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Brückenbau
Ein Schnelltest für mehr Sicherheit

Viele der rund 40.000 Autobrücken in Deutschland erreichen allmählich ein kritisches Alter. Wie lange es dauert, bis wichtige Teile einer Brücke durch Rost und zunehmenden Verkehr ernsthaft Schaden nehmen, ist nicht leicht herauszufinden. Ein Schnelltest für Stahlbetonbrücken soll Abhilfe schaffen.

Von Karl Urban | 22.07.2014
    Blick auf Rheinbrücke bei Leverkusen
    Das neue Verfahren kontrolliert die Schwingungen der Stahlseile. Schwingt ein Seil plötzlich anders als früher, könnte das ein Anzeichen für Rost sein. (picture alliance / dpa / Horst Ossinger)
    Für die einen ist das Lärm einer Autobahnbrücke, für Steffen Siegel ist es Musik
    ... und die Brücke sein Instrument.
    "Das kann man sich vorstellen mittels der schwingenden Saite von einer Gitarre zum Beispiel."
    Der Ingenieur vom Institut für Massivbau und Baustofftechnologie des Karlsruher Instituts für Technologie beschäftigt sich mit Stahlseilen, die Brücken halten. Fast jede große Autobahnbrücke in Deutschland ist von ihnen durchzogen und hält die Konstruktion unter Spannung. Eine Spannung, die viel aussagt über den Zustand der gesamten Brücke.
    "Wenn man eine Gitarre hat, hat man ja seinen Draht. Den spannt man an."
    "Je höher man den anspannt, umso höher schwingt der. Also da ändert sich ja der Ton."
    Steffen Siegel versucht, mit diesem physikalischen Prinzip ein aufwendiges Prüfverfahren zu vereinfachen. Jede Brücke und besonders ihre kritischen Bauteile müssen alle sechs Jahre in Augenschein genommen werden. Eine typische deutsche Autobahnbrücke ist allerdings Hunderte Meter lang, besteht aus etlichen dicken Betonquadern, zusammengehalten von hunderten oberschenkeldicken Stahlseilen. Die gewissenhaft zu kontrollieren, ist immer aufwendig und an bestimmten Stellen sogar unmöglich.
    "Es gibt Verankerungsbereiche und diese Umlenkstellen: Die sind eigentlich blinde Flecken, wo wir überhaupt nicht nachvollziehen können, ob da irgendwo ein Schaden ist."
    An bestimmten Stellen fallen Schäden nur schwer auf
    Erstaunlich eigentlich – denn um die Wartung zu erleichtern, ist eine typische Autobahnbrücke innen hohl. Die Stahlseile sind in einem Gang unter der Fahrbahn gespannt – und fast überall frei zugänglich. Das Problem sind jene Stellen, an denen die Seile befestigt sind. Eine Achillesferse, an der ein rostiges oder teilweise gerissenes Stahlseil nicht weiter auffällt.
    Und hier kommt die Musik ins Spiel. Denn wie ein Brückenseil an einer gut zugänglichen Stelle schwingt, verrät viel über dessen Zustand auf ganzer Länge.
    "Im Prinzip sind hier zwei Sensoren drin. Das sind Beschleunigungssensoren. Die messen einfach die Beschleunigung. Das heißt, wie das Seil schwingt.Wir haben hier Hochleistungsmagnete und die werden dann am Magnet direkt am Seil montiert."
    An einem Stahlseil – dem sogenannten Spannglied – befestigt Steffen Siegel einen Metallkasten mit Magneten, kaum größer als eine Zigarettenschachtel.
    "Dann wird die Messung gestartet. Bei externen Spanngliedern kann es sein, dass man noch mit dem Hammerschlag nachhelfen muss zur Anregung. Dann läuft die Messung durch."
    Auf einem Display erscheinen nach kaum einer Minute dünne Spitzen, die für die Eigenschwingungen des vermessenen Stahlseils stehen. Eine Materialeigenschaft, die nur von der Länge, dem Gewicht und der Spannung des Seils beeinflusst wird. Hat sich irgendwo die Isolation gelöst, hat der Stahl begonnen zu rosten oder sind sogar schon einzelne Stahladern gerissen, verändert sich die Schwingung im Vergleich zu früheren Messungen.
    Die Ingenieure bestimmen die Zugkraft des Seils dabei zwar nicht ganz so exakt wie bei traditionellen Verfahren mittels Ultraschall oder magnetischer Messungen. Dabei wird bisher jedes gespannte Seil an mehreren Stellen kontrolliert, was schnell zwei bis drei Tage pro Brücke benötigt.
    Steffen Siegel braucht dagegen nur eine einzige Schwingungsmessung pro Stahlseil und überprüft eine Brücke in wenigen Stunden. Sein neues Messverfahren könnte somit die Arbeit von Brückenprüfern deutlich effizienter und damit günstiger machen, glaubt der Ingenieur. Und das wäre dringend nötig, immerhin dürfte die Zahl baufälliger Brücken aufgrund des gewachsenen Lkw-Verkehrs in Zukunft stark zunehmen.
    "Jede Bodenwelle und jede kleine Unebenheit, die in der Fahrbahn ist, wenn da ein Lkw darüber fährt, erzeugt der einen Impuls in die Brücke und schädigt das Bauwerk umso schneller."
    Die deutschlandweit 40.000 Fernverkehrsbrücken leiden heute also vor allem unter dem Schwerverkehr – und wie der die Brückenseile schwingen lässt.