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Brodelnde Erde in Indonesien

Mindestens 29 Menschen starben, 18.000 mussten fliehen, als einer der gefährlichsten Vulkane Indonesiens am Dienstag ausbrach. Im Moment ist der Merapi wieder ruhig, sagt der Vulkanologe Birger-Gottfried Lühr, seiner Erfahrung nach bricht der Berg alle ein bis fünf Jahre aus.

Birger-Gottfried Lühr im Gespräch mit Monika Seynsche | 27.10.2010
    Monika Seynsche: Der Merapi ist einer der gefährlichsten Vulkane Indonesiens. Vor einigen Tagen schon begann er sich zu rühren, gestern dann ist er ausgebrochen. 18.000 Menschen mussten fliehen, mindestens 29 starben dabei. Es gab viele Verletzte. Einer, der den Berg gut kennt und den Merapi seit 15 Jahren untersucht, ist der Geophysiker Birger-Gottfried Lühr vom Geoforschungszentrum Potsdam. Guten Tag, Herr Lühr!

    Birger-Gottfried Lühr: Guten Tag!

    Seynsche: Herr Lühr, wissen Sie, wie es jetzt da aussieht am Merapi?

    Lühr: Also ich habe gerade noch mal nachgeguckt: Diese hochgefährlichen pyroklastischen Ströme, die sind jetzt in den letzten Stunden nicht mehr aufgetreten. Da war hauptsächlich gestern der Tag gewesen. Und die sind das eigentlich wirklich Gefährliche, weil diese Ströme, bestehend aus heißen Gasen, Ascheteilchen, Blöcken, bis hin zu häusergroßen Blöcken, die rasen mit Rennwagengeschwindigkeit die Flanken runter. Die natürlich sind sehr verheerend in ihrer Zerstörungswirkung.

    Seynsche: Warum entstehen denn da solche Wolken? Das passiert doch nicht bei jedem Vulkan.

    Lühr: Für den Merapi selber ist das typisch. Dieser Vulkan gehört zu einer Gruppe von Vulkanen, die wir an den Subduktionszonen finden, das heißt an Zonen, wo eine ozeanische Platte unter eine kontinentale Platte abtaucht, also in diesem Fall die indoaustralische Platte taucht hier unter die eurasische im weitesten Sinne. Die Vulkane, die dabei gebildet werden, können hochexplosiv reagieren, und zu diesem Typ der Vulkane gehört auch der Merapi. Also wir finden diese Vulkane im ganzen sogenannten pazifischen Feuergürtel, angefangen von Feuerland, dann nach Norden, Anden entlang, Aleuten-Bogen, Kamtschatka, Japan, Philippinen runter und auch am sogenannten Sunda-Bogen. Indonesien hat 129 aktive Vulkane und der Merapi ist einer von diesen hochaktiven Vulkanen, gefährlichen Vulkanen.

    Seynsche: Die indonesischen Experten werden zumindest von den Agenturen so zitiert, dass sich im Berg immer noch Druck aufbaut. Was ist denn jetzt zu erwarten? Könnte es zu einer noch größeren Explosion kommen?

    Lühr: Der Merapi hat in seiner Vergangenheit hochexplosive Ereignisse gehabt, Ausbrüche gezeigt. Das heißt, vom Gefährdungsansatz her ist so was auch möglich. Nur in den letzten Jahren ist er eher effusiv, ausfließend, ausgebrochen. Wir sprechen da von einem offenen System. Das heißt, auch 2006 - hatten wir ja den letzten Ausbruch - hat sich ein sogenannter Dom, eine Staukuppe gebildet, und dieser Dom sitzt dann im Gipfelbereich auf der Kante und neigt dazu, als Lawine runterzugehen. Wir sprechen da von einem sogenannten Domkollaps. Dieser Domkollaps führt eben dazu, dass sich diese pyroklastischen Ströme ausbilden.

    Seynsche: Sie sind ja selber auch oft in der Region. Was genau untersuchen Sie eigentlich an diesem Vulkan?

    Lühr: Ich war in zwei Projekten involviert. Bei dem ersten ging es um den Berg selber, um seine Explosionsgeschichte zu verstehen, was für Ausbrüche es in der Vergangenheit gegeben hat, um diese Gefährlichkeit festzustellen. Dann ging es darum, die Aktivitätsparameter, so wie das jetzt auch im Augenblick gemacht wird, zu messen und zu erfassen. Das sind vulkanische Beben, das sind Deformationen, das sind Temperaturveränderungen an Fumarolen, das sind Löcher, aus denen heiße Gase kommen, überhaupt die ganze Förderung zu erfassen. Und es ging auch darum, die Struktur des Berges aufzulösen, das heißt zu gucken, wo ist eigentlich die Magmakammer. Und das war in meinem zweiten Projekt dann Hauptziel, dass man überhaupt geguckt hat, wie überhaupt diese Magmen aufsteigen, aus welcher Tiefe sie überhaupt kommen und wo eventuell eine Magmakammer sein könnte. Wir wissen, dass an diesen Subduktionszonen die eigentlichen Quellen, die Quellorte, in 100 Kilometer Tiefe liegen. Dort treten Fluide aus der abtauchenden Platte aus und reagieren chemisch mit dem darüberliegenden Material, sodass nach einer gewissen Zeit, da sie chemisch mit diesem Material reagieren und die Schmelztemperatur dieses Materials herabsetzen, wir Fluide und partielle Schmelzen haben, die aufsteigen, und wenn die an die Erdoberfläche kommen, dann bauen sie solche Fujiyama-artigen Vulkane auf.

    Seynsche: Haben Sie denn selber einen solchen Ausbruch schon mal erlebt?

    Lühr: Ja, und beim Merapi ist eben das Typische nicht, dass er explodiert, sondern dass er diese Glutlawinen ausbildet. Und wenn man so was erlebt - und das habe ich erlebt - in einem Starkregen, dann sind diese Glutlawinen häufig sogar lautlos. Man hört sie gar nicht, man sieht sie dann nur für kurze Augenblicke in dem ganzen Wolkengewirr als etwas anders graufarbige Strukturen, die es dann wieder vermischen. Es sieht eigentlich gar nicht gefährlich aus. Das macht das Ganze so unheimlich. Wer aber da reinkommt ... so ein klassischer Strom hat schnell Temperaturen von 400 bis 600 Grad, also viel heißer als ein Backofen, und ist orkanartig, sodass Bäume, Sträucher, alles abgeknickt werden und Dächer abgedeckt und alles, was im Weg steht, zerstört wird.

    Seynsche: Aber warum leben dann noch Menschen dort, wenn diese Vulkanausbrüche ja auch so oft auftauchen und anscheinend so verheerend sind?

    Lühr: Ja, die kommen ja nicht jedes Mal in die Dörfer. Bis in die nächstgelegenen Dörfer brauchen so pyroklastische Ströme sieben bis zehn Minuten. Sie müssen aber über sieben Kilometer lang sein, also über sieben Kilometer laufen, damit sie überhaupt in nächstgelegene Dörfer kommen. Das heißt, wir haben ja auch am Vesuv die Menschen, die die Flanken besiedeln. Der Berg ist jetzt relativ ruhig, der letzte Ausbruch war 1944. Dann neigen die Menschen dazu: Solange, wie ich hier wohne, passiert hier nichts. Dieser gleiche Ansatz wird in Indonesien auch angesetzt, dass dann eben die Menschen da wohnen.

    Seynsche: Kommen wir noch mal kurz zum Merapi: Es gab ja keine 24 Stunden vor dem Ausbruch ein großes Erdbeben einige Hundert Kilometer westlich des Vulkans. Hängen diese beiden Ereignisse irgendwie zusammen?

    Lühr: Sie hängen natürlich schon zusammen mit den plattentektonischen Bewegungen. Das heißt, auch Sumatra liegt am Sunda-Bogen und auch hier haben wir diese Prozesse des Abtauchens, die dann zum Spannungsaufbau führen, insbesondere im oberen Teil und sich als Erdbeben entladen. Spätestens seit 2004 ist ja auch in der Öffentlichkeit sozusagen die Wahrnehmung verändert, dass wir also sehen, dass eigentlich jedes Jahr wir solche auch starke Erdbeben im Bereich Indonesien haben. Dieses Beben gehört genauso wie dieser Vulkanausbruch jetzt des Merapi eigentlich in diese Gegend. Dass man jetzt einen direkten Zusammenhang, dass eben das eine das andere ausgelöst hat, also der Vulkanausbruch dieses Beben, das ist extrem unwahrscheinlich. Man könnte sich konstruieren eine Möglichkeit, dass eben das Beben diesen Vulkan sozusagen getriggert hat, dass er dadurch einen Monat früher ausgebrochen ist oder drei Monate. Ausgebrochen wäre er auf jeden Fall, weil er eigentlich fällig war. Der letzte Ausbruch war im Mai 2006, und üblicherweise bricht er alle ein bis fünf Jahre aus, zumindest so ist unsere Erfahrung über die letzten Jahrzehnte. Das heißt also, wir haben schon eigentlich mit den Fingern auf dem Tisch getrommelt und damit gerechnet, dass da jetzt demnächst wirklich was passiert.