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Brot und Spiele für Tschetschenien

Eine spektakuläre PR-Veranstaltung hatte Ramsan Kadyrow sich ausgedacht: Brasilianische Fußball-Altstars sowie Lothar Matthäus und Ruud Gullit liefen im Stadion der Hauptstadt Grosny auf und kickten gegen den lokalen Club. Dessen Kapitän war der tschetschenische Präsident selbst, dem Morde und Folter vorgeworfen werden.

Von Robert Baag | 10.03.2011
    Tschetschenische Fußball-Fans unter sich. Die einen rufen: "Noch-Tschi-Tsche" - "Mein Tschetschenien" -, kurz und zaghaft dann der Schlachtruf "Rossija" für "Russland", gefolgt von ein paar "Buhs" der überwiegend jungen Leute, schließlich siegt das politisch-korrekte "Ramzan, Ramzan", die Huldigung an das Republik-Oberhaupt Ramzan Kadyrow.

    Immerhin: Kadyrow hat eine Auswahl der brasilianischen Mannschaft, des Fußballweltmeisters von 2002, zu einem Freundschaftsspiel in den Nordkaukasus geholt und sich dabei auch selbst einen Wunsch erfüllt:

    "Ich mag Fußball sehr. Mag, wie die Brasilianer spielen. Als wir die tschetschenischen Fußball-Fans gefragt haben, wen sie denn gerne hier spielen sehen möchten, sagten die: Diese Jungs wollen wir sehen. Und dann haben wir sie eben eingeladen. Nein, nein, das heißt: Die Brasilianer haben es selbst vorgeschlagen. Und wir wollten sie halt sehr gerne sehen."

    Beinahe kindlich wirkt Kadyrows breites Lächeln. Fast ließe es vergessen, dass dem 34-Jährigen vielfach schwere Menschenrechtsverletzungen, Folter und Mord vorgeworfen werden.

    Ein Wohltätigkeitsspiel zugunsten brasilianischer Überschwemmungsopfer sei dieses Match mit einer Veteranen-Mannschaft von Terek Groznyj, versichert Kadyrows Umgebung. Verstärkt wird die Tschetschenen-Elf übrigens vom deutschen Alt-Internationalen Lothar Matthäus, derzeit Fußball-National-Trainer Bulgariens. Kapitän der Elf, wen wundert's: Ramzan Kadyrow. Weiß Matthäus, wessen Einladung er gefolgt ist?

    "Ich hab' zu Brasilien einen guten Kontakt und deswegen bin ich hier in Tschetschenien."
    "Und was wissen Sie über Tschetschenien?"
    "Eigentlich sehr wenig."

    Fußball habe nichts mit Politik zu tun, schiebt er später noch nach.

    Kein Rubel, keine Kopeke aus dem Staatssäckel sei für dieses Spiel in dem aus Moskau seit langem hoch subventionierten Tschetschenien ausgegeben worden. So lautet die offizielle Sprachregelung. Ob und wie viel Geld nötig war, um die hochkarätigen südamerikanischen Kicker in den Nordkaukasus zu fliegen, darüber reden Kadyrow und seine Beamten dann doch nicht. Kennt denn wenigstens Matthäus die Höhe seiner Gage?

    "Muss ich mal mit meinem Management sprechen."
    "Aber es gibt eine?"
    "Ich hoffe doch."

    Die 4:6-Niederlage von Club Groznyj gegen die blaugelben Brasilianer hat er nicht verhindern können. Immerhin: Zwei der vier Tore erzielt Kadyrow. Es sind nicht wenige im voll besetzten Stadion, die dabei gefeixt haben. Dass Ramzan, wie sie ihn nennen, sein Tor schießen würde, steht schon vor dem Spiel nicht nur für den Medizinstudenten Issa fest:

    "Klar, ist doch der Präsident",
    grinst er - und muss dann so richtig lachen.

    Immerhin: Die Brasilianer sind höflich und legen dem stämmigen Oberhaupt der Tschetschenen keine Steine in den Weg zu seinen zwei Prestigetreffern. Eine spektakuläre PR-Veranstaltung in einer Region Russlands, in der das Wort "Opposition" mittlerweile völlig unbekannt ist, geht zu Ende.

    Zwar ist unübersehbar, dass an allen Ecken und Enden der Hauptstadt Grosnyj Neubauten entstehen, Moskaus Finanzspritzen wohl endlich wirken, sogar Luxusläden aufgemacht haben und dass von den Zerstörungen der beiden Tschetschenienkriege zumindest hier fast nichts mehr zu sehen ist - wäre da nicht der permanente öffentlich-vorauseilende Konformismus zu Ramzan Kadyrows Nutzen, Ruhm und Frommen.

    Der Personenkult um ihn und seinen 2004 im selben Fußballstadion in die Luft gesprengten Vater Achmat Kadyrow zeigt bizarre Züge. An unzähligen Hausfassaden hängen gütig blickende Porträts des toten und des amtierenden Republik-Chefs.

    Unweit der neuen großen Moschee von Grozny, sitzen einige Menschenrechtler zusammen. Fünfzehn Leute zählten sie noch in ganz Tschetschenien. Sie arbeiten weiter. Allerdings ohne Lärm, wie sie sagen. Die Behörden würden so etwas nicht schätzen. Bei ihren regelmäßigen Besuchen hätten Geheimdienstmitarbeiter ihnen dies deutlich gemacht. Aber, sagt einer von ihnen, dessen Name unerwähnt bleiben soll:

    "Wenn nachts die Tür aufgebrochen wird und du noch nicht mal die Augen hast aufmachen können, aber schon das kalte Metall eines MPi-Laufs an der Schläfe spürst, so wie das hier früher oft war - das alles haben wir durchgemacht. Da mag man uns nachsagen, was man will; wenn wir uns tatsächlich fürchten würden, uns in unser Schicksal ergeben hätten, wären wir schon längst weg aus dieser Republik und hätten als politische Flüchtlinge in Berlin um Asyl gebeten."