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Brok: Ashton muss ein Stückchen mehr Führung zeigen

Nach Frank-Walter Steinmeiers (SPD) Kritik am Verhalten der EU zur der aktuellen Lage in Ägypten, mahnt auch Elmar Brok, CDU-Abgeordneter im Europaparlament, in dieser Situation " muss man auch Risiko und Mut haben, wenn man vernünftig führen will".

Elmar Brok im Gespräch mit Gerwald Herter | 04.02.2011
    Gerwald Herter: Jetzt also beschäftigt sich die Europäische Union auch auf höchster Ebene mit Ägypten, doch in den letzten Tagen ist die Politik der EU fast unsichtbar geblieben. Das sagen jedenfalls die Kritiker. Aus Washington ist viel zu hören, dazu später mehr, und die europäischen Hauptstädte, nicht die EU, produzieren Warnungen, Appelle und Erklärungen. Das wirkt wie ein Rückfall in die Zeit, als wichtige Länder noch große Mächte genannt wurden. Wo ist die Stimme der EU? - Dazu nun Fragen an Elmar Brok, seit vielen Jahren CDU-Abgeordneter im Europaparlament und unter anderem Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Guten Tag, Herr Brok.

    Elmar Brok: Guten Tag, Herr Herter.

    Herter: Herr Brok, es kommt nicht allzu oft vor, dass Sie sich einig sind mit dem früheren Außenminister und SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Steinmeier. Der sagt, er sei erstaunt darüber, wie lange die EU gebraucht habe, um in dieser Sache - gemeint ist Ägypten - überhaupt eine Sprache zu finden. Sind Sie darüber genauso erstaunt?

    Brok: Nicht erstaunt, aber erschrocken! Ich hatte leider Gottes aufgrund der Entwicklung der Außenpolitik im letzten Jahr befürchtet, dass so etwas passieren wird, weil die neuen Möglichkeiten des Vertrages von Lissabon, wo wir ja eine gemeinsame Außenministerin haben mit einem eigenen Apparat, bisher nicht wirklich ausgenutzt worden sind. Und das ist nicht allein die Frage, dass man jetzt nicht schnell mit Erklärungen ist, sondern dass wir auch in der Zeit davor nicht Instrumente genutzt haben. Denn dass dieses mal passieren wird, das wurde doch schon seit Jahren diskutiert, und dass die Möglichkeiten, mit Zivilgesellschaft, mit demokratischen Kräften in Kontakt zu sein, hier Strukturen aufzubauen, zu helfen, dass das in keiner Weise wahrgenommen wurde, sondern nur der Stabilitätsgedanke im Vordergrund stand, war ein großer Fehler.

    Herter: Das ist also einfach verschlafen worden. Liegt das auch an der EU-Außenministerin oder -Außenbeauftragten Catherine Ashton?

    Brok: Auch, aber sie ist nicht alleine dafür verantwortlich, sondern die mangelnde Nutzung von Möglichkeiten, die aus dem Mittelmeer-Prozess, aus der Mittelmeer-Union kommen, den Finanzinstrumenten gerade für Aufbau von Demokratie und Menschenrechte, sind auch davor nicht genutzt worden. Wir haben das als Europäisches Parlament durchgesetzt. Es stehen beispielsweise pro Jahr 130 Millionen Euro zur Verfügung für solche Maßnahmen in der Nachbarschaftspolitik, in Osteuropa, etwa auch Richtung Weißrussland, oder für Nordafrika. Und es ist damit nichts gemacht worden in den letzten vier, fünf Jahren, und das erschreckt mich schon.

    Herter: Das ist ja der große Vorteil, den Frau Ashton eigentlich hat. Sie hat nicht nur die politische Macht, sie hat auch das Geld, das sie verteilen kann. Das ist besser geregelt als zuvor, als noch Javier Solana der Kopf der europäischen Außenpolitik war. Müssen wir das nicht doch darauf zurückführen, dass Frau Ashton hier zu zögerlich ist, dass sie diese Sachen nicht einsetzt?

    Brok: Ja. Ich glaube, dass sie ein Stückchen mehr Führung zeigen muss und nicht alles den alten Botschafterausschüssen überlässt, die über jedes Komma jeder Resolution wochenlang brüten, sondern hier Entscheidungen treffen muss, vorangehen muss, und wenn dann einige Länder nicht mitmachen in solchen Fragen, dann sollen sie Ärger machen. Hier muss man auch Risiko und Mut haben, wenn man vernünftig führen will, und nicht nur die Redaktionskomitees für Resolutionen arbeiten lassen.

    Herter: Das hat Ashtons Vorgänger Javier Solana gemacht, manchmal bis zur Schmerzgrenze. Der wäre auch inzwischen längst nach Kairo gereist, oder?

    Brok: Das nehme ich an. Aber Frau Ashton ist in einer sehr viel stärkeren Position, sie hat den gesamten Apparat und das Geld der Kommission und sie ist gleich Vorsitzende des Außenministerrates, beides Dinge, die Javier Solana nicht hatte. Das heißt, sie ist in einer sehr viel besseren Situation, um solche Möglichkeiten wahrzunehmen, und ich hoffe, dass daraus jetzt endlich mutige Schritte kommen, die natürlich auch mal Fehler beinhalten und Kritik bedeuten. Aber das muss man auf sich nehmen, wenn man diese europäische Politik wirklich voranbringen will.

    Herter: Frau Ashtons Berufung ist ja nun auch von Deutschland unterstützt worden. Hatte sich die Kanzlerin hier geirrt?

    Brok: Dies ist ein Vorschlag der Sozialisten gewesen. Das waren drei Positionen, der Präsident des Europäischen Rates, der Kommissionspräsident - das sind beides Christdemokraten -, und das war nun die Wahl der Sozialisten und das war dann der Vorschlag der Sozialisten in dieser Frage, so dass die Einwirkungsmöglichkeiten der Kanzlerin in dieser Frage gering waren.

    Herter: Aber da gilt doch Einstimmigkeit, Herr Brok?

    Brok: Ja, sicher, aber das ist wie beim Richterwahlausschuss in Deutschland: wenn man den einen zulässt, lässt man auch den anderen zu. Dies ist offensichtlich auch ein Fehler. Ich will das jetzt nicht wegdrücken und es macht, glaube ich, auch keinen Sinn, jetzt zu kritisieren, ob das eine falsche oder richtige Entscheidung war. Wir müssen die heutige Amtsinhaberin unterstützen und fordern, dass sie die neuen Instrumente des Vertrages von Lissabon mutig wahrnimmt.

    Herter: Jetzt soll beim EU-Gipfel darüber gesprochen werden, die Strategie für Nordafrika stärker auf einzelne Länder zuzuschneiden, das Gebiet Nordafrika also nicht global zu betrachten. Das wirkt doch offen gestanden etwas banal.

    Brok: Ich halte das auch für falsch. Ich meine, man muss natürlich einzelne Länder mit ihren Besonderheiten sehen. Aber eines der Probleme, dass es ökonomisch dort schwach ist, ist, dass dort keine Zusammenarbeit passiert. Nur 15 Prozent des Handels, den die nordafrikanischen Staaten machen, ist Handel untereinander. Der Rest ist wie zu Kolonialzeiten in Richtung Europa und so weiter gerichtet. Und hier muss man eine solche Zusammenarbeit sehr viel stärker fördern, um so auch die Basis für wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu haben.

    Herter: Frau Ashton scheint also, nicht alle Erwartungen erfüllt zu haben. Kann sie zurücktreten, oder lässt sie sich absetzen?

    Brok: Mit dem Absetzen wird das etwas schwierig werden, weil das wieder Komplikationen hat, und dann müsste man möglicherweise die gesamte Kommission abwählen, denn sie ist auch Vizepräsidentin der Kommission. Aber ich glaube, wir sollten jetzt, wie ich vorhin sagte, ihr helfen und ihr gleichzeitig deutlich machen, dass hier etwas passieren muss, und ich glaube, das scheint der richtige Weg zu sein. Denn wir wissen ja, dass das eine intelligente Frau ist, die Themen begreift, und vielleicht sollte sie sich auch ein bisschen aus der Zurückhaltung des britischen Außenamtes lösen und hier eine richtige europäische Rolle wahrnehmen.

    Herter: Sie hören den Deutschlandfunk, der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok über die Rolle der Europäischen Union in Ägypten. - Herr Brok, die große Stunde Europas hat geschlagen. Das sagte Anfang der 90er-Jahre der luxemburgische Außenminister Poos. Es ging damals um den Balkan, und das war natürlich ein Desaster für Europa. Wird sich das wiederholen?

    Brok: Nein, das glaube ich nicht. Es ist auch nicht ganz vergleichbar und wir müssen sehen, dass europäische Außenpolitik ja viel, viel besser ist als vor zehn oder 15 Jahren. Wir müssen sehen, dass Europa Missionen, friedensstiftende Mission stellt, vom Balkan bis zum Kongo das gemacht haben, Zivil-Aufbaumaßnahmen in Afghanistan machen, Dinge, die vor zehn Jahren noch völlig unvorstellbar waren. Das heißt, das ist ja nicht alles schlecht, da sind große Fortschritte erreicht. Aber wir sehen in solchen Krisen immer wieder, dass dann die Reaktion darauf zu langsam ist und manchmal auch nicht vorausschauend genug ist, und ich glaube, dass wir hier zu Verbesserungen kommen müssen.

    Herter: Wie stark spielt es da eine Rolle, dass die europäischen Staaten völlig unterschiedliche Interessen haben, denken wir mal an Italien beispielsweise, Anrainer der nordafrikanischen Staaten auf der einen Seite und skandinavische Staaten auf der anderen Seite?

    Brok: Also wir müssen sehen, dass bei den globalen Herausforderungen - dies ist auch eine globale Herausforderung, in der sich die gesamte arabische Welt verändern sollte -, dass das gemeinsame Interesse, der Schnitt des gemeinsamen Interesses sehr viel wichtiger ist als das nationale Interesse, weil keiner von uns mehr sein nationales Interesse durchsetzen kann. Wo soll Schweden national sein Interesse in der Welt durchsetzen? Wo soll das Italien schaffen? Wir sind doch alle miteinander zu klein. Nur gemeinsam stellen wir eine ökonomische Macht dar, die auch eine politische Macht sein könnte. Wir sind zurzeit der Global Payer, aber nicht der Global Player. Wir geben aus dem Haushalt der Europäischen Union für Auslandshilfe dreimal so viel Geld aus wie die Vereinigten Staaten. 60 Prozent der Entwicklungshilfe dieser Welt kommt von der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten. Und politisch machen wir nichts daraus, weil jeder noch vor sich selbst herläuft.

    Herter: Das war der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok mit Kritik an der EU-Außenpolitik im Zusammenhang mit dem Umbruch in Ägypten. Das Gespräch mit Elmar Brok haben wir vor wenigen Minuten aufgezeichnet.