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Brok: "Übermaß an Ausspitzelung" muss beendet werden

Das Ausmaß des NSA-Abhörskandals ist ein Schock, sagt der EU-Parlamentarier Elmar Brok (CDU). In den USA seien Sicherheitsstreben und Freiheit offenbar völlig aus der Balance geraten. Die Spionage belaste auch die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen mit den USA.

Elmar Brok im Gespräch mit Gerd Breker | 01.07.2013
    Gerd Breker: Am Wochenende hat das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" unter Berufung auf Unterlagen des Informanten Snowden berichtet, dass die NSA gezielt auch Einrichtungen der Europäischen Union in Brüssel, in Washington und New York ausspähe. Über Wanzen und den Einbruch in Computer-Netzwerke könnten die Geheimdienstler Besprechungen belauschen und auf E-Mails und vertrauliche Dokumente zugreifen. Die Europäische Union also im Visier des amerikanischen Geheimdienstes. Geht man so mit Freunden um? Ist Empörung als Reaktion ausreichend?

    Im Wägespiel zwischen Sicherheit und Freiheit hat man in den USA eine ganz pragmatische Sicht der Dinge, erst recht, wenn es um Ausländer geht. Die sind durch eigenes Recht ja nicht geschützt. Also hat Sicherheit einen großen Vorsprung. Die Angst vor Terrorismus rechtfertigt viel, auch gegenüber Verbündeten, auch gegenüber Freunden. Die große Gelassenheit wird dann zum Wesenszug.

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, mit dem Unions-Abgeordneten Elmar Brok. Guten Tag, Herr Brok!

    Elmar Brok: Guten Tag!

    Breker: Der Freund wird wie ein Feind behandelt, dieses Gefühl schleicht sich ein.

    Brok: Ja, es ist wirklich ein Schock, ein Gefühl der Hilflosigkeit, man hätte es nicht für möglich gehalten. Wenn man 30 Jahre lang für die transatlantische Verbindung und Freundschaft gearbeitet hat, hat das jetzt eine Dimension erlangt, die einen in einen solchen Schockzustand versetzt.

    Breker: Man ist geschockt. Reicht Empörung als Reaktion aus?

    Brok: Ich hoffe, dass die Klugheit der Politiker in Amerika dazu ausreichen wird, dass man hier einen Schlussstrich zieht, dass man dieses Übermaß an Ausspitzelung beendet, dass eine Entschuldigung kommt und dass Vertrauen wieder geschaffen wird, nicht nur zwischen den politisch Handelnden, sondern auch zwischen den Bürgern.

    Breker: Muss die Europäische Union Druck machen?

    Brok: Ich glaube, es ist deutlich gemacht worden, in welcher Weise hier ein Schockzustand ist, und ich hoffe, dass die Sensibilität auf amerikanischer Seite groß genug ist, darauf zu reagieren, und dass nicht noch mehr Druck möglich ist.

    Breker: Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist hierfür überhaupt keine hinreichende Erklärung?

    Brok: Nein, überhaupt nicht. Deswegen muss man nicht im Monat 500 Millionen deutsche Telefonanrufe und Internet-Verbindungen testen und vor allen Dingen braucht man nicht in den EU-Vertretungen Wanzen einzubauen, denn da sind üblicherweise keine Terroristen zu suchen. Dies ist völlige, vollständige Überwachung und Kontrolle, die dort versucht wird, und ich glaube, die sollte gegenüber demokratischen Staaten, die insbesondere auch Bündnispartner sind, nicht stattfinden.

    Breker: Wanzen in EU-Einrichtungen und Botschaften, mehr Misstrauen geht eigentlich nicht?

    Brok: Nein, es geht nicht mehr, und es scheint ja so zu sein, dass man auch in Berlin Ähnliches versucht hat. Was würden die Amerikaner denn sagen, wenn wir das umgekehrt gemacht hätten, wenn es Versuche gegeben hätte, die Telefonanlage des Weißen Hauses anzuzapfen, wie man es offensichtlich versucht hat, mit der Zentrale in Brüssel zu machen? Es würde einen Aufschrei in Amerika geben und zurecht würde es einen solchen Aufschrei geben, und ich hoffe, dass dieses nun beseitigt werden kann. Ich kann es mir nur erklären, dass durch die Ereignisse des 11. Septembers das Sicherheitssyndrom in den USA so stark ist, dass diese Balance zwischen Sicherheitsstreben und Freiheit völlig auseinandergegangen ist.

    Breker: Reicht es denn, dass man darauf wartet, dass in Washington Einsicht einkehrt? Muss nicht reagiert werden, Herr Brok?

    Brok: Ich hoffe, wenn Präsident Obama aus Afrika zurück ist, dass wir ein Ende dort heraushören. Ich hoffe immer noch, dass dieses ein Überreagieren der Sicherheitsdienste der Amerikaner ist und dass dies nicht von der politischen Klasse getragen wird, und ich hoffe, dass dieses klargestellt wird. Sonst haben wir ein ernsthaftes Problem. Es kann nicht sein, dass hier wie Kraken die Sicherheitsdienste des gesamten Lebens bemächtigen.

    Breker: Wir haben ein ernsthaftes Problem. Haben wir das nicht jetzt schon? Muss nicht in Sachen Fluggast-Daten - die Europäische Union hat sich gerade mit den USA darauf geeinigt, alle möglichen Fluggast-Daten zu übermitteln -, muss da nicht angesetzt werden? Wir beginnen gerade mit dem Verhandeln eines Freihandelsabkommens; muss da nicht reagiert werden? Ist es überhaupt Sache der EU-Kommission, nicht ein klares Zeichen zu setzen, damit die Einsicht aufseiten der Amerikaner vielleicht stärker wird?

    Brok: Es ist, glaube ich, die Reihenfolge. Es sind jetzt die Anfragen gestellt worden, sich zu äußern, und zwar deutlich gestellt worden, und wenn darauf keine befriedigende Antwort gegeben wird, muss man sich nach weiteren Möglichkeiten umsehen. Dieses Abkommen, Freihandelsabkommen ist auch in unserem Interesse. Aber es wird natürlich schwerer jetzt zu verhandeln, weil das Misstrauen so groß ist bei den Verhandlern selbst, die überprüft worden sind oder überprüft werden könnten, und natürlich auch bei den Bürgern. Sie haben das zurecht mit den Fluggast-Daten und den ganzen Verhandlungen des Datenschutzes angesprochen. Unsere Bürger haben jetzt die Sorge, dass hier alles von ihnen offen ist, und deswegen wird es sehr viel schwieriger sein, bei unserer Bevölkerung für solche Abkommen erfolgreich einzutreten. Das macht das Geschäft insgesamt schwerer und deswegen ist es notwendig, dass die Amerikaner hier klar Schiff machen, damit das Vertrauen zurückgewonnen werden kann.

    Breker: Die Bundesregierung hat ja in Sachen britischer Abhöraktionen einen Brief geschrieben und die britische Botschaft hat mitgeteilt, wir beantworten diesen Brief nicht, wir geben grundsätzlich keine Auskunft über die Tätigkeit unserer Geheimdienste. Warum sollten die Amerikaner anders reagieren?

    Brok: Es geht hier um Freundschaften und Bündnispartner. Es geht nicht darum, dass dieses von China oder Russland versucht worden ist. Es sind unsere engsten Partner innerhalb der Europäischen Union beziehungsweise der NATO und dies ist, glaube ich, eine andere Angelegenheit. Und wenn das nicht in Ordnung gebracht wird, haben wir ein dauerhaftes Glaubwürdigkeitsproblem wegen der Dimension. Dass es da immer Spionage gibt, dass man die Fragen von Abhören macht im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus, das ist doch in Ordnung. Aber diese Dimension, die alle Grenzen sprengt und die unschuldige Bürger, unschuldige Mitarbeiter der Institutionen mit einbeziehen, das ist, glaube ich, ein Ausmaß, wo jetzt Vertrauen zurückgewonnen werden muss. Und wenn das so sein sollte, dann halte ich es für unabänderlich, dass wir beispielsweise im Europäischen Parlament einen Untersuchungsausschuss einsetzen.

    Breker: Den würden Sie gegebenenfalls mittragen?

    Brok: Den würde ich mittragen. Aber das würde ich jetzt erst mal ein paar Tage abwarten, bis wir Äußerungen aus Washington haben, und zwar von der politischen Führung Äußerungen haben, die es ja bis jetzt nicht gibt.

    Breker: Von alledem, Herr Brok, wüssten wir ja nicht, wenn der Informant Snowden nicht diese Informationen weitergegeben hätte. Verändert das unseren Blick auf diesen Informanten in Sachen Held oder Verräter?

    Brok: Ich entwickle Sympathiegefühle.

    Breker: Elmar Brok war das, er ist für die Union im Europaparlament und dort Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.