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Brüssel
Auf der Suche nach Normalität

Von einer Rückkehr in die Normalität ist Belgien eine Woche nach den schweren Anschlägen noch immer weit entfernt. Die Pöbeleien am Sonntag von rund 400 Hooligans mitten in der Brüsseler Innenstadt haben die innenpolitische Debatte um das Versagen der Behörden zusätzlich aufgeheizt.

Von Jörg Münchenberg | 29.03.2016
    Auch eine Woche nach den schweren Anschlägen von Brüssel befindet sich mindestens einer der Attentäter weiter auf der Flucht. Es handelt sich dabei um den Mann mit Hut und weißer Jacke auf dem Flughafen Zaventem, von dem die belgische Polizei mittlerweile ein Video ins Netz gestellt hat. Er gilt als der dritte Attentäter, dessen Sprengsatz nicht detoniert ist. Zunächst hatten belgische Medien spekuliert, der bereits am Donnerstag verhaftete Faycal C: Sei der gesuchte Mann – ein Taxifahrer hatte ihn identifiziert.
    Kein begründeter Verdacht gegen Faycal C.
    Doch gestern wurde Faycal C. frei gelassen – der Verdacht gegen ihn, so die belgische Polizei, habe sich zunächst nicht bestätigt. Trotzdem werde gegen den freien Journalisten weiter ermittelt. Unklar ist auch weiterhin, ob der Selbstmordattentäter in der Brüsseler Metro einen Helfer hatte.
    Inzwischen ist die Zahl der Terroropfer auf insgesamt 35 gestiegen – 31 Menschen wurden unmittelbar durch Bomben getötet, vier sind später in den umliegenden Krankenhäusern ihren schweren Verletzungen erlegen.
    Nicht der Angst nachgeben
    Von einer Rückkehr in die Normalität ist Belgien noch immer weit entfernt. Am Vormittag sorgten Berichte über eine Anhebung der Terrorstufe auf die höchste Stufe im Nationalen Parlament für Aufregung, ein Sprecher dementierte dies kurz danach. Viele Menschen suchen zudem weiterhin Trost – bei einem Gottesdienst gestern Abend in der Brüsseler Kathedrale versammelten sich allein 1.100 Menschen:
    "Nicht der Angst nachgeben! Auch sie kann Zwietracht säen und unsere Gesellschaft weiter spalten, genau was diese Verbrecher vorhaben.
    So Erzbischof Josef de Kesel in seiner Predigt. Doch längst gibt es auch in Belgien eine politische Debatte über Versäumnisse, Schlampereien und Fehler der Behörden. Nicht nur nach den Anschlägen selbst, auch die Pöbeleien am Sonntag von rund 400 Hooligans mitten in der Brüsseler Innenstadt haben die innenpolitische Debatte zusätzlich aufgeheizt. Der Mob hätte nördlich von Brüssel in der Stadt Vilvoorde bereits gestoppt werden müssen, kritisierte der Bürgermeister von Brüssel Yvan Mayeur:
    "Als ich von diesen ganzen Leuten gehört habe, die sich in Vilvoorde versammelt haben; dass die Polizei nichts unternommen hat; dass sie sie in den Zügen gelassen hat; dass die Bundespolizei unter Innenminister Jambon nicht getan hat, war ich entsetzt. Die Verantwortung liegt ganz bei dem Innenminister und den Behörden von Vilvoorde."
    Das Brisante dabei: Innenminister Jambon ist Flame und gehört damit der größten Fraktion im Parlament an. Mayeur wiederum ist Sozialist und französischsprachiger Brüsseler. Die Gefahr ist also groß, dass die politische Aufarbeitung der Attentate durch den Grundkonflikt zwischen Flamen und Wallonen überlagert werden könnte.
    Testbetrieb am Flughafen Zaventem
    Ein erster Schritt in Richtung Normalität wurde heute unterdessen auf dem Flughafen Zaventem versucht. Ein Testbetrieb soll klären, ob wenigstens ein Teil des Flughafens wieder für die Reisenden geöffnet werden kann. Flughafensprecherin Florance Muls:
    "Es ist ein großer Test mit rund 800 Flughafenmitarbeitern, die freiwillig an diesem Testbetrieb teilnehmen werden".
    Verläuft der Test über Abfertigung und Sicherheitskontrollen positiv, könnten bestimmte Teilbereiche von Zaventem laut Zeitungsberichten vielleicht schon morgen wieder geöffnet werden.