Mittwoch, 24. April 2024

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Buchmesse: Gastland Indonesien
Fernöstlicher Literaturblick

Ein neues Indonesienbild - dafür stehen die Autoren, die in diesem Jahr das Gastland der Frankfurter Buchmesse repräsentieren. Ein neues Indonesien, in dem jedoch noch immer das Gespenst des Kommunismus umgeht. In ihren Werken klären die Schriftsteller auf über das alte Indonesien und erzählen Träume von den 17.000 Inseln des Landes.

Von Ruthard Stäblein | 14.06.2015
    Blick über ein altes Wohnviertel auf die Hochhäuser der Jalan-Thamrin-Road in der indonesischen Stadt Jakarta. Fotografiert: 07.11.2003
    Wie steht es heute um die Kultur und vor allem die Literatur des 17.000-Inseln-Staates, dessen Hauptstadt Jakarta zu den zehn größten Metropolen der Welt zählt? (picture alliance / dpa / Kurt Scholz)
    "Es war eine sehr schwierige Zeit. Tempo wurde verboten, einige Leute kamen ins Gefängnis. Ich hatte Glück. Sie wollten mich nicht anfassen."
    Der Journalist und Kulturmanager Goenowan Mohamed erinnert sich an 1994. Das Regime von Suharto beherrschte Indonesien. Die Zeitschrift "Tempo" war ein Forum für Kritiker der Diktatur. Tempo ging damals in den Untergrund. Man tarnte sich als Kulturzirkel. Daraus entstand ein Kern von "reformasi", die Reformbewegung, die vier Jahre später Suharto stürzte.
    Heute leitet Goenowan Mohamed das Komitee für den Gastlandauftritt von Indonesien auf der Frankfurter Buchmesse. Er hält die Fäden in der Hand. Er ist der Stratege für ein neues Indonesienbild.
    Für dieses neue Indonesien steht der 2014 direkt vom Volk gewählte Präsident Yoko Widodo. Er gilt als liberal, wirkt so volkstümlich, dass man ihn bei seinem Spitznamen Yokowi ruft. Er tritt leger auf, empfängt uns deutsche Kulturjournalisten im Präsidentenpalast:
    "Als ich ein Geschäftsmann war, nahm ich 16 Jahre lang an der Möbelmesse Köln teil."
    Yokowi hat sich hochgearbeitet. Gehört nicht zu den alten Macht- und Militäreliten, die ihn das spüren lassen. Yokowi gibt jedoch den Cliquen nach, hat 69 Todesurteile vollstrecken lassen. Will dafür eine Gesundheitsreform durchsetzen. Ein Obama-Typ. Viele Intellektuelle sind inzwischen von Yokowi enttäuscht. Selbst die Vorzeige-Autorin Laksmi Pamuntjak:
    "Er vollstreckte mehr Todesurteile, vor allem aufgrund von Drogen, als sein Vorgänger, der einen militärischen Background hatte. Ich war also tief enttäuscht und schrieb im Guardian einen Kommentar gegen die Todesstrafe. Keine 24 Stunden nach der Online-Ausgabe des Guardian erhielt ich zu Hause einen anonymen Anruf: Laksmi, pass auf dich auf. Wir wissen, dass du eine Kommunistin bist."
    Das Gespenst des Kommunismus geht noch immer um in Indonesien. Bis 1965 waren die Kommunisten die "Stärkste der Parteien". Sie planten angeblich einen Putsch. Der Militär Suharto verfolgte die Kommunisten gnadenlos und kam dadurch selbst an die Macht. Millionen Kommunisten und Verdächtige wurden damals ermordet, gefoltert, gefangen. Genaue Zahlen und Untersuchungen gibt es nicht. Das Thema blieb lange ein Tabu. Denn:
    "Die Überreste der alten Ordnung sind immer noch sehr präsent. Im ersten Dokumentarfilm über jene Zeit, im Film 'Act of killing' von Joshua Oppenheimer kann man sehen, dass Elemente der Suharto-Ära immer noch sehr präsent sind."
    In diesem Film spielen die damaligen Täter die brutalen Verbrechen nach. Ohne Scham. Mit Stolz. Der Nachfolgefilm von Oppenheimer "Look of silence" ist zur Zeit in Indonesien verboten. Die meisten der aktuell übersetzten Romane drehen sich aber um dieses Tabu. Neben dem Roman "Alle Farbe rot" von Laksmi Pamuntjak wird "Rückkehr nach Jakarta" von Leila Chudori auf Deutsch erscheinen. Chudori schreibt über die Exilanten, die nach 1965 fliehen mussten. Und die Nachwirkungen für heute.
    "Nur Suharto und seine Familie wurden entfernt. Aber der Rest ist immer noch da. Aber auch das System und das Dekret, dass der Marxismus nicht erlaubt ist. Alle Lehren oder Bücher oder Filme über Marxismus, wie auch immer man es nennen mag, Marxismus, Kommunismus, Sozialismus, alles Linke ist nicht erlaubt. Diesen Erlass gibt es immer noch. Er ist nicht aufgehoben worden. Er sollte aufgehoben werden."
    Fordert die Autorin Leila Chudori. Genauso deutlich wird die Autorin und Reporterin Linda Christanty. Sie hat über die Schrecken der Schariah in der Provinz Aceh berichtet.
    "In Indonesien war das Militär der Gewinner 1965. Die Regierung versteckte die Wahrheit. Wir, die jüngere Generation, wir müssen heute sage: Niemals wieder."
    Die indonesischen Autoren - es sind fast ausschließlich Frauen - stehen ein für ein neues Indonesien, für die Aufklärung über das alte. Aber ihre Werke, die demnächst auf Deutsch erscheinen, erzählen noch mehr über diesen fernen Archipel. Nicht nur Albträume, sondern auch Träume von 17.000 Inseln.