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Buch über Feuchtwangers Russland-Reise
Überfordert in Moskau

1937 reiste Schriftsteller Lion Feuchtwanger nach Moskau und verfasste danach ein Loblied auf Stalin. Für seinen Ruf war diese Propagandaschrift eine Belastung. Anne Hartmann beleuchtet in ihrem Buch "'Ich kam, ich sah, ich werde schreiben'. Lion Feuchtwanger in Moskau 1937" die Hintergründe der Reise.

Von Eberhard Falcke | 10.05.2018
    Undatierte Porträtstudie des deutschen Schriftstellers Lion Feuchtwanger.
    1937 reiste Lion Feuchtwanger nach Moskau (picture-alliance / dpa)
    Gegen Ende des Jahres 1936 trat Lion Feuchtwanger eine Reise an, um dem Feind seines Feindes zu huldigen. Von Sanary-sur-Mer, wohin er vor Hitler und den Nazis geflohen war, fuhr er nach Moskau, um die Verdienste von Stalin, des anderen großen Diktators der Epoche, nach Kräften zu preisen. Der internationalen Öffentlichkeit vermittelte er seine Erfahrungen durch die Propagandaschrift "Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde", die zugleich in englischer, spanischer und russischer Übersetzung erschien.
    Feuchtwanger war mit seinen positiven Einschätzungen der Sowjetunion keineswegs allein, viele aus dem antifaschistischen Lager begrüßten seine Parteinahme. Dennoch wuchs sich die Moskauer Eskapade für seinen Ruf als Schriftsteller nicht zum Ruhmesblatt aus, sondern zur Belastung. Immer wieder wurde fortan die Frage aufgeworfen, wie seine Ergebenheitsadresse zu bewerten und zu gewichten sei. Noch nie aber waren die Voraussetzungen für eine Auseinandersetzung mit dieser Frage so gut wie jetzt. Zu verdanken ist das der Slawistin und Germanistin Anne Hartmann, die nun unter dem Titel "Ich kam, ich sah, ich werde schreiben" eine umfangreiche Dokumentation zu Lion Feuchtwangers Moskau-Aufenthalt von Anfang Dezember 1936 bis Anfang Februar 1937 vorlegt.
    Fesselnde Binnengeschichte
    Dadurch werden Vorgeschichte, Verlauf und Nachspiel des Besuchs in ihrer ganzen Vielschichtigkeit, aus verschiedenen Perspektiven und unmittelbar aus der Zeit heraus ebenso lebendig wie transparent. Briefe, Tagebuchauszüge und Zeugnisse von Feuchtwanger sowie zahlreicher seiner mehr oder weniger prominenten Zeitgenossen finden sich darunter ebenso wie Akten, Protokolle, Aufzeichnungen und Geheimdienstberichte von sowjetischer Seite. Allein was hier über die internen Beziehungen und Auseinandersetzungen unter den deutschen Exilanten zu erfahren ist, bildet schon für sich genommen eine fesselnde Binnengeschichte. Und von unschätzbarem Wert für die Erschließung des Themas ist natürlich Anne Hartmanns profunde Einleitung unter dem Titel "Ein riskantes Engagement - Lion Feuchtwanger und die Sowjetunion".
    Dass seine Moskau-Reise nicht ohne Risiken sein würde, war Feuchtwanger, der dem Sowjetsystem keineswegs völlig kritiklos gegenüberstand, von vornherein klar. Aber er hatte auch viel zu gewinnen. Einerseits feierte man ihn in Moskau als einen, wenn nicht den bedeutendsten internationalen Schriftsteller der Welt, was sich in Verlagsverträgen und Honoraren auszahlte. Zum anderen betrachtete er Stalin als unentbehrlichen Verbündeten im Kampf gegen den Faschismus, woraus sich für ihn und viele andere Linke die zwingende Forderung ergab, dass man die Führungsmacht des Kommunismus nicht durch Kritik schwächen dürfe.
    Also lobte er die Lebensverhältnisse in der Sowjetunion, deren Sprache er nicht verstand und von der er fast nichts außer der Hauptstadt zu sehen bekam, in den höchsten Tönen. Also befand er die Moskauer Schauprozesse, mit denen die Phase des "Großen Terrors" eingeleitet wurde, für rechtmäßig, ohne dass er den gerichtlichen Vorgängen tatsächlich folgen konnte. Also bekam Stalin nach einer zweistündigen Audienz genau das, was dieser sich erhofft hatte: Der internationale Erfolgsschriftsteller feierte ihn als "großen Organisator, Rechner und Psychologen" und als "ins Genialische gesteigerten Typus des russischen Bauern und Arbeiters".
    Feuchtwanger hat mit Sicherheit gut überlegt, was er da schrieb, ganz im Sinne des gründlichen Sprachbewusstseins, zu dem er sich später in einem Rückblick auf die Zeit des Exils mit Nachdruck bekannte:
    "Selbstverständlich liegt uns das Wort ungeheuer am Herzen. Wir haben häufig, als wir hier viele Schriftsteller waren, heftige Kämpfe geführt um winzige Nuancen eines Wortes. Warum hast du das so gemacht, lässt sich das nicht besser ausdrücken? Und dann haben wir uns gefragt, wie wird sich die deutsche Sprache jetzt in Deutschland entwickeln unter den neuen Verhältnissen?"
    Zweifellos forderte aber auch die plakative Parteinahme für Stalin ihren sprachlichen Tribut. Dabei ging es Feuchtwanger nicht zuletzt darum, das von Desillusionierung gezeichnete Bild, mit dem André Gide ein Jahr zuvor aus der Sowjetunion zurückgekehrt war, zu widerlegen.
    Feuchtwanger von Moskau-Reise überfordert
    Trotzdem, und das wird nun bei Anne Hartmann in allen Einzelheiten deutlich, fiel Feuchtwanger seine kritiklose Bejubelung der sowjetischen Verhältnisse nicht in den Schoß. Er musste sie sich erarbeiten, zum Teil auch gegen eigene Impulse, und andererseits ließ er sich bearbeiten, zum Beispiel von einem Moskauer Emissär, der ihn dazu überredete, unerwünschte Feststellungen aus seinem Bericht zu tilgen.
    Es gibt viele spannende zeithistorische Aspekte in dieser Dokumentation, aber am interessantesten ist es zweifellos, zu verfolgen, wie Feuchtwanger bei seiner manchmal widerwilligen Verwandlung zum Propagandisten Stalins kooperierte und kollaborierte.
    Anne Hartmann gelangt in ihrer Einleitung ohne die Absicht einer Entschuldigung zu dem Fazit, dass sich Feuchtwanger mit seiner Moskau-Reise auf ein Terrain begeben habe, das er nicht beherrschte und das ihn überforderte. Zugleich hebt sie aber auch hervor, dass Feuchtwanger seinem Geschichtsverständnis zufolge die Sowjetunion als erstes und einziges Reich der Vernunft ansah. Die Opfer der Gewaltherrschaft schrieb er kühl als Kosten des welthistorischen Fortschritts ab.
    Muss nun die Bedeutung Feuchtwangers als Schriftsteller neu bewertet werden? Wohl kaum. Denn seine tendenziösen Fehleinschätzungen sind ja schon seit der Veröffentlichung des Moskau-Buches bekannt. Die Vorgänge allerdings, die durch Anne Hartmanns großartige Dokumentation ans Licht kommen, sind ein zeithistorisches Drama ersten Ranges. Ganz abgesehen davon, dass sie zudem ein erhellendes Lehrstück abgeben über die Unterdrückung von Tatsachen oder Wahrheiten im Namen von Parteilichkeit, Ideologie oder vermeintlich guten Zwecken. Und derlei kommt ja bekanntlich immer wieder vor.
    Anne Hartmann: "Ich kam, ich sah, ich werde schreiben". Lion Feuchtwanger in Moskau 1937. Eine Dokumentation.
    Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 456 Seiten, 39 Euro.