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Bruttoinlandsprodukt
"Verunsicherung drückt auf Konjunktur"

Wegen der Ukraine-Krise droht deutschen Unternehmen nach Ansicht von Ferdinand Fichtner vom DIW Berlin ein Nachfrageausfall. Bei den Firmen herrsche große Verunsicherung - und das drücke auf die deutsche Konjunktur, sagte Fichtner im DLF. Hinzu komme, dass die Wirtschaft in China nicht so kräftig laufe wie gewohnt.

Ferdinand Fichtner im Gespräch mit Marina Schweizer | 15.08.2014
    Ferdinand Fichtner
    Ferdinand Fichtner, Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (picture alliance /dpa / Tobias Kleinschmidt)
    Er glaube zwar nicht, dass die jüngsten Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt Grund zur Sorgen seien, ein gewisses Risiko sehe er jedoch, sagte Ferdinand Fichtner, Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, im Deutschlandfunk. Die deutschen Exporte in den nichteuropäischen Raum seien im zweiten Quartal nicht besonders gut gelaufen. Grund sei neben der schwächelnden Konjunktur Chinas die Ukraine-Krise, sagte Fichtner.
    Die damit einhergehende Eintrübung der russischen Wirtschaft schlage sich auch in Deutschland nieder. Die Wirtschaftssanktionen könnten dazu führen, das Unternehmen auf Investitionen in Maschinen und Gebäude verzichten. Das bedeute für deutsche Firmen einen Nachfrageausfall, der auf die Konjunktur drücke, sagte Fichtner im DLF-Interview.
    Was die Wirtschaftszahlen im Euroraum angehe, ließen sich derzeit zwei Entwicklungen beobachten: Länder wie Spanien und Portugal, die bereits Krisen durchlaufen hätten, verzeichneten wieder ein höheres Wachstumstempo. Dagegen laufe die Wirtschaft in Ländern wie Frankreich und Italien, die die Krise nicht so hart getroffen habe, derzeit gedämpft. Für Unternehmen bedeute diese Gemengelage ein schwieriges Umfeld.

    Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Ferdinand Fichtner.
    Sandra Schulz: Es ist ein kleiner wirtschaftlicher Dämpfer, der erste seit Anfang 2013: Gestern meldete das Statistische Bundesamt ein Minus von 0,2 Prozent zum Vorquartal beim Bruttoinlandsprodukt. Es dürften die weltweiten Krisen sein – gerade waren sie bei uns ja auch schon Thema –, die die Exportnation Deutschland wirtschaftlich ausbremsen. Hier im Deutschlandfunk haben wir darüber mit Ferdinand Fichtner gesprochen, dem Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Als Erstes hat meine Kollegin Marina Schweizer ihn gefragt, ob wir uns Sorgen machen müssen.
    Ferdinand Fichtner: Ich glaube nicht, dass die jetzt veröffentlichten Zahlen wirklich schon Anlass zur Sorge sind, aber ein gewisses Risiko, was den Ausblick angeht, das sehe ich schon. Die Zahlen sind – nach meinem Dafürhalten – zu einem wesentlichen Teil bedingt durch das sehr kräftige erste Quartal, sodass es dann eine relativ normale Gegenbewegung gab, einfach weil die Bauwirtschaft das hohe Tempo, das sie zum Jahresauftakt gelaufen ist, das konnte sie einfach nicht aufrecht erhalten.
    Export durch Ukraine-Krise schwächer
    Martina Schweizer: Was war denn nach Ihrer Einschätzung die stärkste Bremse für die deutsche Wirtschaft, wenn wir das erste Quartal jetzt mal nicht so stark mit in Betracht ziehen?
    Fichtner: Neben diesem saisonalen Wintereffekt war es aller Voraussicht nach tatsächlich der Export. Wir haben die genauen Details noch nicht, aber wenn man sich die Monatszahlen für die Exportentwicklung anschaut, dann spricht schon vieles dafür, dass die Exporte, insbesondere in den nicht-europäischen Raum interessanterweise, dass die nicht besonders gut gelaufen sind in den drei Monaten des zweiten Quartals. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Konjunktur in China zurzeit nicht so kräftig läuft, wie die Weltwirtschaft das gewohnt ist, wenn man so will, aber auch in anderen Ländern, also insbesondere im russischen Einzugsbereich haben wir natürlich durch die Krise eine Eintrübung gesehen, und das schlägt sich dann am Ende schon in den deutschen Exporten nieder.
    Schweizer: Durch die Krise – die Ukraine-Krise oder die Wirtschaftskrise?
    Fichtner: Durch die Ukraine-Krise. Durch die politische Krise um die Ukraine ist die Wirtschaftsleistung insbesondere in Russland deutlich schwächer, bereits jetzt, und das führt dazu, dass auch die Nachfrage aus Russland – völlig abseits aller Sanktionsdiskussionen –, dass einfach die Nachfrage aus Russland schon mal etwas zurückgegangen ist. Dazu kommt – aber das dürfte man wahrscheinlich dann erst ab den jetzt laufenden Monaten sehen – natürlich auch die Auswirkung, die die Sanktionen haben, wobei ich die jetzt, was die direkten Wirkungen angeht, gar nicht so hoch einschätze. Was da wichtiger ist, ist, glaube ich, die Unsicherheit, die mit dieser politischen Anspannung einhergeht, die, glaube ich, bei den Unternehmen große Verunsicherung hervorruft. Und das ist sicher natürlich kein Umfeld, in dem Unternehmen beispielsweise große Investitionen tätigen, sei es in Maschinen oder in Gebäude, sondern da wird man sich zunächst mal zurückhalten. Und das wiederum ist natürlich auch ein Nachfrageausfall für die deutschen Unternehmen, weil die stellen nun mal zu einem großen Teil Maschinen her. Und wenn deutsche Unternehmen oder auch im restlichen Europa Unternehmen sich zurückhalten mit Investitionen wegen dieser Verunsicherung, dann drückt das tatsächlich die Nachfrage der deutschen Produzenten, und damit drückt es auf die deutsche Konjunktur.
    Auseinanderdriften im Euroraum
    Schweizer: Welche anderen Länder – Sie haben jetzt Russland unter anderem angesprochen, aber auch mit Blick auf Europa gab es ja nicht ganz so gute Nachrichten, auch da stockt die Wirtschaft –, welche anderen Länder machen denn der Wirtschaft hierzulande zu schaffen?
    Fichtner: Ich glaube, es gab sowohl positive wie auch negative Überraschungen, was die Zahlen für den Euroraum angeht. Da gehört Deutschland wahrscheinlich eher zu den negativen Überraschungen. Dass es um 0,2 Prozent runtergeht, damit haben, glaube ich, nicht viele gerechnet. Ansonsten haben wir relativ viel Stagnation und negative Wachstumsraten haben wir in Frankreich gesehen beispielsweise, auch in Italien. Dagegen hat beispielsweise Spanien ein relativ kräftiges Wachstum hingelegt, sodass im Schnitt der Euroraum als ganzer eigentlich sich so entwickelt hat, wie man es erwartet hat, aber es gibt eben so ein bisschen so ein Auseinanderdriften. Es gibt diese Länder, die jetzt nach der schweren Krise, die beispielsweise Spanien aber auch Portugal durchlaufen haben, doch wieder ein etwas größeres Wachstumstempo vorlegen, während andere Länder, denke ich insbesondere an Frankreich und Italien, wo die Krise vielleicht akut nicht so zugeschlagen hat, nicht diese reinigende Wirkung aber deswegen auch hatte, wo die Wachstumsraten jetzt weiterhin sehr gedämpft laufen.
    Schwache Nachfrage und Unsicherheit
    Schweizer: Und das ist ja dann schlecht für Deutschland wiederum, weil zum Beispiel Frankreich ist ja der wichtigste Handelspartner.
    Fichtner: In der Tat ist es so, dass das schwache wirtschaftliche Umfeld im Euroraum natürlich weiterhin auf die deutsche Konjunktur drückt. Auch die Zahlen, die wir aus Spanien und Portugal bekommen, können nicht begeistern. Gegeben die massiven Rückgänge des Bruttoinlandsprodukts, die wir gesehen haben in den letzten Jahren, ist das sicher auch noch nicht das, was einen dann restlos glücklich macht. Und dieses schwierige wirtschaftliche Umfeld, schwierige Nachfragesituation zunächst mal, gepaart aber auch mit einer Unsicherheit, die ja auch weiterhin in Bezug auf die Eurokrise besteht – all das ist ein Konglomerat, ist eine Menage von Problemen, die aus Unternehmenssicht ausgesprochen schwierig ist.
    Schulz: Ferdinand Fichtner, der Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Die Fragen hier in Deutschlandfunk stellte Marina Schweizer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.