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Buch der Woche
Kaleidoskop des Ersten Weltkrieges

Der Börsenverein des deutschen Buchhandels kommt für 2014 auf über 200 Neuerscheinungen zum Ersten Weltkrieg. Auch Jean Echenoz, einer der versiertesten französischen Gegenwartsautoren und sogenannter Nachgeborener des Ersten Weltkrieges, hat sich in seinem Roman "14" an das sperrige Thema herangewagt.

Von Christoph Vormweg | 10.08.2014
    Ein Porträt des Autors Jean Echenoz
    In Jean Echenoz Beschreibungen in "14" findet sich keine heroisierenden Euphorie à la Ernst Jünger. (AFP / Pierre Verdy)
    An kaum einem Stoff kann sich ein Schriftsteller so leicht verheben wie am Ersten Weltkrieg. Auf Seite 78 des Romans "14" wird beschrieben, wie ein Pionier im stinkenden Schützengraben den Arm einer Leiche als Kleiderständer benutzt. Danach lanciert Jean Echenoz einen seiner typischen Erzähler-Kommentare aus dem Hier und Jetzt.
    "All das ist schon tausendfach beschrieben worden, vielleicht lohnt es gar nicht weiter, sich bei dieser stumpfsinnigen, stinkenden Oper aufzuhalten. Vielleicht ist es übrigens nicht einmal sehr nützlich oder treffend, den Krieg mit einer Oper zu vergleichen, schon gar nicht, wenn man kein besonderer Freund der Oper ist, obgleich der Krieg wie sie gewaltig ist, atemraubend, exzessiv, voller quälender Längen, wie sie furchtbar viel Lärm macht und auf die Dauer meist auch ziemlich langweilig ist."
    Jean Echenoz´ zweifelnder Einschub macht stutzig - zumal, da wir schon mehr als die Hälfte seines Romans "14" gelesen haben. Wie ernst ist dieser Einschub gemeint? Wie viel Ironie ist im Spiel? In jedem Fall: Der Vergleich des Weltkriegsgemetzels mit einer Oper führt uns für einen Moment aufs Glatteis. Wir rudern durch einen irritierenden Assoziationsraum. Wird da etwa Richard Wagner angepinkelt? Ist der Vergleich bewusst "political incorrect"?
    Wie dem auch sei: Entscheidend ist letztlich nur eines: Jean Echenoz wendet sich keineswegs von der "stumpfsinnigen, stinkenden Oper" namens Stellungskrieg ab. Im Gegenteil. Auf der nächsten Seite geht es erst richtig zur Sache.
    "An einem der folgenden Morgen, der sich von den übrigen gar nicht so unterschied, beschloss der Schnee zu fallen, und zwar zur selben Zeit wie die Granaten - wenn auch nicht in derselben Dichte: An diesem Morgen etwas weniger zahlreich als sonst, erst drei bisher –, während Padioleau beschloss zu jammern.
    Ich habe Hunger, wimmerte Padioleau, mir ist kalt, ich habe Durst, und außerdem bin ich müde. Ja klar, sagte Arcenel, wie wir alle. Und außerdem fühle ich mich so bedrückt, fuhr Padioleau fort, abgesehen davon habe ich Bauchweh. Wird schon vergehen, dein Bauchweh, prognostizierte Anthime, das haben wir mehr oder weniger alle. Aber Padioleau ließ nicht locker: Ja, aber das Schlimmste ist, ich weiß nicht, ob ich bedrückt bin, weil ich Bauchweh habe (so langsam gehst du uns auf den Wecker, warf Bossis ein), oder ob ich Bauchweh habe, weil ich mich bedrückt fühle, versteht ihr, was ich meine. Lass uns in Ruhe, schloss Arcenel.
    Just in diesem Moment landete ein besser gezieltes 105er-Kaliber [...] einen Treffer in ihrem Schützengraben: Das Geschoss zerriss zuerst die Ordonnanz des Hauptmanns in sechs Stücke, dann enthaupteten ein paar seiner Splitter einen Verbindungsoffizier, spießten Bossis auf Höhe des Solarplexus auf einen Balken der Sappe, zerhackten mehrere Soldaten in verschiedenen Winkeln und schlitzten dann den Leib eines Jäger-Aufklärers der Länge nach auf.
    Kurz konnte Anthime, der unweit von ihm postiert war, sämtliche Organe des Jäger-Aufklärers vom Gehirn bis zum Becken deutlich wie auf einem anatomischen Schaubild sauber in der Mitte durchschnitten sehen, bevor er dann selbst, instinktiv in die Hocke gehend beim Versuch, sich zu schützen, das Gleichgewicht verlor [...] und sich dabei vor Angst und Ekel auf seine Waden und daneben erbrach, die Schuhe bis zu den Knöcheln im Schlamm steckend."
    Objektive Beschreibung der Zerstörung
    Zehn Jahre zuvor, kurz vor dem 90. Jahrestag des Ersten Weltkriegs, hat ein anderer Vertreter der französischen Gegenwartsliteratur, Philippe Claudel, genau das vermieden: den imaginären Abstieg des Nachgeborenen in die Schützengräben. Sein bemerkenswerter Roman "Die grauen Seelen" spielte nicht an der Front, sondern in einem Dorf dahinter. Philippe Claudel war der Überzeugung, man könne den Frontsoldaten, die nach Kriegsende zu Schriftstellern wurden, in der Darstellung des Grauens nicht das Wasser reichen. Anders Jean Echenoz. Er blendet das Gemetzel nicht aus.
    Doch versucht er, einen ganz eigenen, heutigen Ton anzuschlagen. In seinen Beschreibungen findet sich nichts von der befremdlich heroisierenden Euphorie, die Ernst Jünger in seinen "Stahlgewittern" verbreitete; nichts vom Kriegshass eines Louis Ferdinand Céline in seiner "Reise ans Ende der Nacht"; nichts von den trostlosen Tonlagen, die Erich Maria Remarque in seinem Roman "Im Westen nichts Neues" anstimmte. Nein, Jean Echenoz nutzt ganz bewusst die Distanz des Nachgeborenen und visiert das Geschehen im Schützengraben gleichsam mit dem Auge einer laufenden Filmkamera. Die Kühle, ja Emotionslosigkeit seiner Bild für Bild sezierenden Prosa nimmt dem Dargestellten – wie gehört - aber nicht seine Unerträglichkeit. Im Gegenteil.
    Wir bekommen eine objektive Beschreibung des Zerstörungsfurors einer deutschen Granate. Und Anthime, die Hauptfigur des Romans "14", im Zivilleben Buchhalter, kann beim Anblick des Geschehens seine physischen Reaktionen nicht länger steuern - auch deshalb, weil sein Kaffeehausfreund, der gelernte Abdecker Bossis, unter den Opfern ist. Zu fünft haben sie im August 1914 ihr Dorf in der westfranzösischen Vendée verlassen. Ihre Mobilmachung und Einkleidung, ihre unbeschwerte, kriegsbegeisterte Fahrt nach Osten, ihre ersten Kampfeinsätze an der deutsch-französischen Front, als der Krieg noch ein beweglicher war – all das hat Jean Echenoz im ersten Teil seines Romans geschildert. Auffallendstes Merkmal: seine Detailvernarrtheit.
    Sie wirkt fast schon obsessiv. So beschreibt er den vorschriftsmäßigen Inhalt des 600 Gramm schweren Soldaten-Tornisters "Modell Karo As 1893" und die äußeren Anhängsel auf ganzen zwei Seiten. Und natürlich läuft die so alltäglich anmutende Faktenflut bei ihm - wie zuletzt in seinen hochgelobten fiktiven Biografien des Komponisten Maurice Ravel oder der Läuferlegende Emil Zátopek - auf eine lakonische Pointe hinaus:
    "Dieser ganze Aufbau kam schließlich mindestens auf ungefähr fünfunddreißig Kilo Gewicht, bei trockenem Wetter. Das heißt also, bevor es dann zu regnen begann."
    Immer wieder streut Jean Echenoz solche skurrilen Einzelheiten des beginnenden Ersten Weltkriegs ein. So versucht ein Hauptmann, den frisch angereisten Frontsoldaten einzureden, dass die Hygiene kriegsentscheidend sei. Oder die unbequemen Hirnpfannen, die sie anfangs unter dem Käppi tragen, werden durch funkelnd blaue Helme ersetzt, die sich für die Deutschen als ideale Zielscheiben entpuppen. Oder die Anwesenheit des Regimentsorchesters, das die Marseillaise anstimmt, erweist sich gleich beim ersten Sturmangriff, den Anthime miterlebt, als absolut nicht zeitgemäß.
    "Während das Orchester seinen Teil zum Kampfgeschehen beitrug,
    erhielt der Arm des Baritonhorns einen Durchschuss, und die Posaune fiel, übel verwundet: Der Halbkreis rückte darüber zusammen, und die Musiker spielten, wenn auch in verminderter Formation, ohne jede falsche Note weiter, und als sie dann die Zeile wiederholten, in der das blutige Banner erhoben wird, fielen Flöte und Althorn tot zu Boden."
    Gerade solche grotesken Szenen, deren Lakonik Hinrich Schmidt-Henkel gekonnt ins Deutsche übertragen hat, machen Jean Echenoz´ Roman "14" so außergewöhnlich. Denn das Lachen bleibt – ganz klassisch – im Halse stecken. Jean Echenoz löst das große Massensterben dieses ersten industriellen Krieges der Geschichte in beklemmende individuelle Gesten und Bilder auf. Dennoch versinkt sein Roman "14" keineswegs in heillosem Kampfgetöse. Denn er wirft immer wieder Blicke zurück in das Dorf, aus dem seine fünf Protagonisten stammen. Mehr noch: Er demonstriert, wie sich die dortigen Hierarchien in den Armeestrukturen widerspiegeln.
    Wer zu Hause das Sagen hat, dirigiert auch an der Front. Doch schafft der Tod eben eine neue Form der Gleichheit - wie Anthimes Bruder Charles erleben muss. Zu Hause Vizedirektor der Schuhfabrik, hat ihn Blanche, seine schwangere Verlobte, durch ihre politischen Beziehungen vom Dienst in den Schützengräben befreien können. Doch kann Charles der Druckposten als Armeefotograf nicht retten.
    Denn auf dem ersten Testflug in einem Doppeldecker, auf dem er Fotos schießen soll, ist der Gebrauch des bereits installierten MGs von den französischen Behörden noch nicht freigegeben. Also werden Charles und sein Pilot im Luftkampf mit den Deutschen zur leichten Beute.
    Im heimischen Dorf in der Vendée hatte man anfangs gedacht, der Krieg sei eine Sache von zwei oder drei Wochen. Nun aber wartet die schwangere Blanche vergebens auf ihren Charles. Sein Bruder Anthime dagegen hat – nach damaligen Kriterien – Riesenglück. Ihm trennt ein Granatsplitter den rechten Arm ab. Also darf er heim – wenn auch nur als Krüppel.
    "Ein halbes Jahr später spazierte Anthime, den Ärmel mit einer Sicherheitsnadel an der rechten Seite der Jacke festgesteckt und auf der anderen Brustseite mit einer anderen Nadel die jüngst gestiftete »Croix de Guerre«, in Nantes am Ufer der Loire entlang. [...] Er hatte sich mit dem übrig gebliebenen Arm unter Blanches rechtem Arm eingehakt, und Blanche schob mit der linken Hand einen Kinderwagen mit der schlafenden Juliette darin. [...] Anthime und Blanche unterhielten sich nur wenig, erwähnten nur kurz das Neueste aus der Zeitung: Wenigstens ist dir Verdun erspart geblieben, hatte sie eben gesagt, ohne dass er es für angebracht hielt, etwas darauf zu antworten.
    Jetzt dauerten die Kämpfe seit bald zwei Jahren an, die immer schneller aufeinanderfolgenden Einberufungen leerten das Land, und so waren immer weniger Menschen auf der Straße, ob nun Sonntag war oder nicht.
    Nicht einmal mehr viele Frauen oder Kinder, denn das Leben war teuer, und man konnte kaum einkaufen: Die Frauen, die bestenfalls Kriegsrente bezogen, hatten Arbeit suchen müssen, da Männer und Brüder im Feld waren: Plakate kleben, Post austragen, Fahrscheine lochen oder als Lokomotivführer arbeiten, es sei denn, sie arbeiteten in Fabriken, vor allem solchen der Waffenindustrie. Die Kinder, die nicht mehr die Schule besuchten, fanden auch genügend Beschäftigung: Ab dem Alter von elf Jahren waren sie sehr gefragt, sie nahmen den Platz der Älteren in den Unternehmen ein und auch rings um die Stadt auf den Feldern – Pferde führen, Getreide dreschen, Vieh hüten. So blieben vor allem Greise übrig, obskure Existenzen, ein paar Invaliden wie Anthime und ein paar Hunde, angeleint oder nicht."
    Anthime, das weiß Blanche, ist "niemand, der sich schnell beklagt", "er gewöhnt sich an alles" - also auch an die Rolle des Ersatzvaters, des Ersatzmannes. Der Krieg hängt ihm trotzdem nach – nicht nur wegen der ständigen Phantomschmerzen durch den Armverlust. Auch die Bilder von der Front verfolgen ihn. So denkt er zurück an all die Tiere, denen er als Soldat begegnet ist: und zwar nicht nur an die nervenden Flöhe und die gierigen Ratten, die an den Kadavern nagten, sondern auch an jene Arten, die in den Kampfpausen den kargen Speiseplan erweiterten – obwohl das Jagen strengstens verboten war.
    "Eines schönen Tages beispielsweise an eine orientierungslose Gans zu geraten, das war mal etwas anderes als kalte Suppe, Dosenfleisch oder Brot vom Vortag. [...] Jedes eingefangene Tier bedeutete also ein potenzielles Festmahl.
    Allerdings traf man nicht nur auf nützliche und essbare Tiere, sondern auch auf Haus- und Ziertiere, die an sehr viel mehr Komfort gewöhnt waren. [...] Dazu gehörten auch Käfigvögel, zur Erbauung gehaltenes Geflügel wie Täubchen oder rein dekoratives Federvieh wie Pfauen zum Beispiel – die sonst niemand isst.[...]
    Schließlich blieben noch die Randgruppen, wer weiß, welches Verbot sie als nicht essbar erklärt hatte, wie Fuchs, Rabe, Wiesel oder Maulwurf: Sie alle mochten zwar aufgrund obskurer Motive als für die menschliche Ernährung ungeeignet gelten, doch nahm man in dieser Hinsicht immer weniger Rücksicht, und manchmal ließ sich mittels eines guten Eintopfs sogar der Igel rehabilitieren. Allerdings sollte man von ihnen wie von allen anderen bald nur noch selten etwas sehen, nämlich nach der Entwicklung der Giftgase und deren allgemeinem Einsatz auf dem gesamten Kriegsschauplatz."
    Die Kunst der subitlen Ironie
    Die subtile Ironie – zuweilen mit sarkastischen Untertönen – ist Jean Echenoz´ ausgefeilteste Kunst. In seinen frühen Romanen, in denen er die Strickmuster des Krimigenres ad absurdem führte, hat er das oft genug bewiesen: etwa in "Cherokee" oder in "Die großen Blondinen". In seinem Roman "14" nimmt er grenzdebile Vorgesetzte, überalterte Vorschriften und die Absurditäten der menschenverachtenden Kriegsmaschinerie ins Visier, nie aber den einfachen Frontsoldaten, der alles ausbaden muss. Rasch lässt "la grande guerre", der große Krieg, wie ihn die Franzosen nennen, dem Kanonenfutter keine Auswege mehr. So wird Arcenel, ein weiterer Freund Anthimes aus der Vendée, auf einem gedankenverlorenen Spazierung hinter der Front verhaftet.
    "An die Gendarmen hätte Arcenel doch denken müssen, so sehr verabscheute man sie in den Quartieren, fast ebenso sehr wie die auf der anderen Seite, wenn nicht noch mehr. Anfangs hatten sie eine simple Aufgabe gehabt – vermeiden, dass der Soldat abhaut, dafür sorgen, dass er sich ordnungsgemäß töten lässt –, doch während der Kampfhandlungen bildeten sie im Rücken der Truppen Sperrlinien, um Panik zu unterbinden und spontane Rückzugsbewegungen abzufangen. [...]. Den Gendarmen oblag es, die Papiere der Fronturlauber zu kontrollieren und alles zu überwachen, was die den einzelnen Einheiten zugewiesenen Grenzen überschreiten wollte – hauptsächlich Ehefrauen und Huren, die aus verschiedenen Gründen zu den Männern gelangen wollten, aber auch immer unerbittlicher allerlei Händler, die alles Mögliche zu Wucherpreisen anboten und die Soldaten immer gieriger aussaugten, wie anderes Ungeziefer auch –, und so stellten sie auch den Zuspätkommern, Betrunkenen und Aufrührern nach, den Spionen und Deserteuren, einer Kategorie, zu der sich Arcenel jetzt auch gesellt hatte, ohne es zu wissen oder zu wollen. "
    Das Urteil: Exekution vor versammelter Truppe – zur Stärkung der Moral mit pädagogisch wertvollem Defilee vorbei an Arcenels Leiche. Nach Anthime kehrt nur noch der erblindete Padioleau in die Vendée zurück. Was bleibt im Jammertal der Krüppel angesichts der totalen Langeweile? Spielen zum Beispiel. Auch der einarmige Anthime versucht sich.
    "Als er endlich seine Trümpfe unterm Kinn festklemmen konnte, brauchte er noch eine kleine Weile, bevor er sich traute, [...] wortlos mit anderen von der Front heimgekehrten Versehrten eine Manille zu spielen – wobei alle stillschweigend übereinkamen, lieber nicht über ihre Erlebnisse zu reden. Zwar spielte Anthime langsamer als ein- oder beidseitig Beinamputierte, dafür wiederum schneller als die Kampfgasopfer, die ja nicht über Karten mit Brailleschrift verfügten. Da man ihm aber immer wieder anbot, sich helfen zu lassen, da man das immer wieder ausnutzte, um ihm in die Karten zu schauen, hatte er es irgendwann satt und nahm an den Runden im Cercle Républicain nicht mehr teil."
    Kaleidoskop aufschlussreicher Bilder
    Jean Echenoz fährt in seinem Roman "14" den Ersten Weltkrieg auf den Alltag herunter. Ohne falsches Pathos, ohne aufdringliches Einfühlen komprimiert er das Abschlachten auf den sogenannten "Feldern der Ehre", das Davor und Danach zu einem Kaleidoskop aufschlussreicher Bilder und Details. Die meisten hat er in den Tagebüchern eines verstorbenen Verwandten aufgespürt, der den Krieg vom ersten bis zum letzten Tag miterlebte. Und natürlich geht dieser Krieg auch nach dem Sieg über die Deutschen weiter. So muss sich die Schuhfabrik des Dorfes einem Prozess in der Hauptstadt stellen. Denn das Massensterben hatte die Direktion dazu verleitet, Soldatenstiefel an die Front zu liefern, die sich in der Qualität der durchschnittlichen Lebenserwartung anpassten: Das heißt Stiefel, die schon nach wenigen Wochen hinüber waren. Im Detail entfacht der Krieg somit weiter seine Grotesken. Und auf genau die hat es Jean Echenoz abgesehen. Deshalb bietet die Lektüre seines Romans "14" auch Nachgeborenen mit ihrem "Mehr" an Wissen viel Neues. Vor allem aber sollte man seinen eingängigen, so leicht erscheinenden Prosastil nicht unterschätzen. Zum einen schwingt sich Jean Echenoz immer wieder zu verschachtelten, rhythmisch genau austarierten Perioden auf. Zum anderen operiert er als Schriftsteller immer auch zwischen den Zeilen: Mit verdeckten Anspielungen und der Öffnung überraschender, manchmal verstörender Assoziationsräume. Die Flut der recherchierten Details bringt Jean Echenoz erst durch ihre präzise Platzierung zum Sprechen – und das oft genug mit hintersinniger Ironie.
    Jean Echenoz: "14".
    Roman.Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel, Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag, München, 2014. 125 Seiten, 14,90 Euro