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Buchautor: Bankenkrise wird globalisiert

In einer globalisierten Wirtschaft werden Fehler auch gleich globalisiert. Diese Ansicht vertritt der Schriftsteller Burkhard Spinnen angesichts der Finanzkrise in den USA. Während vor 20 Jahren eine solche Krise nur eine Bank in einem Land betroffen hätte, sind es heutzutage mehrere Banken in mehreren Ländern. Daher müssten die Finanzjongleure in einer globalisierten Welt wesentlich umsichtiger agieren. Das Gegenteil sei jedoch der Fall, bemängelte Spinnen.

Burkhard Spinnen im Gespräch mit Jochen Spengler | 17.09.2008
    Jochen Spengler: Burkhard Spinnen ist einer der renommierten Gegenwartsliteraten in Deutschland und er ist einer der wenigen Schriftsteller, die es gewagt haben, auch das komplizierte Feld der Wirtschaft zu beackern. Zum Beispiel mit seinem Buch "Der schwarze Grat", in dem er vom Erfolg und Misserfolg eines mittelständischen Familienunternehmers erzählt. Sein letztes Buch heißt "Gut aufgestellt - Kleiner Phrasenführer durch die Wirtschaftssprache". Ein Auszug:

    Es wäre ja möglich, dass nämlich eine Gewinnwarnung tatsächlich von Unternehmen ausgegeben wird, um anzukündigen, man müsse demnächst einen namhaften Bilanzgewinn verkünden. Das ergäbe doch Sinn. Natürlich stimmt das nicht. Die Gewinnwarnung ist schlicht das Gegenteil von dem, was das Wort zu bedeuten scheint. Man warnt nicht vor dem Gewinn, sondern vor einem sich abzeichnenden Verlust. Man kündigt an, dass Erwartungen enttäuscht werden und Geld verloren geht. Gewinnwarnung ist bloß eine der vielen landläufigen Euphemismen, ähnlich wie "Entsorgen" für wegwerfen, "Genießen" für essen, "Freistellen" und "Verschlanken" für entlassen und so weiter. Man kennt das. Kein Grund zur Aufregung, oder etwa doch?

    Spengler: Das fragt Burkhard Spinnen in seinem Buch "Gut aufgestellt - Kleiner Phrasenführer durch die Wirtschaftssprache", erschienen in diesem Jahr im Herder-Verlag. Er ist nun mit uns telefonisch verbunden, weil wir mit ihm über die akute Finanzkrise in der Bankenwelt sprechen wollen. Guten Morgen, Herr Spinnen.

    Burkhard Spinnen: Guten Morgen.

    Spengler: Ehe wir uns den aktuellen Ereignissen zuwenden, warum ein Phrasenführer durch die Wirtschaftssprache?

    Spinnen: Weil ich seit einiger Zeit mit Sorge verfolge, dass erstens die Wirtschaftssprache sich in die Position setzt, in der früher, ganz früher mal die Sprache der Religion, dann später die Sprache der Politik gewesen ist, also in eine Position eines herrschenden Sprechens oder herrschenden Diskurses, wie man früher sagte. Das ist das eine. Das andere ist: Viele Leute partizipieren daran, versuchen, so mitzusprechen, und trotzdem gibt es eine große Unkenntnis über das, was tatsächlich gemeint ist, und so in dem Maße, in dem die Wirtschaftssprache in den Alltag vordringt, aus den Büros, aus den Fachbereichen in den Alltag hinaus dringt, in dem Maße, in dem sie das tut, läuft sie Gefahr, ein Jargon zu werden und ein Jargon ist etwas ganz Gefährliches.

    Spengler: Steht dieser Jargon für eine Scheinwelt, die jetzt zusammenbricht, die aufbaut auf Illusionen, auf faulen Krediten, denen kein realer Wert zu Grunde liegt?

    Spinnen: Das ist immer das, was als Gefahr hinter der Dominanz von Jargons steht, dass man sich auf der Oberfläche über etwas zu verständigen scheint, das gewissermaßen keine reale Deckung mehr hat. Wenn Fachleute über Fachangelegenheiten in einer Fachsprache reden, dann wissen sie immer was dahinter steht. Sie fassen das etwas kürzer. Sie haben ihre Begriffe, die sie austauschen, um sich schneller und problemloser zu verständigen. Wenn das in den Alltag difundiert, wenn also zum Beispiel Menschen, die nicht wirklich wissen, was an einer Börse passiert, jetzt sich wohl dabei fühlen, Aktien zu besitzen, mit den Aktien umzugehen, davon zu profitieren und so weiter, dann läuft die Sprache Gefahr, ihre Deckung zu verlieren. So wie das Papiergeld eigentlich durch das Gold gedeckt sein müsste, so ist dann diese Sprache nicht mehr gedeckt und dann kommt es zu Serien von Missverständnissen oder vielleicht sogar auch zu Serien von leichtem Betrug, wobei es bei Betrug immer zwei geben muss: einen, der betrügt, und einen, der sich betrügen lässt.

    Spengler: Darf ich so weit gehen zu fragen, Herr Spinnen, dass Sie auch nicht genau verstehen, was da eigentlich passiert mit den faulen Krediten, mit Freddie Mac, mit Lehman Brothers?

    Spinnen: Ich habe mich informiert. Das heißt jetzt noch nicht, dass ich ganz genau Bescheid weiß. Ich versuche auch, die Sache nicht für mich wie ein Investment-Banker zu erklären, sondern ich versuche, das so zu erklären, wie es sich jemand erklären sollte, der von diesen Dingen betroffen ist, ohne persönlich darin verwickelt zu sein. Ich versuche, etwas über das Zeitbewusstsein herauszubekommen. Bei der Gelegenheit stoße ich dann auf das Phänomen, dass es zu immer kurzfristigeren Gewinnen kommen soll, dass ich, der ich auch Aktien besitze, indem meine Lebensversicherung durch einen Fonds gespeist wird etc., dass ich und Millionen andere Menschen Unternehmen, auch Banken dahin drängen, in ganz, ganz kurzen Abständen zugesicherte Gewinne auch zu realisieren, und dass sich dadurch ein Finanzgebaren, ein Wirtschaftsgebaren entwickelt, das an den tatsächlichen, den mittelfristigen, den langfristigen Möglichkeiten der Menschen vorbei geht.

    Spengler: Könnte es sein, dass es damit jetzt vorbei ist?

    Spinnen: Es wird nie damit vorbei sein, dass Menschen Fehler machen. Das große Problem ist, dass in einer globalisierten Wirtschaft Fehler auch gleich globalisiert werden, und während so eine Sache wie die, die jetzt passiert ist, vor 20, 30 Jahren einer Bank passiert wäre in einem Land, passiert die jetzt immer gleich vielen Banken in mehreren Ländern beziehungsweise die Auswirkungen sind sehr viel weiter. Wir müssten eigentlich in einer globalisierten Welt mit allem, was wir tun, sehr, sehr viel vorsichtiger sein. Das Gegenteil ist der Fall.

    Spengler: Sind Sie eigentlich erschüttert oder schadenfroh, dass das jetzt zusammenbricht, so eine Luftnummer, sage ich mal?

    Spinnen: Ich glaube, man sollte jeder falschen Schadenfreude dringendst und schnellstens begegnen. Erstens leiden sehr, sehr viele Menschen darunter, die auf gar keinen Fall aktiv gehandelt haben. Zweitens leiden Menschen darunter, die zwar aktiv gehandelt haben, aber die nichts anderes getan haben, als sich in ein System einzuspannen, das so funktioniert hat, dass es schließlich zu diesen Ergebnissen gekommen ist.

    Spengler: Aber es ist merkwürdig, Herr Spinnen, wenn man Investment-Banker sieht, die entlassen werden, die dann ihren Tennisschläger aus dem Büro holen und in die Mikrophone sagen, sie gingen jetzt erst mal ein paar Wochen auf Segel-Törn. Das ist eine Entlassung einer anderen Art.

    Spinnen: Ja. Das sind ja in der Regel auch Menschen, die nicht den sozialen Zusammenhang der Bergleute im Saarland oder im Ruhrgebiet haben, die den Umstand, dass sie ökonomisch nicht mehr gewinnbringend arbeiten und dass man sie ausrangiert und entlässt, sozial in Gruppen abfedern oder artikulieren können. Diese Menschen sind, glaube ich, zum großen Teil sehr, sehr einsam und der Bezug zu ihrem Beruf ist auch einer, der wenig mit sozialen Gruppen zu tun hat.

    Spengler: Das heißt, Sie würden sagen, ich habe auch eher Mitleid mit ihnen, als dass Sie sagen würden, na ja, jetzt trifft es endlich Menschen, die selbst für viele Firmenzerschlagungen und Arbeitsplatzverluste verantwortlich sind oder mitverantwortlich sind.

    Spinnen: Ich glaube, dass dabei eine ganze Anzahl von jungen Menschen ist, die sehr, sehr früh sehr große Chancen in ihrem Beruf gesehen haben und sie teilweise auch realisiert haben. Ich würde mir wünschen, dass die sich jetzt wie ein Heer von Menschen mit Erfahrung ausbreiten und versuchen werden, das anderswo nicht so weit kommen zu lassen.

    Spengler: Was unterscheidet diese Menschen, die Sie gerade beschrieben haben, von einem Unternehmer, über den Sie zum Beispiel ein Buch geschrieben haben, einem Unternehmer des alten Schlages, einem mittelständischen Familienunternehmer?

    Spinnen: Dass bei dem es eine Identität von Besitz und Verantwortung gibt. Das heißt, wenn ich ein Unternehmen mit 10, 20 Leuten habe, dann bin ich nicht einer anonymen Aktienbesitzergruppe verantwortlich, sondern Menschen, die ich bei 20 noch jeden einzelnen kenne, aber auch bei 200 kenne ich die als Gruppe. Und es ist ein anderes Geflecht von Risikoverantwortung, Innovationsbereitschaft auf der einen Seite und auf der anderen Seite eben auch dem Denken daran, dass man wesentlich etwas zu erhalten hat. Es ist nicht gut, wenn Menschen viel gehört, das nicht auch von anderen kontrolliert werden kann. Auch Aktiengesellschaften haben ohne Zweifel ihr gutes. Aber ich glaube, wir brauchen eine Balance zwischen der unmittelbaren persönlichen Verantwortung und der Verantwortung größerer, also Aktionärsgruppen für Unternehmen. Da hat es in den letzten Jahren, wenn man sich die großen Unternehmen anguckt, wenn man die Entwicklung der Aktienmärkte anguckt, nur eine Bewegung gegeben und zwar die zu einem, ich würde sagen, Art anonymisierten Kapital, das quasi die Verantwortung aus dem aktiven Handeln ausgetrieben hat.

    Spengler: Herr Spinnen, zeigt die Finanzkrise, dass die Marktwirtschaft versagt hat, oder zeigt sie genau das Gegenteil, dass sie funktioniert, indem sie ihre eigenen Übertreibungen korrigiert und heilt?

    Spinnen: Ich glaube, die Marktwirtschaft ist sehr eng an die Demokratie gekoppelt und für die Marktwirtschaft gilt sicherlich das, was Churchill einmal über die Demokratie gesagt hat, dass sie eine außerordentlich defiziente Form des Zusammenlebens und des Regierens ist, aber die beste, die uns bislang eingefallen ist.

    Spengler: Das war der Schriftsteller Burkhard Spinnen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.