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Brudermord im Ameisennest

Zoologie.- Ameisenmännchen haben ein kurzes Leben - zumindest bei den meisten Arten. Etwas anders sieht das bei Cardiocondyla obscurior aus. Bei dieser tropischen Ameisenart leben die Männchen bis zu vier Wochen. Allerdings sterben sie oft abrupt und gewaltvoll.

Von Joachim Budde | 14.08.2012
    Die tropische Ameisenart Cardiocondyla obscurior hat etwas besonderes entwickelt im Laufe der Evolution: In ihren Kolonien leben flügellose Männchen, die den Arbeiterinnen ähnlich sehen.

    Die meisten Ameisenarten produzieren nur geflügelte Männchen, die den Bau verlassen, um sich draußen mit Königinnen zu paaren. Bei Cardiocondyla obscurior laufen solche geflügelten Männchen jedoch Gefahr, vergeblich nach einer Partnerin zu suchen, denn die Art erobert neue Lebensräume, und dort ist das Volk erst einmal auf sich allein gestellt, sagt Professor Sylvia Cremer vom Institute of Science and Technology Austria in Klosterneuburg bei Wien.

    "Wenn man als einzige Ameisenkolonie an einen neuen Ort verdriftet wird, dann macht es keinen Sinn, alle Geschlechtstiere rauszuschicken aus der Kolonie, denn sie würden keine Paarungspartner finden. Und in solchen Arten gibt es eben auch ungeflügelte Männchen, die dann die Brutkammer durchsuchen und schauen, wann eben neue Jungköniginnen schlüpfen, und dann sofort mit ihnen paaren."

    Diese Männchen haben noch eine besondere Eigenschaft: Sie sind aggressiv. Sie patrouillieren durch die Brutkammern und stürzen sich auf jeden frisch geschlüpften Nebenbuhler. Um die auszuschalten, fehlen ihnen jedoch die Mittel. Sie haben zwar riesige Mundwerkzeuge, doch die sind lediglich dazu geeignet, Jungköniginnen festzuhalten. Oder Rivalen, sagt Cremer.

    "Das heißt, es ist den Männchen gar nicht möglich zu beißen. Was sie deswegen machen, ist, dass sie aus ihrem Hinterdarm Substanzen auf das Rivalenmännchen auftragen und es sozusagen beschmieren und damit den Arbeiterinnen ein Zeichen geben, dass die Arbeiterinnen dann dieses beschmierte Männchen zerbeißen und töten für das andere Männchen."

    Je früher der Platzhirsch einen neuen Rivalen entdeckt, desto größer sind seine Chancen, den Kampf zu gewinnen.

    "Die jungen Männchen lassen sich mehr oder weniger widerstandslos greifen und schmieren keine Substanzen auf das alte Männchen auf. Und ein zweiter Vorteil für das dominante Männchen ist, dass diese jungen Männchen noch eine recht weiche Cuticula haben, und somit werden diese weichen jungen Männchen von den Arbeiterinnen sehr leicht zerbissen."

    In Experimenten haben Cremer und ihre Kollegen festgestellt, dass dieser Vorteil schnell schrumpft: Bereits gegen zwei Tage alte Rivalen überlebten die dominanten Männchen nur noch knapp jede zweite Schmierattacke mit dem Sekret.

    Dass die Männchen ihre Rivalen nicht schon im Puppenstadium angreifen, liegt daran, dass die Puppen noch alle sehr ähnlich riechen. Erst direkt vor dem Schlüpfen entwickeln die Männchen einen anderen Duft als die Jungköniginnen. Tötet das dominante Männchen jedoch die falsche Puppe, verspielt es eine Möglichkeit, seine Erbinformationen weiterzugeben.

    Für die Kolonie hingegen ist es lediglich wichtig, dass überhaupt stets genügend Männchen vorhanden sind, sagt die Biologin.

    "Wenn es nur eine Königin gibt, die alle Eier im Nest produziert, dann legt diese Königin sehr wenig männliche Eier, das heißt, sie will nicht, dass ihre Söhne sich alle gegenseitig umbringen. Wenn allerdings mehrere Königinnen in der Kolonie gleichzeitig leben, dann ist es so, dass die Anzahl an flügellosen Männchen abrupt steigt, weil dann die Königinnen natürlich in Konkurrenz untereinander sind, wer jetzt den Sohn produziert, der das dominante Männchen ist."

    Und so tragisch das Schicksal für die unterlegenen Männchen sein mag – die Kolonie recycelt sie einfach. Als Futter für die Larven.