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Brok: Es ist immer bitter, Diktatoren davonkommen zu lassen

Ob die von Syrien zugesicherte Waffenruhe eingehalten werde, ist für den Europapolitiker Elmar Brok mehr als fraglich. Für den Abzug schwerer Waffen gebe es bisher keine Belege. Wenn die Lösung des Blutvergießens darin bestünde, Präsident Assad den Gang ins Exil anzubieten, dann sollte man das in Kauf nehmen.

Elmar Brok im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.04.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit fünf Uhr deutscher Zeit sollen die Waffen schweigen in Syrien. Das jedenfalls hatte der Sechs-Punkte-Plan des Sonderbeauftragten von UN und Arabischer Liga, Kofi Annan, vorgesehen. Momentan scheint die Lage tatsächlich ruhig zu sein.
    Telefonisch sind wir jetzt verbunden mit Elmar Brok von der CDU, er ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Herr Brok.

    Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Bisher gibt es also keine Meldungen über Gewalt aus Syrien. Wie optimistisch sind Sie, Herr Brok, dass es so bleibt?

    Brok: Nun, man sollte optimistisch sein. Aber die Erfahrung zeigt, dass es da allen Grund zur Vorsicht gibt. Wir haben jetzt frühen Morgen dort gehabt, zwei Stunden ist Ruhe gewesen, das zeigt, glaube ich, noch nichts, denn Assad hat ja bestimmte Vorbedingungen auch nicht erfüllt, denn diese Waffenruhe sollte 48 Stunden lang vorbereitet sein, er hat weiter geschossen bis gestern Abend mit schweren Waffen. Die schweren Waffen sind nicht aus den Städten abgezogen. Das heißt, er hat einige Punkte des Sechs-Punkte-Plans in dem Vorfeld offenbar nicht eingehalten.

    Heckmann: US-Präsident Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die haben in der Zwischenzeit miteinander telefoniert und sind zum Schluss gekommen, Assad halte sich bis jetzt nicht an den Friedensplan, und sie forderten ein entschiedeneres Vorgehen des UNO-Sicherheitsrats. Ist diese Einschätzung, dass sich eben Assad nicht an den Plan hält, ein wenig voreilig und möglicherweise sogar kontraproduktiv gewesen?

    Brok: Kontraproduktiv nicht, sondern ein deutliches Zeichen der Warnung an Assad, wenn er es nicht macht, wird es ernster, und er muss aufhören zu spielen, er muss aufhören, die internationale Gemeinschaft zu betrügen. Dafür ist zumindest natürlich auch die Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrates notwendig und bisher haben Russland und China, besonders auch Russland, härtere Maßnahmen gegenüber dem Assad-Regime verhindert, und ich glaube, dass jetzt das der Punkt ist, von Russland doch zu zeigen, dass es ein verantwortliches Mitglied der Völkergemeinschaft ist und hier nicht nur eigene Interessen verfolgen darf.

    Heckmann: Wie groß schätzen Sie denn die Bereitschaft Moskaus und auch Pekings ein, da eine schärfere Gangart im Zweifelsfall, also falls die Waffenruhe nicht hält, einzuschlagen?

    Brok: Die Erfahrung zeigt auch da, dass man skeptisch sein muss, denn Syrien ist der einzige Partner, den Russland in der Region noch hat, und wenn Russland Mitspieler gerade im Nahost-Konflikt sein will, ist das ein wichtiger Punkt, dass es diese Einflusszone nicht verliert, aus ihrer Sicht heraus. Und wir müssen sehen, dass dies ja ein sehr komplexer Vorgang ist. Gleichzeitig ist Syrien natürlich der Verbündete des Iran, der hier entsprechende Hilfestellung leistet. Das heißt, es geht nicht nur um die inneren Fragen Syriens, sondern um ein sehr komplexes Machtspiel, und ich glaube, dass da auch die syrische Bevölkerung ein Opfer wird. Weiterhin muss man sehen, dass durch Unterstützung aus Saudi-Arabien, Katar und anderen Ländern offensichtlich insbesondere muslimische Fundamentalisten der Opposition gestützt werden, sodass eine einheitliche Haltung der Opposition heute nicht gegeben ist, die dringend geboten wäre, und dazu gehörte auch, dass Minderheiten in Syrien Schutz finden würden. Die haben große Angst, wenn Fundamentalisten an die Macht kämen, dass beispielsweise sie in Schwierigkeiten kämen. Man sagt, dass ein bis zwei Millionen Christen in Syrien auf den Koffern sitzen, die dann Angst vor bestimmten Teilen der Opposition haben, und deswegen ist eine Einheit der Opposition und hier eine Festigung der Opposition auf ein friedliches Vorgehen auch gegenüber Minderheiten, glaube ich, eine entscheidende Bedingung, die Einheitlichkeit der Opposition darzustellen, um diesen Mörder Assad in den Griff zu bekommen und außer Landes zu bringen.

    Heckmann: Aber noch einmal, Herr Brok, zurück zu Moskau und Peking. Dort liegt ja unter anderem der Schlüssel im Sicherheitsrat bei den Vetomächten. Welche Mittel gibt es denn außer Appellen an Moskau und an Peking, da den Kurs zu ändern?

    Brok: Natürlich gibt es wenige, aber sie müssen damit konfrontiert werden, dass sie isoliert sind. Deswegen ist es wichtig, dass diese Reise von Ministerpräsident Erdogan, dem türkischen Ministerpräsidenten, nach Saudi-Arabien stattfindet, um auf die Art und Weise gegenüber der Opposition eine gemeinsame Haltung zu erreichen, um dann so doch immer weniger Gründe für Russland und China zu geben, sich so zu verhalten, wie es sich verhält.

    Heckmann: Barack Obama und Angela Merkel haben ein entschiedeneres Vorgehen des UNO-Sicherheitsrats gefordert. Was aber hat der Westen überhaupt noch in der Hand, denn ein militärisches Vorgehen, das scheint ja ausgeschlossen zu sein? Für Sie auch, nehme ich an, oder?

    Brok: Ja! Die Situation ist da völlig anders, geografisch, politisch, und viel komplizierter als in Libyen, und die Uneinheitlichkeit der Opposition spielt hier eine Rolle. Ich glaube, wichtig sind zwei Dinge, dass nämlich sehr viel mehr Mittel eingesetzt werden, um den Unterstützern Assads im Lande deutlich zu machen, dass es mit Assad keine Zukunft gibt, um auf die Art und Weise stärker den Spaltpilz in das Regime hineinzutragen, und ich glaube, hier müsste wir über Sanktionen und andere Instrumente das klarer gemacht werden. Und wenn die Einheitlichkeit der Weltgemeinschaft da wäre, wenn Assad wüsste, dass auch Russland und andere ihn nicht unterstützen, könnte dieser Druck, glaube ich, schrittweise sehr viel stärker angezogen werden. Und ich glaube, dass hier natürlich auch eine wichtige Rolle spielt, in welcher Weise wir hier mit der Türkei kooperieren.

    Heckmann: Inwiefern?

    Brok: Die Türkei als unmittelbarer Nachbar, die ja betroffen ist auch durch Flüchtlinge, kann in dieser Region natürlich sehr viel stärker auch unmittelbaren Druck ausüben, und jede Bedrohung für Assad muss natürlich auch vom türkischen Boden ausgehen, und wenn hier eine enge Kooperation, eine klare logistische Operation auch vorhanden ist, scheint mir das wichtig zu sein, dass man hier gemeinsam arbeitet.

    Heckmann: An der Grenze zur Türkei ist es ja bereits zu Schüssen auf Flüchtlinge gekommen, die dann auf dem türkischen Territorium landeten und ankamen. Wie groß ist die Gefahr, Herr Brok, dass dieser Konflikt sich internationalisiert?

    Brok: Es ist eine Gefahr, dass natürlich das auf die Türkei übergreift. Wenn man sieht, dass auch das Kurden-Problem hier eine Rolle spielt in Syrien, wenn man sieht, dass hier Souveränitätsrechte der Türkei verletzt werden, ist natürlich hier eine Gefahr, dass die Türkei auch militärisch tätig werden könnte. Aber es muss auch hier versucht werden, das einzudämmen, aber auch deutlich zu machen, dass auf der anderen Seite die Türkei in der internationalen Gemeinschaft hier eine wichtige Rolle spielt, sodass auch dieses Schlupfloch für Assad nicht gegeben ist.

    Heckmann: Welche Folgen würde das haben, wenn die Türkei dort sozusagen auf eigene Faust handeln würde, wenn der Sicherheitsrat denn blockiert ist?

    Brok: Ja, das ist die Frage. Dann sind wir in einem militärischen Konflikt. Und wer sich die Region anschauen weiß, dass ein solcher militärischer Konflikt sehr, sehr viel Blut kosten würde, und man kann hier zwischen Regime-Befürwortern und Regime-Gegnern, den Unterschied zwischen Regime-Gegnern nicht so unterscheiden. Das sind dicht bevölkerte Städte und ich fürchte, ein militärischer Konflikt würde zu sehr viel Blutvergießen führen.

    Heckmann: Kurz zum Schluss noch, Herr Brok. Wie ist Ihre Aussicht, wie ist Ihre Perspektive? Was glauben Sie, wie es jetzt in der Region weitergeht?

    Brok: Ich bin pessimistisch. Wer Assad kennt weiß, in welcher Sturheit er dieses Konzept durchziehen wird. Wir wissen, dass das inzwischen für ihn und seine Familie und seine engsten Anhänger auch ein Stück Kampf auf Leben und Tod ist und dass es deswegen wenig Hoffnung gibt, dass von sich aus sie dieses Spiel aufgeben werden, weil sie keine Perspektive sehen. Deswegen ist das sicherlich auch ein Punkt, dass man sieht, ob es hier eine Perspektive gibt – das ist alles zwar immer bitter -, Diktatoren davon kommen zu lassen. Aber das erste ist, dass dieses Land größere Freiheit bekommt und dass Menschenleben gerettet werden.

    Heckmann: Das heißt, man sollte ihm anbieten, ins Exil gehen zu können?

    Brok: Wenn das die Lösung ist, dies schnell zu beenden, sollte man das unter großen Schmerzen auch in Kauf nehmen.

    Heckmann: Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, war das von der CDU. Herr Brok, danke Ihnen für dieses Interview.

    Brok: Ich danke auch!

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