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Brüder im Geiste

In den letzten Jahren sind zahlreiche Briefwechsel des Lyrikers Paul Celan herausgekommen. Kann es da überhaupt noch Überraschungen geben? Doch: Der Band des Briefwechsels mit Kunsthistoriker Klaus Demus und seiner Frau bringt auch neue Erkenntnisse.

Von Helmut Böttiger | 28.02.2010
    Paul Celan, der ostjüdische deutschsprachige Dichter aus Czernowitz, kommt Ende 1947, als 27-Jähriger, nach einer langen Flucht über Rumänien und Ungarn in Wien an. Er muss dort ziemlich schnell Eindruck gemacht haben: er findet schnell Anschluss an die jüngere Literatenszene, vor allem an einen Kreis um den surrealistischen Maler Edgar Jené, und die Zeitzeugen berichten, dass eine ungewohnte, eine auratische poetische Aura um ihn zu spüren gewesen sei. Auch der sieben Jahre jüngere Klaus Demus gerät in den Bann Celans. Er schreibt nach Paris, wohin Celan nach einem halben Jahr übergesiedelt ist:

    "Mein sehr lieber Paul Celan! Ich denke so sehr an Sie wie an eine Person im Traum. Immer und immer. Und Ihre Gedichte sind mir so vertraut wie eine Kindheitslandschaft, und doch immer neu, wie die Erinnerungen und das Denken. Seit ich jetzt öfters bei Jené bin (danke sehr dafür -), stehen Sie nun ganz wirklich an der Stelle in meinen Denken, die in der Mitte für ein Idol da ist."

    Celan hat Demus viele Erfahrungen voraus – Erfahrungen auch ganz existenzieller Natur. Am Anfang ist dieser Abstand deutlich zu spüren. An seine Freundin Erica Lillegg-Jené, die Frau des Malers Edgar Jené, zu der er zeitweilig ein sehr enges Verhältnis hat, schickt Celan im Sommer 1949 eine erste Fassung des Gedichts "Die Krüge" und schreibt dazu:

    "Und hier ist eines, verlegen und scheu, ein verirrtes und ungewisses. Ich werde es dem kleinen Klaus schenken, aber vor ihm, das weißt Du, gehört es Dir, und allen Früheren und Kommenden."

    Der Briefwechsel zwischen Celan und Demus beginnt mit einem Gedicht, das Demus Celan bei einer Verabredung in Wien überreicht, kurz bevor Celan weggeht. Es ist ein langes Gedicht, das mit diesem Briefwechsel zum ersten Mal veröffentlicht wird. Man spürt bei dem jungen Demus, in welche ganz andere Tradition als Celan er hineingeboren worden ist. Und seine ästhetischen Vorstellungen sind auch ganz andere als bei den später berühmt gewordenen Vertretern seiner Generation, die experimentell agieren und konkret, die die Sprache als Material betrachten. Die Maßstäbe von Demus kommen woanders her:

    "Und wieder steigt der Rauch aus der Schale des neuen Jahres
    Und der Mensch baut sich seine Landschaft
    Frühlingswasser und überall blühendes Blut
    Sommerliche Katarakte Sonne
    Herbstströme Sonne
    Eisteiche des Winters Sonne
    Und unter den Bäumen erzählt man sich von der Jahreszeit
    Träumerische Leiden"


    Klaus Demus stammt aus einer klassisch österreichischen, bildungsbürgerlichen Familie. Sein Vater Otto Demus ist ein bekannter Byzantinist und Kunsthistoriker, der seit 1946 das Bundesdenkmalamt in Wien leitet. 1963 wird er Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Wien. Klaus tritt in die Fußstapfen des Vaters und arbeitet bis 1987 als Kustos im Kunsthistorischen Museum Wien. Sein Bruder Jörg Demus ist ein berühmter Konzertpianist. Klaus Demus hält Vorträge über Kunst und hat mit der Zeit immer mehr Aufträge, die ihn in viele europäische Städte führen. In seiner Lyrik knüpft er an die Tradition an. Heidegger, Hofmannsthal, Hölderlin sind die Fixpunkte. Wenn man Paul Celans Entwicklung sieht, die historischen Brandmale, die seine Gedichte prägen, das Bewusstsein, als deutschjüdischer Dichter im 20. Jahrhundert zu stehen – dann scheint der Abstand zu Demus sehr groß zu sein. Am 17. November 1955 formuliert Demus, was für ihn zählt:

    "Mir bedeutet der Raum hier viel, soweit vom Alten, Unzerstörbaren noch etwas übrig ist, und es ist genug. Noch lässt es sich hier im Geistigen gut leben, wenn man in starker eigener Sache auf das Deutsche sieht. Die Landschaft, die Wälder, Wiesen und Kirchen wollen wir Euch zeigen, da hat sich nichts verändert, und der Blick über das Eigene ist hier seit Grillparzers, Stifters und Hofmannsthals Zeiten wissender und reicher als in Deutschland."

    "Da hat sich nichts verändert" – Celan hat vielfach betont, welch entsetzliche Erfahrung dies für ihn bedeutet. Das Deutsche an Wien hat ihn schnell zum Entschluss geführt, nach Frankreich auszuwandern. Dennoch ist er in der Lage, sich darin einzufühlen, was Klaus Demus meint. Es gibt gemeinsame Interessen, auch Celan fühlt sich stark zur Philosophie Heideggers hingezogen. Aber es ist letztlich vor allem eine menschliche Nähe, die für die Beziehung zu Klaus Demus maßgebend ist. Celan hat mit dem jüngeren Wiener Freund und dessen Frau Nani, daran erinnern sie sich, kaum über seine jüdische Identität gesprochen, das Jüdische wird in der ersten, intensiven Phase dieses Briefwechsels nirgends thematisiert. Aber Celan vertraut Demus, und dieses Vertrauen hat etwas, so unterschiedlich die Ausprägungen auch sein mögen, mit dem Dichterischen zu tun. Bald sprechen sich die beiden gegenseitig mit "Bruder" an. Der Altersunterschied wird im Lauf der Jahre überlagert. Eine große Rolle spielt dabei die Unbedingtheit, mit der Demus an den Lyriker Celan glaubt, die ungeheuere Bewunderung. Am 1. Januar 1951 schreibt Demus:

    "Mein lieber, lieber Paul.
    Es sind Deine Worte, die mich begleiten, es ist Deine Stimme, die zu mir spricht. Du bist der größte aller Abendkönige. Du bist die Stelle, wo vor Mitternacht das Herz noch schlägt. Das Rad im Dunkel, das Dich treibt – Du bist es selbst, ders treibt. Und keine andere Hand ist, der Dus abgiebst. Du weißt wohl, was Du musst. Und, Paul: wir wissen es mit Dir.
    Du kreist vielleicht um den Gott des Stundenbuchs!"


    Dies sind Töne, die aus einer ganz anderen Zeit zu stammen scheinen als aus der Gegenwart um 1950, und Celan ist gerade für solche Töne sehr empfänglich. Demus und Celan sprechen sich zwar öfter emphatisch mit "Bruder" an, aber es ist doch ein Unterschied zu erkennen: so wie Demus hat kein anderer Celan gepriesen und verehrt. Der enorme Umfang dieses Briefwechsels liegt vor allem daran, dass Demus sehr lange Briefe schreibt, und er schickt Celan viele Gedichte und lyrische Prosa, die hier ebenfalls dokumentiert werden. Celan meldet sich über längere Strecken gar nicht, und wenn, dann eher kurz. Dennoch fühlt er sich Klaus und Nani Demus sehr nah. Eine besondere Rolle spielt dabei, dass Nani Demus Ingeborg Bachmann kennt. Es wird nicht ganz klar, wie eng das Verhältnis zwischen Bachmann und Nani Demus war – der Herausgeber Joachim Seng schreibt in seinem Nachwort, Bachmann habe "mit Nani Demus in Klagenfurt maturiert" und sei ihr "während des Studiums in Graz und später in Wien wieder begegnet."

    Klaus und Nani Demus werden im Verhältnis von Bachmann und Celan als Vermittler wichtig: Nani Demus erhält ein Stipendium in Paris und bekommt dort etwas davon mit, wie Bachmann und Celan von Oktober bis Dezember 1950 das Experiment wagen, in einem kleinen Appartement unter dem Dach zusammenzuwohnen – es ist nach wenigen Wochen zum Scheitern verurteilt. Zu Beginn dieses Versuchs schreibt Celan an Klaus Demus:

    "Inge ist sehr lieb, sie wiederzusehen war mir mehr als ich gedacht hatte, durch sie bist auch Du und ist auch Nani in Herzensnähe, aber ich kann zu Inge nicht von all dem sprechen, noch nicht sprechen, sie selbst ist ja ein ebenso schwaches Rohr wie ich."

    Die ersten Jahre in Paris, bis er Ende 1951 seine Frau Giséle kennenlernt, sind für Celan von großer Einsamkeit gekennzeichnet – er hat kaum französische Freunde, noch keine französische Staatsbürgerschaft und versucht verzweifelt, sich im deutschen Literaturbetrieb Gehör zu verschaffen. Nach dem Scheitern des Zusammenlebens mit Ingeborg Bachmann wird Klaus Demus, der junge, ihn bewundernde Dichter in Wien, für ihn zum wichtigsten Bezugspunkt. Demus erfährt von Celans Leben und Nöten lange Zeit so viel wie kein anderer, und für diese Phase, bis Anfang der 60er-Jahre, ist der Briefwechsel zwischen beiden tatsächlich eine wichtige Quelle. Vertrauliche, sich öffnende Zeilen wie diese von Anfang 1951 an Demus hat Celan sehr selten geschrieben:

    "Wenn ich also nicht schreibe, so nur deshalb, weil ich mir so ungern dabei zusehe, wie ich an mir vorbeirede, und ich habe nie so deutlich wie jetzt das Gefühl gehabt, Überflüssiges zu sagen, sooft ich meinen Blick über die Dinge rundherum wandern lasse. Ach ja, das "Filigran der Dinge" (ein Wort von Nietzsche, das ich bei Scheler fand)... Man muss es ganz erfasst haben, mit beiden Händen (und wieviel Augen?), muss ihm gefolgt sein bis in seine feinsten und letzten Verästelungen – um ins Freie, um hinüberzugelangen. Ins Freie? Oder in den Tod? Oder ist das dasselbe? Ja, der Blick wandert, aber was erwandert er sich? Die Spur anderer Blicke vor ihm, das zumeist schon erloschene Licht Tausender und Abertausender von Augen, Sternlein und Lämplein, die unverhofft aufleuchten, wenn sie ein lebendiges Gedächtnis in der Nähe wähnen – und was ist so ein wandernder Blick anderes als ein kleiner Bote, beritten oder nicht, der vor Ungeduld vergeht, mit all dem Erschauten und Erspähten heimzukehren und es dortselbst gut und getreulich aufzubewahren?
    Zuviel Ehrgeiz, zuviel Selbstvertrauen, Ihr Herren Boten und Reiter! Zuviel Hast. Zuviel Ungestüm. Ihr fahrt, um zu erfahren. Im Imperfektiven sucht Ihr das Perfektive. Aber Ihr könnt Euch dort nur zutode laufen, dahinfahren – jawohl, das könnt Ihr, Ihr Gedächtnis-Herren, das könnt Ihr wohl!"


    Dies ist eine aufschlussreiche Passage über die poetologischen Vorstellungen des frühen Celan: die Umkreisungen des Freien und des Todes, die Anrufungen des Gedächtnisses und die Ahnung der Vergeblichkeit desselben – eine den feinsten Verästelungen nachspürende Selbstaussage. Als er im November 1951 die junge Gisèle de Lestrange kennenlernt, entwickelt sich bald ein herzliches Verhältnis zwischen den Paaren. Gegenseitige Besuche fallen sehr glücklich aus, noch ist nichts zu spüren von Celans späteren psychischen Ausfallerscheinungen. Auffällig ist aber eine große Empfindlichkeit Celans gegenüber allen kritischen und verständnislosen Reaktionen, die seine Gedichte betreffen.

    Auch wenn er Erfolg hat, stehen seine Fassungslosigkeit, seine Gekränktheit, wenn ihn jemand aus Konkurrenz, aus Neid oder einfach nur aus Unvermögen links liegen lässt, sofort im Mittelpunkt. Bei der inzwischen legendenumrankten Tagung der Gruppe 47 im Mai 1952 an der Ostsee schneidet der bis dato völlig unbekannte und sich vom Mainstream der Gruppe eklatant unterscheidende Celan erstaunlich gut ab: bei der Ermittlung des Preisträgers bekommt er die dritthöchste Wertung, er erhält Aufträge von Rundfunkanstalten und Zeitschriften und vor allem einen Vertrag für seinen ersten, offiziellen Gedichtband. Der Preis dieser Gruppentagung geht an Ilse Aichinger, auch sie eine Autorin mit jüdischem Hintergrund. Der Brief von Celan an Klaus Demus ist neben demjenigen an seine Frau Gisèle jetzt der zweite öffentlich gemachte, in dem von den Erfahrungen des Lyrikers bei der Gruppe 47 die Rede ist.

    Gisèle gegenüber ist Celan relativ zurückhaltend und vorsichtig. Im Brief an Klaus Demus aber fällt auf, dass er sich vor allem von Ingeborg Bachmann verraten fühlt. Sie stand seiner Meinung nach im Mittelpunkt, obwohl sie für den Preis der Gruppe gar nicht in Frage gekommen war, und inszenierte sich als Dichterin. Für Celan war die Konkurrenz zu Ingeborg Bachmann, die er als seine Schülerin empfindet, anscheinend bedrängender als das, was man später als "antisemitische" Tendenzen in der Gruppe 47 zu fassen versucht hat.

    "Mein guter Klaus, es ist so schwer zu sagen, was ich von all dem halten soll – es war aufregend und dennoch beinah ganz ohne Niveau.
    Inge hat mich wieder sehr enttäuscht. Sie hat mich nämlich wieder verleugnet und es sogar so weit gebracht, sich gegen mich ausspielen zu lassen: ihre Gedichte, nicht die meinen, blieben die gültigen, und sie ließ es sich, lächelnd vor Glück, gefallen, als die Dichterin angesprochen zu werden... Und dieser Erfolg hat nun keineswegs rein literarische Ursachen. Und dann kam sie und fragte mich, ob ich sie heiraten wolle. Und kam und bat mich um einen Titel für eines ihrer Gedichte, das nun in der "Literatur", der Zeitung der Gruppe 47, erschienen ist. Ich fand diesen Titel – ich griff eine ihrer Gedichtzeilen heraus – und man beglückwünschte sie dazu. Sie nahm das an und freute sich.
    Vor meiner Abreise kam sie dann für einen Augenblick auf mein Zimmer, spielte die völlig Zerstörte und bettelte um ein Stückchen Zukunft. Ich schenkte es ihr.
    Ich war dort oben beleidigt worden: H.W. Richter, der Inge nach Hamburg gebracht hatte, sagte nämlich, meine Gedichte seien ihm auch darum so zuwider gewesen, weil ich sie im "Tonfall von Goebbels" gelesen hätte. Nach der Lesung der Todesfuge! Und so etwas muss ich erleben! Und zu so etwas schweigt Inge, die mich zu dieser Reise mitveranlasst hatte!"

    Verblüffend aber ist die Karte, die Celan nur wenige Tage später an Demus schreibt. Der veränderte Ton hat auch etwas damit zu tun, dass Celan soeben eine erfolgreiche Lesung in Frankfurt am Main absolviert hat:

    "Kläuschen, mein Brief war im Affekt geschrieben, er war zum Teil ungerecht und dumm. Inge hat eine so schöne silberne Stimme. Und außerdem steht ihr der neue Mantel so gut!"

    Noch hält Celan eine zwar prekäre, aber einigermaßen stabile Balance. Im Laufe der 50er-Jahre registriert er jedoch immer sensibler die Wiederkehr der Nazi-Töne in Westdeutschland, vor allem auch die antisemitischen Tendenzen. Das vermischt sich mit seinem Dichtertum. Celan setzt den Juden und den Dichter programmatisch gleich. Er versteht seine Gedichte nicht zuletzt als Grabinschriften für seine von den Nazis umgebrachte Familie, vor allem für seine Mutter. Und deshalb sind für ihn die üblichen Machenschaften des Literaturbetriebs, die üblichen hämischen, konkurrenzlerischen, neidischen und intriganten Stimmen, direkte Angriffe auf seine Person. Celan gelingt es nicht, dies als Mechanismen abzutun, wie es sie schon immer gegeben hat. Er ist Überlebender des Massenmords an den europäischen Juden, und das Bewusstsein dafür wird mit jeder neuen Zeitungskritik aktualisiert. Ein Brief von Celans Frau Gisèle an die Familie Demus vom 17. März 1959 ist sehr beredt. Es geht um eine Reise Celans nach Deutschland:

    "Ich hoffe, es gibt keine neuen Enttäuschungen mit den Leuten drüben, die ihn so schlecht verstehen, die aber so viel von ihm zu lernen haben. Die letzte Zeit war reich an Enttäuschungen, an Bitterkeiten, sehr reich, sehr reich. Die Leute haben Paul so weh getan, wenn Sie wüssten, wie sehr sie ihn zugrunde richten, wie sehr sie ihn beschmutzen. Es gibt so wenige, die wissen, wer er ist, so wenige, die ihn erkannt haben. Wir haben gerade ziemlich traurige Wochen hinter uns. Jetzt erscheint das neue Buch, aber die Gedichte schützen den Dichter nicht! Sie stellen sie an den Pranger. Von allen Seiten haben sich gegen uns Lüge, Infamie erhoben. Das ist hart, sehr hart für Paul, und oft denke ich in unserer Einsamkeit an Ihr "Zuhause", Ihren großen Park, Ihre Einsamkeit, das Kind, das Sie erwarten. Auch für uns gibt es jetzt nur unser Zuhause mit unserem Sohn und auch die kleine Insel in Wien. Aber ich glaube, dass wir es endlich wissen: Vom Kontakt mit den Menschen haben wir wenig zu erwarten."

    Was nun folgt, ist durch etliche bereits erfolgte Veröffentlichungen aus Celans Nachlass bekannt: eine völlig verfehlte Kritik Günter Blöckers im "Tagesspiegel", die Celan durchaus begründet als antisemitisch empfindet, und der Höhepunkt der Goll-Affäre mit den verleumderischen Plagiatsvorwürfen gegen ihn, die er psychisch nicht verkraftet. Doch gerade im Briefwechsel mit Klaus Demus, dem lange Zeit engsten und fast einzigen Freund, ist es erschütternd zu beobachten, wie Celan sich zusehends in ein Wahnsystem verstrickt und selbst seine Freunde als Feinde bezichtigt. Wie von Ingeborg Bachmann sagt sich Celan auch von Demus los – man kann nicht anders, als dies nach allem Vorangangenen, nach allen Freundschaftsbeweisen von Klaus Demus als tragisch zu empfinden. Nach einem Besuch in Paris im März 1962 und einer Abweisung im April schreibt Demus einen bewegenden Brief. Er kündet von der Verzweiflung eines Freundes:

    "Mein lieber, mein geliebter Paul! Wenn Du mich lieb gehabt hast in so vielen Jahren, wie ichs ja weiß, wenn Du meine Liebe gespürt hast: dann gib diesem Brief, dem schwersten meines Lebens, soviel Gehör als Du kannst. Ich habe Dir das Außerste, das Allerletzte zu sagen. Ich schwöre es Dir, dass es allein aus mir kommt, dass niemand mich beeinflusst hat, dass ich allein von mir zu Dir spreche. Alles hängt davon ab, dass Du mir das glaubst.
    Was ich zu sagen habe, kannst Du mir wohl nicht glauben – es geschähe denn ein Wunder: weil diese winzigste Chance besteht, die letzte und äußerste, die meiner Freundschaft zu Dir aufgegeben ist, habe ich es zu sagen. Paul, ich habe den entsetzlichen ganz gewissen Verdacht, dass Du an Paranoia erkrankt bist."


    In diesem Moment reißt der Kontakt ab. Erst sechseinhalb Jahre später, im Dezember 1968, reagiert Celan wieder auf einen Gesprächsversuch von Demus. Er ist längst in psychiatrischer Behandlung, hat immer wieder längere Klinikaufenthalte und steht unter Medikamenten. Ein halbes Jahr vor seinem Tod zieht Celan in sein letztes, leeres Appartment und hat, wie er schreibt, Gisèle "ganz verloren". Eines seiner letzten Zeugnisse in diesem Briefwechsel stammt von Ende November 1969:

    "ich bin nun eben so ziemlich zerrissen, ein wenig – ich zitiere -: l'homme coupé en tranches. Es war so vieles in mir – und eine Einheit, ein Ganzes."

    Paul Celan/Klaus und Nani Demus: Briefwechsel
    Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2009, 675 Seiten. 34,80 Euro