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Brüssel
Virtuosität und Leidenschaft beim Königin-Elisabeth-Wettbewerb

Der Concours Reine Elisabeth in Brüssel ist einer der prestigeträchtigsten Musik-Wettbewerbe. 1937 hat ihn die belgische Königin ins Leben gerufen. Vier Wochen dauert der Wettbewerb. Dieses Jahr war er zum ersten Mal für Violoncello ausgeschrieben.

Von Eva Blaskewitz | 05.06.2017
    Der Franzose Victor Julien-Laferriere posiert vor der Statue der Königin Elisabeth nach dem Finale des Wettbewerb Concours Reine Elisabeth.
    Der französische Cellist Victor Julien-Laferriere erreichte das Finale. (BELGA)
    Samstagabend, kurz nach Mitternacht. Der große Saal des Palais des Beaux-Arts in Brüssel ist noch immer gedrängt voll, auch die belgische Königin Mathilde ist da, die Schirmherrin des Wettbewerbs, die fast jeden der sechs Finalabende besucht hat. Die Jury hat an einem langen Tisch auf dem Podium Platz genommen, ein Pulk von Journalisten lauert schon vor der Bühne, um sich gleich auf den frisch gekürten Sieger zu stürzen.
    "Premier Prix, Grand Prix International Reine Elisabeth, Prix de la Reine Mathilde. Eerste Prijs, Grote Internationale Prijs Koningin Elisabeth, Prijs Koningin Mathilde: Victor Julien-Laferrière."
    Julien-Laferrières Spiel: ohne Allüren, souverän und mit kernigem Ton
    26 Jahre alt ist der Franzose Victor Julien-Laferrière, er hat bereits eine erfolgreiche Karriere als Solist und Kammermusiker gestartet und mehrere CDs herausgebracht. Im Finale des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs überzeugte er mit einer sehr reifen Interpretation des 1. Cellokonzerts von Dmitri Schostakowitsch, ohne Allüren, souverän und mit kernigem Ton.
    Dmitri Schostakowitsch: 1. Cellokonzert, 1. Satz
    Das Schostakowitsch-Konzert war ein Lieblingsstück in diesem Wettbewerb, die Hälfte der Finalisten hat sich dafür entschieden.
    Wer das Finale erreicht, hat einen wahren Marathon hinter sich. Über vier Wochen zieht sich der Königin-Elisabeth-Wettbewerb hin. In der ersten Runde standen unter anderem eine Sonate von Luigi Boccherini und ein romantisches Stück auf dem Programm, in der zweiten ein Haydn-Konzert, außerdem mussten die Kandidaten zwei Recital-Programme einreichen, von denen sich die Jury eines aussuchte. Im Finale dann ein frei gewähltes Cello-Konzert – das ist für den Juror Frans Helmerson besonders aufschlussreich.
    "Beim Solo-Konzert müssen sie wirklich etwas ganz Besonderes zeigen, Persönlichkeit, Individualität, Respekt für die Musik, alles, was für einen Musiker ist. Das ist sehr wichtig, denke ich."
    Eine Woche lang proben ohne Kontakt zur Außenwelt
    Und vor dem Finale erwartete die Kandidaten noch eine ganz besondere Erfahrung: die Woche in der Chapelle. Die Chapelle Musicale, das ist eine Ausbildungsstätte für hochbegabte junge Musiker, einst gegründet von Königin Elisabeth. Einmal im Jahr wird sie für den Wettbewerb freigeräumt, in dieser Zeit studieren die Finalisten das eigens komponierte und bis zum letzten Moment geheim gehaltene Pflichtstück ein – ganz auf sich allein gestellt, ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Handy und Internet.
    Ein ungewohntes Gefühl, meint der Kolumbianer Santiago Cañón-Valencia, man fühle sich etwas gestrandet, aber es sei auch ganz schön gewesen. Ohne Handy konnte er sich nicht nur auf das neue Stück konzentrieren, sondern ist auch ganz automatisch mit den anderen Cellisten in Kontakt gekommen. Sein US-amerikanischer Kollege Brannon Cho ergänzt, dass die Finalisten gemeinsam gegessen, Billard und Tischtennis gespielt haben – es war eine großartige Erfahrung, findet er.
    Toshio Hosokawa: "Sublimation"
    Das Pflichtstück, das stammt in diesem Jahr von dem japanischen Komponisten Toshio Hosokawa. "Sublimation" heißt es – ein facettenreiches und sehr effektvolles Werk mit Anklängen an asiatische Musik. Der Chinese Sihao He spielte es mit glühender Intensität.
    Sihao He ging bei diesem Wettbewerb leer aus, nur die Hälfte der 12 Finalisten erhält einen Preis. Man hätte sich auch andere Kandidaten ganz oben auf dem Siegertreppchen vorstellen können: Das Niveau war insgesamt außerordentlich hoch, so sieht es auch der Juror Antonio Meneses.
    "Vor allem das technische Niveau, es ist unglaublich, was die jungen Leute heute alles können ‑ was sie auch wagen. Ich bin nur manchmal musikalisch leicht enttäuscht, ich habe oft das Gefühl, dass die jungen Leute jetzt vor allem gesehen werden wollen, durch große Aktionen auf der Bühne und so weiter. Aber insgesamt bin ich sehr zufrieden."
    Viele interessante Musikerpersönlichkeiten unter den Finalisten
    Zumindest waren viele interessante Musikerpersönlichkeiten unter den 12 Finalisten, der Franzose Aurélien Pascal zum Beispiel, der für seine düster-beklemmende Interpretation des 1. Schostakowitsch-Konzerts mit Standing Ovations gefeiert wurde. Vor allem aber der Zweitplatzierte, der Japaner Yuya Okamoto: Er spielte das Cello-Konzert von Dvořák mit wunderbarem Ton, nobel und unprätentiös, und in den lyrischen Passagen atemberaubend innig.
    Antonín Dvořák: Cello-Konzert h-Moll, 2. Satz
    Der Blick der internationalen Musikwelt fällt natürlich vor allem auf den Gewinner des Grand Prix, aber der Königin-Elisabeth-Wettbewerb hat den Anspruch, alle Preisträger nach Kräften zu unterstützen.
    Das Beste, was wir für sie tun können, ist ihnen möglichst viel Sichtbarkeit zu geben, sagt Nicolas Dernoncourt, der für alle künstlerischen Belange des Wettbewerbs zuständig ist. Man bemühe sich, viele Konzertveranstalter anzulocken und ihr Interesse nicht nur auf die ersten Preisträger zu lenken. Ganz entscheidend für die Sichtbarkeit sind die Medien, übrigens seit den Anfängen in den 30er-Jahren wichtige Partner des Wettbewerbs. Radio und Fernsehen in Belgien übertragen die Endrunden zur besten Sendezeit, Live-Streaming im Internet bringt den Wettbewerb in die Wohnzimmer der Welt, und die Öffentlichkeit nimmt intensiven Anteil: Wen auch immer man in Brüssel fragt, Taxifahrer oder Hotelangestellte, jeder kennt den Concours Reine Elisabeth, nicht nur die Finalabende sind regelmäßig ausverkauft. Und das Publikum hat seine eigenen Lieblinge: Der Publikumspreis, der von den Radiohörern und Fernsehzuschauern vergeben wird, ging keineswegs an den Gewinner, sondern an den Fünftplatzierten, den Weißrussen Ivan Karizna, mit seiner kraftvollen Interpretation des Schostakowitsch-Konzerts.
    Dmitri Schostakowitsch: 1. Cellokonzert, 3. Satz
    Ausschnitte aus den Finalrunden und Preisträgerkonzerten gibt es am 30.08.2017 in den Spielweisen im Deutschlandfunk.