skeptisch. Ich habe noch nicht alle Unterlagen gelesen. Da waren ursprünglich letzte Woche etwa 600 Seiten veröffentlicht. Jetzt sind etwa 25 neue Seiten veröffentlicht worden in den letzten Stunden. Ich werde das alles gründlich durchlesen.
    Ich bin auch dieses kommende Wochenende in meinem Wahlkreis und werde mit so vielen Leuten wie möglich in meinem Wahlkreis reden. Es ist sehr wichtig für Chelsea und Fulham, wie die neue Lage mit der EU aussehen wird in der Zukunft. Ich bin im Moment noch unentschieden dem gegenüber.
    Heuer: Aber Theresa May hat ja nun schon mehrere Gelegenheiten gehabt und genutzt, im Unterhaus dafür zu werben, was sie da ausgehandelt hat mit Brüssel. Sie haben da immer zugehört, haben diese Auftritte aufmerksam verfolgt. Hat sie Sie denn da nicht überzeugen können, dass sie den besten Deal für Großbritannien rausgeholt hat?
    "Ich finde das Abkommen in verschiedenen Bereichen problematisch"
    Hands: Ja, der Brexit ist ziemlich kompliziert und da sind noch viele Fragen. Ich war gerade im Unterhaus, ich habe sogar Fragen Theresa May selber gestellt, und ich suche noch andere Antworten zu den verschiedenen Fragen. Ich finde das Abkommen oder das vermutliche Abkommen in verschiedenen Bereichen problematisch, aber die Frage ist dann, ob das Ganze unzufrieden ist oder nicht bei mir.
    Heuer: Wo ist denn das größte Problem aus Ihrer Sicht? Was würde Sie denn dazu bringen zu sagen,: Nein, dem kann ich nun wirklich beim besten Willen nicht zustimmen?
    Hands: Das größte Problem wäre eine Zollunion mit der Europäischen Union, wo Großbritannien keinen Sitz an dem Tisch haben würde. Das wäre das größte Problem und das hängt auch an diesem Backstop durch die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland. Durch diesen Backstop könnte Großbritannien in einer Zollunion sein, ohne richtig eine Stimme bei der Zollunion zu haben, denn Großbritannien wird kein Mitglied von der EU mehr sein, aber wir werden allen Regelungen folgen müssen von Brüssel und alles wird in Brüssel gemacht und wir werden keinen Sitz dabei haben.
    Ich war das letzte Jahr der Handels-Staatssekretär hier in Großbritannien. Ich habe meinen Sitz gehabt an dem Tisch in Brüssel. Aber ab März wird kein britisches Mitglied mehr da sein.
    "Bei der Nordirland Grenz könnte man Technologie benutzen"
    Heuer: Das ist sicher richtig. Aber diese Zollunion, in der Großbritannien dann bleiben soll, das ist zunächst mal für eine Übergangszeit vorgesehen. In dieser Übergangszeit will man dann versuchen, doch noch eine Lösung zu finden für dieses sehr komplizierte Nordirland-Irland-Problem. Hätten Sie denn eine schnelle Lösung zur Hand?
    Hands: Ja! Ich denke, bei dieser Grenze könnte man Technologie benutzen. Technologische Methoden sind vorhanden. Die Grenze zwischen Nordirland und der Republik ist eigentlich keine große Handelsgrenze; es ist eher eine politische Frage: Die politische Frage, dass dort keine harte Grenze sein soll. Das heißt, mit Kontrollkabinen, Wachtürmen und so weiter und so weiter und so weiter.
    Aber ich denke, eigentlich ist das Volumina von Handel über diese Grenze ziemlich gering. Zum Beispiel Nordirland verkauft mehr jedes Jahr an Großbritannien als an Irland oder die EU insgesamt. Die Frage ist eher eine politische Frage und ich denke, wir finden eine politische Lösung und wir benutzen Technologie, so dass wir keine Wachtürme oder Kontrollpunkte brauchen.
    Heuer: Im Moment ist das den Verhandlern von beiden Seiten noch nicht gelungen, eine Grenze, die dann existent wird, wieder unsichtbar, unspürbar zu machen. Aber daran würden Sie es scheitern lassen?
    Hands: Das Problem ist, dass mit dem Abkommen vom letzten Dezember, mit diesem Backstop, das heißt, wenn Großbritannien und die EU nicht zusammenkommen können zu einem künftigen Verhältnis vor Dezember 2020, dann wird nach diesem Backstop das gesamte Großbritannien in einer Zollunion bleiben und das Vereinigte Königreich könnte nicht die Zollunion verlassen nach dieser Backstop-Regelung.
    Heuer: Ja, nur in Absprache mit der EU.
    Hands: Das heißt, für ein souveränes Land – und das ist kein kleines Land – wie Großbritannien, für vielleicht möglicherweise eine langfristige Zeit mit der EU zu bleiben, ist für mich sehr problematisch als der ehemalige Handels-Staatssekretär, und ich kenne ziemlich gut, wie eine Zollunion läuft und nicht läuft.
    "Das Abkommen ist zu weit in Richtung Brüssel geschoben worden"
    Heuer: Greg Hands, was wäre Ihnen denn lieber? Was wäre die Alternative, der harte, der ungeregelte Brexit, ein Brexit ohne Ausstiegsvertrag?
    Hands: Nein! Ich denke, das wäre unvorteilhaft, ein harter Brexit oder ein Brexit ohne Vertrag. Denn dann wären problematisch nicht nur die Handelsbeziehungen, sondern auch die Sicherheitsbeziehungen, viele Dinge, wo wir zusammenarbeiten, zum Beispiel gegen Terrorismus und viele andere Dinge. Da müssen wir neue Dinge regeln und ziemlich schnell, denn das kommt in ein bisschen mehr als 100 Tage.
    Mir wäre lieber ein gutes Abkommen, wo ein Gleichgewicht zwischen den zwei Seiten wäre. Im Moment finde ich, das Abkommen ist zu weit in Richtung Brüssel geschoben worden. Und auch problematisch ist alles, was negativ für Großbritannien in dem Vertrag liegt, aber alles, was positiv für Großbritannien ist, liegt in dieser Willenserklärung, und eigentlich ist der Vertrag das Dokument, was dauerhaft ist, und das ist ein internationaler Vertrag. Die Willenserklärung ist nicht ganz so hart.
    Heuer: Nun sagt Theresa May aber, wir sind am Ende dieser grundsätzlichen Verhandlungen, es geht jetzt um die Ausführung und um die Zukunft im Verhältnis zwischen EU und Großbritannien, und die EU27 sieht das genauso. Nehmen wir mal als gegeben, dass die Dinge jetzt im Grunde erst mal ausverhandelt sind. Wie sehen Sie dann Theresa Mays Chancen, ihren Deal im Parlament durchzubekommen? Sie selbst scheinen mir, doch ein bisschen eher zum Nein zu tendieren.
    Hands: Nicht unbedingt ich, aber was ich gelesen habe, was ich verstanden habe aus Gesprächen mit MdB-Kollegen hier im House of Commence, liegt die Anzahl von Konservativen, die gegen dieses Abkommen sind oder nicht dafür stimmen können, bei etwa 80, und das ist ein Viertel von der konservativen Partei.
    Die konservative Partei fängt an mit einer Anzahl von 317 und wenn 80 dagegen sind und wenn die Anzahl von MdBs insgesamt, die abstimmen könnten, etwa 640 ist, dann ist das ein großes Problem. Das heißt, da ist keine Mehrheit für dieses Abkommen. Die müssen irgendwie das Abkommen verbessern oder besser machen, so dass es mehr möglich ist, das Abkommen durchs House of Commence zu bekommen.
    Heuer: Oder diese Premierministerin muss gehen?
    Hands: Ja, aber das hilft nicht unbedingt, denn wenn das Abkommen das gleiche bleiben würde, dann haben wir das gleiche Problem. Und zweitens ist die Anzahl hier im House of Commence auch unverändert. Das einzige Ding mit einer neuen Premierministerin oder einem Premierminister wäre, ob der Neue oder die Neue einen besseren Vertrag aus Brüssel kriegen könnte, und das ist fragwürdig meines Erachtens.
    Heuer: Dann müssten die Verhandlungen ja wieder von vorne anfangen.
    Hands: Nein, nicht unbedingt von vorne, ganz unwahrscheinlich von vorne, lieber nicht von vorne. Ob dann weiter versprochen sein könnte, irgendwie verbessert, besser erläutert, dann könnte man vielleicht versuchen, diesen Vertrag besser zu verkaufen zu den Tories hier im Unterhaus. Aber im Moment, was wir verstanden haben heute Früh mit minus 80, ist das sehr problematisch. Aber wir haben noch nicht die große Reaktion gesehen von den Tory-MPs gegenüber dem neuen Dokument, dem 25seitigen Dokument, was heute veröffentlicht wurde.
    "Ein zweites Referendum wäre mehr oder weniger unmöglich"
    Heuer: Oder, Greg Hands, man macht vielleicht ein zweites Referendum und kommt so aus diesem Schlamassel raus?
    Hands: Ein zweites Referendum wäre sehr schwierig, mehr oder weniger unmöglich, denn ein Referendum braucht ein neues Gesetz und die Zeit, ein neues Gesetz einzuführen in Großbritannien zwischen jetzt und dem 29. März, ist sehr gering. – Sehr unwahrscheinlich.
    Zweitens: Es gibt keine Mehrheit im House of Commence für ein zweites Referendum. Ich würde schätzen, dass nicht mehr als vielleicht 100 bis 120 von den 640 MPs dafür wären. Die Chancen sind sehr gering, dass das so kommen würde.
    Heuer: Nun ist die Zeit aber genauso knapp, wenn man noch mal weiterverhandelt, was Sie sich wünschen, was aber die EU27 ausschließen, und Theresa May immerhin hat das auch ausgeschlossen. Denn dann ist der Brexit immer noch am 29. 3. Ist Ihnen lieber, ist Ihnen wohler bei der Idee, dass es dann vielleicht einen ungeregelten Austritt gibt?
    Hands: Ich bin gegen einen ungeregelten Austritt. Aber es ist immer möglich, ein Abkommen zu verbessern, und wir haben noch ein bisschen Zeit, das zu machen. Wir haben mehr Zeit als möglicherweise ein zweites Referendum einzuführen. Aber das Problem ist: Das Abkommen muss durch das britische Unterhaus durchkommen.
    Heuer: Was machen Sie denn, wenn die EU sagt, wir verhandeln jetzt aber nicht weiter, bis auch noch der letzte Tory bereit ist, einen Kompromiss zu tragen, den die EU nicht tragen kann?
    Hands: Ja, aber dann verlieren beide Seiten.
    Heuer: Wer verliert mehr?
    Hands: Von der EU-Seite ist ein No-Deal-Brexit wahrscheinlich genauso schlimm wie für die britische Seite.
    Heuer: Greg Hands, Sie waren ja ursprünglich gegen den Brexit. Haben Sie sich eigentlich innerlich jetzt in der letzten Zeit, in der Sie sich so damit beschäftigt haben, auch mit der Idee angefreundet?
    Hands: Ja, ich war gegen den Brexit in 2016. Aber auf der anderen Seite war die Anzahl von Leuten, die teilgenommen an dem Referendum haben, sehr hoch. Die Teilnahme war größer als bei jedem normalen Wahlkampf seit etwa 25 Jahren, und da war eine klare Mehrheit für den Brexit. Ich denke, demokratisch haben wir alle versprochen, die MdBs, dass wir dem Resultat folgen werden und es ermöglichen.
    Das müssen wir jetzt tun. Die Frage ist, wie das Abkommen aussehen wird, wie das künftige Verhältnis auch aussehen wird zwischen Großbritannien und der EU. Im Moment ist das Abkommen zu viel in Richtung Kontrolle von Brüssel, aber bis jetzt habe ich noch nicht das neue Dokument von 25 Seiten gelesen und ich werde das studieren dieses kommende Wochenende.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.