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Buch der Woche
Niedergang ohne akuten Schmerz

Um das Phänomen des Scheiterns und die Erkenntnis der eigenen Mittelmäßigkeit geht es in Richard Yates' Buch "Eine strahlende Zukunft". Es gelingt ihm, ohne dabei in Klischees abzugleiten, mit Bravour.

Von Paul Ingendaay | 06.04.2014
    Eine Lesebrille liegt auf einem Bücherstapel.
    Mit "Eine Strahlende Zukunft" ist ein weiteres Buch von Richard Yates in der Werkausgabe der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen. (picture alliance / dpa / Ismo Pekkarinen)
    Sie ist immer noch nicht zu Ende, die schrittweise Wiederentdeckung des großen Schriftstellers Richard Yates. Schon vor einem halben Jahrhundert, als die Stars des realistischen amerikanischen Erzählens Saul Bellow, Philip Roth und John Updike hießen, hätte der 1926 geborene Yates dazugehören müssen – und blieb nicht nur den deutschen Lesern, sondern auch seinen eigenen Landsleuten nahezu unbekannt. Inzwischen jedoch widmet die Deutsche Verlags-Anstalt dem Meister der zerbrochenen Träume eine feine Werkausgabe, deren jüngster Band soeben erschienen ist. "Eine strahlende Zukunft", so der Titel, ist mit fünfhundert Seiten der dickste Roman, den Yates je geschrieben hat. Man kann ihn als spätes Schwesterwerk seines berühmten Debütromans "Zeiten des Aufruhrs" lesen.
    Auch in "Eine strahlende Zukunft" geht es um ein junges Paar, dessen Ehe an den eigenen Ansprüchen zerbricht. Wieder steht das alles beherrschende Yates-Thema im Mittelpunkt: ob sich der Ehrgeiz, aus dem Leben etwas Besonderes zu machen, und der Zwang zu Konformität und bürgerlichem Broterwerb ins Gleichgewicht bringen lassen. Die Antwort dieses Autors ist ebenso klar wie pessimistisch: Nein! An dieser Aufgabe muss man scheitern. Es gibt bei Richard Yates kein richtiges Leben im falschen. Das 1984 erschienene Original trägt den boshaft-ironischen Titel "Young Hearts Crying"
    Dabei könnte Michael Davenport, der junge New Yorker Dichter, es eigentlich leicht haben. Als er die schöne Lucy Blaine heiratet, ahnt er noch nicht, dass seine Zukünftige ein Millionenvermögen mit in die Ehe bringen wird – alter Ostküstenreichtum, für den sich die Studentin mit den künstlerischen Neigungen fast ein bisschen schämt.
    Der aufstrebende Dichter will sich nicht korrumpieren lassen
    Der Roman registriert jede Nuance gesellschaftlicher Stellung, vom Gesichtsausdruck über die Inneneinrichtung bis zur Redeweise und der Wahl des richtigen Getränks. Der Besuch bei Lucys unfassbar reichen Eltern auf deren Sommersitz in Martha’s Vinyard zeigt Michael, in welcher Welt er gelandet ist – und mit welchem Maßstab man ihn, den hoffnungsvollen jungen Mann, messen wird:
    "Mr. Blaine und seine Frau waren groß, schlank und elegant, ihre Gesichter so intelligent wie das ihrer Tochter. Beide hatten eine so straffe, gebräunte Haut, wie man sie beim Schwimmen und Tennisspielen bekommt, und ihre rauchigen Stimmen deuteten darauf hin, dass sie dem täglichen Alkoholkonsum nicht abgeneigt waren. Keiner von beiden sah älter als fünfundvierzig aus. Wie sie da lächelnd in ihrer makellosen Sommerkleidung auf einem langen, mit Chintz bezogenen Sofa saßen, hätte es ein Foto sein können, das einen Zeitschriftenartikel mit dem Titel 'Gibt es eine amerikanische Aristokratie?' illustrierte."
    Als Michael in den Flitterwochen von Lucys Millionenvermögen erfährt, verwirft er brüsk die Chance, sich ohne Ablenkungen seinem lyrischen Werk widmen zu können. Sein Stolz verbietet ihm die komfortable Lösung; der aufstrebende Dichter will sich nicht korrumpieren lassen. Und indem er den uramerikanischen Wettkampf um Karriere und Anerkennung akzeptiert, liefert er seine Ehe einem langsamen Zermürbungsprozess aus.
    Yates umgibt das junge Paar mit einer Figurengalerie, die den Traum von schöpferischer Erfüllung ebenfalls träumt. Es sind die fünfziger und sechziger Jahre, der Zweite Weltkrieg beginnt in der Erinnerung zu verblassen, die Luft summt vor Kreativität. Hier wird gemalt, gezeichnet, geschrieben, gedichtet und engagiertes Theater gemacht, man redet sich über ästhetische Ideen die Köpfe heiß und lässt keinen Zweifel daran, dass es zu den vornehmsten Aufgaben des Menschen gehört, die banale Welt der neonerleuchteten Büroflure durch Kunst zu überhöhen.
    Ideale kosten etwas
    Der Roman macht allerdings ebenso klar, dass Ideale etwas kosten. Nicht nur Energie und persönliche Opfer, sondern hin und wieder auch die Teilnahme am großen amerikanischen Gesellschaftsmärchen, das man "Zufriedenheit für alle" überschreiben könnte. Gerade die äußeren Erfolgszeichen des materiellen Strebens - Haus, Garten, Grillplatz und eine Schar glücklicher Kinder - wecken bei manchen von Yates’ Figuren die Angst, in fremdgesteuerter Trägheit zu versacken.
    Yates hat seinen früh geschiedenen Vater nicht gut kennengelernt und seine Kindheit mit der exaltierten Mutter geteilt - einer Bildhauerin, die die Fesseln ihrer kleinbürgerlichen Herkunft hinter sich lassen und in Paris etwas von der großen, weiten Kunstwelt aufsaugen wollte. Ihr kleiner Sohn, der künftige Schriftsteller, war damals drei Jahre alt, und auch wenn sich Yates an dieses legendenumrankte Paris der Bohème später nicht mehr erinnern konnte, spiegeln einige seiner Figuren den Aufstiegshunger der Mutter.
    Der Roman "Eine strahlende Zukunft" breitet ein großes Spektrum schöpferischer Möglichkeiten aus. Da ist der Maler Thomas Nelson, dem es gelingt, regelmäßig Aquarelle an das Museum of Modern Art zu verkaufen und, wenn auch bescheiden, seine Familie zu ernähren. Da ist der Maler Paul Maitland, eher ein rebellischer Typ, der sich mit einfacher Schreinerarbeit über Wasser hält, weil er jede freie Minute seinem wüst-expressiven Werk widmen will.
    Von der Kunst in einen Streit über eine Lebenseinstellung
    Michael Davenport, der viel zu langsam produzierende Dichter, den nur eine kleine Schar von Eingeweihten liest, wird angesichts des Erfolgs der anderen von Neid zerfressen. Hinter allem, was ihm fremd ist, wittert er Pose und Angeberei. Auch den wilden Paul Maitland betrachtet er mit einer Mischung aus Bewunderung und Argwohn. Bei einem Besuch in dessen Atelier stellt sich außerdem heraus, dass Michael mit den Bildern des Malers nicht das Geringste anfangen kann. Der Dialog zwischen den Eheleuten zeigt, wie meisterhaft der Autor das Gespräch über Kunst in einen Streit über eine Lebenseinstellung verwandelt.
    So lange Michael sich so dumm vorkam, konnte er genauso gut das große Gemälde in Augenschein nehmen, das jetzt im Licht der einzigen Atelierlampe zu sehen war. Es war, wie er befürchtet hatte: unbegreiflich bis an die Grenze des totalen Chaos; es schien keinen Sinn für Ordnung zu haben oder überhaupt einen Sinn, außer vielleicht in der Stille der Gedanken des Malers. Es war das, was Michael widerwillig Abstrakten Expressionismus zu nennen gelernt hatte, die Art Bild, die einmal zu einem schlimmen Streit mit Lucy geführt hatte, als sie, noch vor ihrer Hochzeit, im gedämpften Stimmengewirr einer Bostoner Kunstgalerie standen.
    „… Wie meinst du das, du ‚kapierst’ es nicht?“, hatte sie verärgert gefragt. „Da gibt es nichts zu ‚kapieren’, verstehst du? Das ist nichts Gegenständliches.“
    „Und was ist es dann?“
    „Genau das, wonach es aussieht: eine Komposition aus Formen und Farben, vielleicht eine Feier des Malens selbst. Die persönliche Aussage des Künstlers, das ist alles.“
    „Ja, ja, klar, aber ich meine, wenn es seine persönliche Aussage ist, was will er dann damit sagen?“
    „Ach, Michael, das glaub ich jetzt nicht; ich glaube, du willst mich auf den Arm nehmen. Wenn er es hätte sagen können, hätte er es nicht malen müssen. Na los, gehen wir, bevor wir …“
    „Nein, Moment. Hör zu: Ich kapiere es immer noch nicht. Und es ist sinnlos, mir das Gefühl zu geben, ich wäre zu dumm dafür, Liebling, denn das wirkt nicht.“
    Richard Yates hat die Mechanik der amerikanischen Ehe geradezu obsessiv beschrieben, immer wieder. Bei ihm werden die Frustrationen von Männern und Frauen zu tanzenden Funken über einem Pulverfass. Seine Figuren sind stolz, aufbrausend und manchmal von kleinlicher Niedertracht. Meist trinken sie zuviel. Die Frauen können sich gegen so viel maskulines Streben nach Rampenlicht nicht durchsetzen und neigen eher zum Rückzug oder gleich zur Flucht.
    In "Eine strahlende Zukunft" sind die Karten im Geschlechterkampf allerdings gerecht verteilt. Das erste Drittel des Romans schildert die Ehe der Hauptfiguren bis zum Zerwürfnis; das zweite folgt dem Weg der geschiedenen Lucy Blaine; das letzte Drittel widmet sich dem Werdegang des geschiedenen Michael. Der Blick über zwanzig Jahre hinweg gibt dem Roman etwas Ruhig-Resignatives: Alle Wege führen bergab, aber da es sich um einen fast unmerklichen Prozess handelt, bereitet der Niedergang keinen akuten Schmerz. Er verkünde ein deprimierendes Menschenbild, wurde dem Autor von der Kritik immer wieder vorgehalten, doch eher müsste man von Yates’ absoluter Ehrlichkeit sprechen. Es kam ihm einfach nicht in den Sinn, die bittere Pille zu versüßen.
    Illusionärer Glaube an die Erlösung durch Kunst
    Im Mittelteil des Buches gelingt ihm etwas Ungewöhnliches: Ohne Herablassung, eher mit einem Gefühl brüderlich geteilter Peinlichkeit beschreibt er, wie Lucy Blaine ihren Plan, Künstlerin zu werden, begraben muss. Dass sie als Mensch dadurch wieder ins Leben findet, weiß sie noch nicht, als sie dem befreundeten Maler Tom Nelson hoffnungsvoll ihre eigenen Werke zur Begutachtung vorlegt. Eine Szene, die jedem Amateur vertraut sein dürfte.
    "Hör zu, Tom", begann sie. "Du musst mir etwas versprechen. Wenn die Bilder dir nicht gefallen, dann musst du es mir sagen. Wenn du erklären kannst, warum sie dir nicht gefallen, könnte das hilfreich sein, weil ich etwas daraus lernen könnte, aber die Hauptsache ist, dass du mir es ohne Umschweife sagst. Dass du keine Zeit verschwendest.“
    Und das tut der treue Freund: Er sagt ihr die Wahrheit. Und zerstört damit – am Ende segensreich – Lucys illusionären Glauben an die Erlösung durch Kunst.
    "Eine strahlende Zukunft" ist randvoll mit klugen Beobachtungen über das Handwerk des Malens, Schreibens, Dichtens, doch vor allem befasst sich der Roman völlig furchtlos mit dem Phänomen des Scheiterns und der Erkenntnis eigener Mittelmäßigkeit. Es ist schwierig, dergleichen ohne Klischees zu schildern, und Yates schafft es mit Bravour.
    Als es viele Jahre später - auf den letzten Seiten des Romans - zu einer Wiederbegegnung zwischen Lucy und Michael kommt, erfahren wir, dass das ehemals reiche Mädchen ein paar Millionen Dollar an Amnesty International gespendet hat. Lucy arbeitet in Ausschüssen mit, hilft bei Tagungen und Podiumsdiskussionen - soziales Engagement als Zeichen dafür, an etwas Bedeutendem teilzuhaben.
    "Mir gefällt diese Arbeit“, sagte Lucy, "weil sie real ist. Sie ist real. Niemand kann das leugnen; niemand kann das mit einem Schulterzucken abtun, sich darüber lustig machen oder es mir wegnehmen. Es gibt politische Gefangene. Es gibt auf der ganzen Welt Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Wenn man so eine Arbeit macht, ist man tagtäglich in Kontakt mit der Realität, und das galt einfach nicht für all die … für alles andere, was ich ausprobiert habe.“
    Erst heute im literarischen Bewusstsein der Gegenwart angekommen
    Vielleicht liegt ja ein tieferer Sinn darin, dass Yates erst heute im literarischen Bewusstsein der Gegenwart angekommen ist. Eine neue Generation, in Amerika und auch in Deutschland, hat mit Fernsehserien wie "Mad Men" die fünfziger und sechziger Jahre wiederentdeckt. Erschien uns die Epoche von Elvis, blitzblanken Mädchen in Petticoats und einer rührend übertreibenden Werbeindustrie kurz zuvor noch bieder und fern, begann sie plötzlich wieder zu leuchten wie Neonreklame an einem dunklen Highway. Das Internetzeitalter starrte auf eine vermeintliche Zeit der Unschuld und sah: Die Vorstädte konnten zur gemütlichen Hölle werden.
    Die Risse in der Wand erkannte schon John Cheever, der in seinen Geschichten, aber auch in seinen erschütternden Tagebüchern die Doppelmoral der suburbs und ihre krank machende Enge beschrieben hatte. Jetzt tritt mit Richard Yates ein weiterer Schriftsteller ins Bewusstsein, der die amerikanische Mittelklasse an ihren Idealen maß und sie, knapp gesagt, zum Teufel schickte.
    "Von dem Augenblick an, in dem er die Haustür hinter sich schloss, war er in dem reißenden Strom von Pendlern gefangen, die zum Bahnhof unterwegs waren, und wurde einfach mitgespült. Diese Männer waren in seinem Alter oder zehn, zwanzig Jahre älter, ein paar auch schon über sechzig, und sie schienen auf ihre Konformität stolz zu sein: auf die steifen dunklen Straßenanzüge und ihre konservativen Krawatten, auf die auf Hochglanz polierten Schuhe, die sie in geradezu militärischem Rhythmus auf den Gehsteig setzten. Nur selten ging einer der Pendler allein; fast alle hatten zumindest einen Gesprächspartner, und die meisten von ihnen bildeten Gruppen. Michael neigte dazu, weder nach rechts noch nach links zu blicken, aus Angst, er könnte ein kameradschaftliches Lächeln auf sich ziehen – wer zum Teufel brauchte diese Leute? –, doch er konnte seine Einsamkeit nicht genießen, weil sie ihn zu stark an die schlimmen Zeiten beim Militär erinnerte: an das Gefühl, inmitten von redenden, lachenden, besser angepassten Männern seine Meinung für sich behalten zu müssen."
    Sieben Romane und zwei Bände Stories hat Yates geschrieben, aber zu einer abgesicherten Existenz als freier Schriftsteller reichte es für ihn nie. Er nahm die Vorschüsse, die sein Verleger ihm gab, und schrieb solange, bis das Geld aufgezehrt war. Dann begann wieder eine Existenz von der Hand in den Mund, und am Ende brauchte er meist viel länger für die Vollendung eines Buches, als er gedacht hatte. Im Lauf der Jahre verdingte Yates sich als Redenschreiber und Universitätsdozent, und selbst den sprichwörtlichen Fluch amerikanischer Schriftsteller – Drehbuchautor in Hollywood –, probierte er aus. Doch es langte nicht einmal dazu, im Abspann eines Film genannt zu werden. Immerhin musste er am Ende seiner Karriere nicht mehr Texte für die frühe Computerindustrie verfassen wie Frank Wheeler, die Hauptfigur seines Debütromans "Zeiten des Aufruhrs" aus dem Jahr 1961.
    Zur Europapremiere von "Zeiten des Aufruhrs" nach dem Buch Buch von Richard Yates sind die britische Schauspielerin Kate Winslet und der US-Schauspieler Leonardo Di Caprio nach London gekommen.
    Zur Europapremiere von "Zeiten des Aufruhrs" nach dem Buch Buch von Richard Yates sind die britische Schauspielerin Kate Winslet und der US-Schauspieler Leonardo Di Caprio nach London gekommen. (picture alliance / dpa )
    Die amerikanische Neuausgabe dieses Meisterwerks mit einem Vorwort von Richard Ford leitete im Jahr 2000, acht Jahre nach Yates’ Tod, die Renaissance des Autors ein. Zu diesem Zeitpunkt waren alle seine Bücher in Amerika vergriffen und noch keines ins Deutsche übersetzt. Doch Ford beschrieb die Verehrung, die Yates’ Werk unter Schriftstellerkollegen genoss, wie einen Kult: Wer auch nur den blassesten Schimmer von Literatur hatte, musste "Zeiten des Aufruhrs" einfach verehren.
    Was war bei der Karriere dieses Autors schiefgegangen? Darüber lässt sich nur spekulieren. Yates selbst hat es immer als Fluch empfunden, dass sein erster Roman sein bester und berühmtester blieb. Doch ebenso sicher ist, dass sein Blick auf den Menschen und das, was wir Gesellschaft nennen, von einer gewissen Unbarmherzigkeit gesteuert wird. Manche Leser finden das unangenehm und schauen lieber weg. Dabei verkennen sie, dass wahres Mitleid Schonungslosigkeit voraussetzt.
    Als der Regisseur Sam Mendes 2008 den Roman "Zeiten des Aufruhrs" mit Kate Winslet und Leonardo Di Caprio verfilmte, brach mit einem halben Jahrhundert Verspätung endgültig die Zeit des Richard Yates an. Nicht mehr als literarischer Geheimtipp, sondern als Markenzeichen aus eigenem Recht: weniger proletarisch als der Story-Autor Raymond Carver, aber auch deutlich ungekämmter als der hochberühmte John Updike. Ein Schriftsteller von brutaler Ehrlichkeit, der die Illusionen seiner Figuren Ernst nahm und ihrer Sehnsucht, ihren Ausflüchten und ihren Lebenslügen sein ganzes Werk widmete.
    Seine Helden sind Variationen ein und derselben Figur, hinter der schattenhaft der Autor selbst zu ahnen ist. Männer, die am eigenen überzogenen Anspruch scheitern und damit die zweite amerikanische Desillusionierung nach dem Jazz Age verkörpern: ihrer Arbeit entfremdet, verzweifelt auf der Suche nach Zugehörigkeit, gestraft mit einem bitteren Blick, der hinter dem Optimismus der Wohlstandsgesellschaft nur Schwärze argwöhnt. Der bürgerliche Aufstiegsehrgeiz mochte in sauberen Vorstädten mit baumbestandenen Wohnstraßen seine Erfüllung finden, doch Alkohol, Sinnleere und ein Hang zum Wahnsinn, ein Ausrasten angesichts besinnungsloser Anpassung, zerfraßen das Idyll von innen.
    Der "New Yorker" veröffentlichte nie eine Erzählung
    In einigen seiner Romane, auch in "Eine strahlende Zukunft", droht als Endstation aller Aufsässigkeit die geschlossene psychiatrische Anstalt. Nur wer pariert, wird nach ein paar Wochen Behandlung als ungefährlich eingestuft und zurück zur Herde gelassen, damit das Spiel von vorn beginnen kann.
    „Wenn Sie die Medikamente, die Sie zurzeit bekommen, zu Hause weiter einnehmen, sollte das ausreichend sein, Mr Davenport“, sagte ein geschniegelter junger Psychiater. „Aber ich würde nicht unterschätzen, was Ihnen hier oben auf der Wie-heißt-das-noch-gleich … auf der Schriftstellertagung zugestoßen ist. Sie scheinen einen zweiten psychotischen Schub gehabt zu haben, und das könnte auf eitere Schübe in der Zukunft hindeuten, also würde ich mich an Ihrer Stelle vorsehen. Zum einen würde ich mich beim Alkohol zurückhalten, und ich würde mich bemühen, im … Sie wissen schon … im Laufe meines Lebens – Ihres Lebens – seelisch belastende Situationen zu meiden.“
    Richard Yates starb 1992, mit 66 Jahren, im Kriegsveteranenkrankenhaus von Birmingham im Bundesstaat Alabama. Dort hatte er in den letzten Jahren an der Universität unterrichtet und war immerhin anständig bezahlt worden. Eine seiner tiefsten Demütigungen bestand darin, dass der "New Yorker" nie eine Erzählung von ihm drucken wollte, obwohl Yates sich nicht entmutigen ließ und dem Magazin immer wieder Geschichten anbot.
    An seinem letzten Wohnort im amerikanischen Süden bildete sich um ihn eine akademische Fangruppe, die den schwerkranken Meister umsorgte, und es war ein Angestellter der Universität, der als erster nach Yates’ Tod das gemietete Häuschen des Schriftstellers betrat. Die Vorhänge waren gelb und grau von Zigarettenrauch. Unter seinem Schreibtisch: ein Schlachtfeld totgetretener Küchenschaben. An Oberkleidung besaß Yates zwei Wolljacketts mit Fischgrätenmuster, drei oder vier Paar identische Baumwollhosen und ein paar blaue Oberhemden. Ganz am Ende fand sich auch das Manuskript seines letzten, nicht abgeschlossenen Romans. Es lag im Kühlschrank, dem Tresor für arme Leute.