Freitag, 19. April 2024

Archiv


Broccoli ist keine Erfindung

Bundestag und Europaparlament haben sich gegen Patente auf Nutztiere und Nutzpflanzen ausgesprochen. Doch das Europäische Patentamt vergibt weiter Biopatente oder "Patente auf Leben". Kritiker warnen vor einer Abhängigkeit von den Agrarkonzernen.

Von Jantje Hannover | 26.04.2013
    "Uns geht es hier um eine Klarstellung sowohl auf der europäischen Ebene, da müsste die Kommission tätig werden, bei der Bio-Patentrichtlinie, als auch bei uns in Deutschland, dass wir auf Nutztiere und Nutzpflanzen, auf die Güter selbst eben keine Patente anwenden und haben wollen. Wir wollen die biologische Vielfalt auch erhalten von den Pflanzen und brauchen einen ungehinderten Zugang für Tiere und Pflanzen von den Züchtern und den Landwirten."

    Sagt Agrarministerin Ilse Aigner, die sich dabei auch auf die Bewahrung der Schöpfung beruft. Der Saft und die Süße einer Melone, der Geschmack von Broccoli oder Blumenkohl, das sind schließlich keine menschliche Erfindun-gen, sondern das Erbe aller Völker dieser Erde. Züchter können die Eigenschaften von Pflanzen verbessern, beispielsweise die Melone durch Kreuzung und Selektion, einem konventionellen Verfahren, saftiger oder süßer machen. Für ein Patent reicht das jedoch nicht aus, erklärt der SPD-Abgeordnete Matthias Miersch:

    "Wir haben als Deutscher Bundestag über alle Fraktionsgrenzen hinweg eine klare Beschlussfassung, wonach wir keine Patentierung von konventionell gezüchteten Pflanzen und Tieren wollen. Und wir erleben tagtäglich, dass Anträge beim Europäischen Patentamt gestellt werden, die genau in die Richtung gehen. Wir erleben auch, dass die deutsche Bundesregierung nichts getan hat, um das nationale Patentrecht zu konkretisieren, damit auch auf die europäische Ebene einzuwirken. Insofern ist der Wille des Gesetzgebers im Moment nicht erfüllt."

    Über 1000 Biopatente hat das EU-Patentamt bereits erteilt, die meisten davon für gentechnisch verändertes Saatgut, ärgert sich Miersch:

    "Und wir erleben die Praxis, dass weiter Patente verteilt werden von einem Patentamt, das sich auch dadurch finanziert, dass es Gebühren einnimmt auf erteilte Patente, also damit keine Unabhängigkeit aus meiner Sicht gewährt wird. Wir haben also viele, viele Baustellen und die Bundesregierung bearbeitet diese Baustellen unzufriedenstellend."

    Über Jahre hinweg beobachteten nur Nichtregierungsorganisationen wie "Kein Patent auf Leben" oder Misereor oder Greenpeace die Zulassungspraxis bei den Patenten. Jetzt lenkt das Agrarministerium ein: Seit Anfang letzten Jahres baut es ein Biomonitoring auf, dass alle Patente im Agrarbereich erfassen soll.

    Die Kritiker warnen: Wenn immer mehr Pflanzen großen Agrarkonzernen wie Monsanto gehören, gerate die Menschheit in eine gefährliche Abhängigkeit. Die Rechtsabteilungen der Agrarmultis loten gezielt die Interpretationsspielräume im europäischen Patentrecht aus. Beispielsweise dürfen eigentlich keine Züchtungen geschützt werden, die eine bestimmte Pflanzensorte betreffen, erklärt Harald Ebner von den Grünen:

    "Was passiert aber in Wirklichkeit? Es werden Patente genau auf solchermaßen gezüchtete Pflanzen und Tiere erteilt, und zwar dann nicht auf die Rasse, oder nicht auf die Sorte, sondern auf eine Stufe drunter, beispielsweise die Varietät, oder Ebene drüber gleich eine Pflanzenart oder -gattung. Da sieht man, dass hier bewusst und gezielt juristisch eine Formulierung missintertpretiert wird, die aber von den Gesetzgebern anders gemeint war."

    Mit ihrer abwartenden Haltung gegenüber solchen Praktiken will sich die Bundesregierung offenbar alle Türen offen halten. Gerade erst haben fast zwei Millionen Menschen eine internationale Petition gegen das Gebaren von Monsanto unterzeichnet.

    Während Aigner das in der Bevölkerung äußerst unpopuläre Patent auf Leben offiziell ablehnt, betont das Ministerium gleichzeitig die außerordentliche Bedeutung von Innovationen gerade auch in der Landwirtschaft und fordert Regelungen für den Schutz des geistigen Eigentums ein. Referatsleiterin Barbara Kosak aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz weiß, dass dabei manches schief gehen kann:

    "Ich glaube, es ist ein hochtechnisches und extrem spezielles Rechtsgebiet. Letztendlich kann man sagen, man kann jede Menge Tempo-30-Schilder hinstellen - es wird jede Menge Leute geben, die mit 60 durch die Stadt fahren."