Donnerstag, 28. März 2024

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Buchbesprechung: Robert Schumann als Redakteur
Mit spitzer Feder

Komponist Robert Schumann war über zehn Jahre lang Redakteur seiner eigenen "Neuen Zeitschrift für Musik" – und sein künstlerisches Schaffen wurde durch diese musikjournalistische Tätigkeit entscheidend mitgeprägt. Wie genau verrät ein neues Buch.

Von Christoph Vratz | 25.01.2021
    Der Komponist Robert Schumann steht neben seiner Ehefrau, der Pianistin und Komponistin Clara Schumann, sie sitzt am Klavier, er schaut sie an, sie schaut beiseite und scheint den Klängen nachzulauschen.
    Robert Schumann: Nicht nur Komponist, sondern auch Denker und Redakteur (imago images / Leemage)
    Musik: Robert Schumann - Davidsbündlertänze op. 6 (Eric Le Sage, Klavier)
    "Es gelingt mir jetzt besser, meine Empfindungen in Worte, als in Töne zu bringen Sonst war’s umgekehrt."
    Eintrag in Robert Schumanns Tagebuch im Juni 1831. Der 21-jährige hat gerade einen neuen Bund ins Leben gerufen: den fiktiven Davidsbund. Zu den erfundenen Figuren zählen zum Beispiel Florestan und Eusebius als alter ego Schumanns und später Raro und Julius. Schon in seiner ersten Musikkritik, in der Schumann Chopins "Mozart-Variationen" für die "Allgemeine musikalische Zeitung" unter die Lupe nimmt, lässt er seine Davidsbündler-Figuren auftreten.
    "Nun aber die vierte, was hältst Du davon? Eusebius spielte sie ganz rein - springt sie nicht keck und frech […] Das ist nun aber alles nichts gegen den letzten Satz - hast Du noch Wein, Julius?"
    Musik: Frédéric Chopin - Variationen über "Là ci darem la mano": aus "Don Giovanni" op. 2 (Claudio Arrau, Klavier)

    Eine Möglichkeit für Veränderungen

    Rückt Schumann in seinem ersten Text mit Chopin einen jungen Komponisten in den Fokus, so schreibt er nur wenige Monate später, im Juli 1832, über eine junge Interpretin. Sie ist noch keine 13 Jahre alt, heißt Clara Wieck – und wird einige Jahre später seine Frau. "Der Ton der […] Klara senkt sich ins Herz und spricht zum Gemüt. […] Dem Genie stehen Freiheiten zu, welche man dem Talent verweigert."
    Nach seinen ersten Musikkritiken und einer kurzen Mitarbeit für das "Damen-Conversations-Lexikon" gründet Schumann 1834 die "Neue Zeitschrift für Musik". Sie soll: "erstens die Zeit abspiegeln, zweitens sie bekämpfen, drittens ihr sogar vorauseilen".
    Schumann möchte mit seiner Zeitschrift erzieherisch und bildend auf das Musikleben einwirken und so praktische Veränderungen herbeiführen. Was aber hat Schumann überhaupt dazu bewogen, dieses Projekt zu riskieren?
    Die "Neue Zeitschrift für Musik" sollte Schumann als Instrument für die Verwirklichung seiner Absicht dienen, auf das praktische Musikleben aktiv Einfluss zu nehmen. In der inhaltlichen Unzulänglichkeit der bestehenden musikalischen Zeitschriften erkannte Schumann die Notwendigkeit einer neuen Zeitschrift für Musik. Der musikalische Journalismus bot Schumann eine reale Möglichkeit für die Erfüllung seiner eigens empfundenen künstlerischen Doppelbegabung.

    Zentral für die Schumann-Forschung

    Autor Jochen Lebelt nennt in seinem neuen Buch "Robert Schumann als Redakteur" noch weitere Gründe, denen er anschließend im Einzelnen nachgeht. So entsteht eine Indizienkette, die auf mehr als 350 Seiten zu einer Reihe von erhellenden Erkenntnissen führt. Die Suche danach wird dadurch erschwert, dass Schumann ausgerechnet in seinem sonst beredten Tagebuch fast fünf Jahre lang kein einziges Wort über seine Musik-Zeitschrift verliert.
    Musik: Robert Schumann - Carnaval op. 9 (Eric Le Sage, Klavier)
    Zu den Besonderheiten dieses Buches zählt seine Entstehung. Die führt zurück zur einer Doktorarbeit, die der heutige Gymnasial-Musiklehrer Jochen Lebelt bereits 1987 an der (heute nicht mehr existierenden) Pädagogischen Hochschule Zwickau eingereicht hat. Obwohl diese nicht in Buchform erschienen und damit auch nicht öffentlich zugänglich war, erwies sie sich als ein zentraler Beitrag der Schumann-Forschung. Nur folgerichtig, dass Lebelt seine Promotion nun neu überarbeitet hat. Dafür hat er gekürzt und ergänzt, er hat stellenweise neu gegliedert, vor allem aber hat er den ursprünglichen Text sprachlich frisiert und von allen ideologisch gefärbten Formulierungen befreit, wie sie seinerzeit an einer DDR-Hochschule gefordert waren.

    Undenkbar: der Komponist ohne den Redakteur Schumann

    Über einen Zeitraum von zehn Jahren erscheint bis 1844 Schumanns Zeitschrift – mit zwei Ausgaben pro Jahr. Sie dient ihm einerseits als allgemein musik-ästhetisches Kampforgan und andererseits auch als persönliches Sprachrohr. Autor Lebelt interessieren in seiner Untersuchung immer wieder auch ganz praktischen Fragen: Wie hat Schumann Manuskripte von anderen Autoren gewinnen können? Wie hat er sie redigiert und bearbeitet? Wie stand es um die Finanzierung und Honorierung der Texte? Wie war der Vertrieb organisiert? Als er 1844 die Redaktion seiner Zeitschrift aufgibt, handelt es sich keineswegs um eine Kurzschlussreaktion:
    "Die Darstellung der genaueren Zusammenhänge kann belegen, dass Robert Schumanns definitiver Rücktritt von der Redaktion die Folge eines mehrere Jahre langen Entwicklungsprozesses seines Kunststrebens war, das sich stets in Übereinstimmung mit seinem Ziel befand, die progressive Entwicklung des Musiklebens forcieren zu helfen."
    Hier kommt Lebelt auf einen Kerngedanken seines Buches zu sprechen: Der Komponist Schumann wäre in der uns heute bekannten Form nie ohne den Redakteur und Autor Schumann denkbar gewesen – und umgekehrt. Jochen Lebelt hat errechnet, dass Schumann vor der Gründung seiner Zeitschrift rund zwei oder drei eigene Kompositionen pro Jahr fertiggestellt hat, während seiner Redaktionsarbeit fünf und nach seinem Rücktritt mehr als elf Werke jährlich – eine signifikante Steigerung, die zeigt, dass die Arbeit für seine Zeitschrift ihn an einem intensiveren Komponieren gehindert hat. Auf der anderen Seite aber hat Schumann die Zeitschrift auch gebraucht, um sich über die eigenen Ideale klarer zu werden.

    "Im Grunde gegen alle"

    So wie am Anfang seiner künstlerischen Entwicklung Schumanns parallel erfolgte künstlerische Arbeit in der Dicht- und Tonkunst ihn zum Musikschriftsteller und -journalisten profilieren ließ, konnte er sich im Ergebnis seiner parallelen Tätigkeit auf dem Gebiet der Musikjournalistik und der Komposition zum großen Komponisten entwickeln, um nun zuerst mittels Musik in größerer Genrebreite der damaligen Musikszene Paroli zu bieten.
    Nicht von ungefähr findet sich bereits 1838 in einem Brief der markante Satz: "Schon längst hatte auch ich im Sinn, gegen gewisse Theorien zu Feld zu ziehen, im Grunde gegen Alle. Doch ich schreibe nur gezwungen Buchstaben, und am liebsten gleich Sonaten und Symphonien."
    Musik: Robert Schumann - Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38, "Frühling" (Orchestre Révolutionnaire et Romantique, John Eliot Gardiner)
    Jochen Lebelt zeigt uns in diesem Buch keinen exotischen oder extravaganten Nebenweg in Schumanns Biographie. Vielmehr kann er den Leser überzeugen, wie eng seine Redakteurs-Tätigkeit mit der des aktiven Musikers verzahnt war. Immer wieder wird sichtbar, dass Schumanns Ziele als Autor über Musik und als eigener Produzent von Musik deckungsgleich waren: Er wollte das Musikleben voranbringen, beschleunigen, modernisieren, Platz machen für neue Klangsprachen. Jochen Lebelt beschreibt das in seiner akribischen und detailreichen Studie auf schlüssige Weise. Das Buch ist jederzeit gut lesbar und reich an Quellen und Belegen, wie allein der rund 30-seitige Anhang zeigt.
    Jochen Lebelt: Robert Schumann als Redakteur 1834 – 1844
    Eine Studie über Robert Schumanns Tätigkeit als Redakteur der "Neuen Zeitschrift für Musik"
    Studio Verlag/ Königshausen & Neumann
    366 Seiten, 49,80 Euro
    ISBN 978-3-8260-7204-8