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Indonesien: Komplexe Geschichten werden kaum gelesen

Der Ehrengast der Frankfurter Buchmesse ist in diesem Jahr Indonesien. Das Land hat viele talentierte Autoren zu bieten, gelesen werden sie aber kaum. Religiöse Ratgeber und seichte Erfolgsgeschichten verkaufen sich hingegen besser. Das hat auch mit Indonesiens Vergangenheit zu tun.

Von Holger Heimann | 16.08.2015
    Der indonesische Autor Goenawan Mohamad mit dem Direktor der Buchmesse Jürgen Boos
    Der indonesische Autor Goenawan Mohamad mit dem Direktor der Buchmesse Jürgen Boos (picture alliance/dpa/Arne Dedert)
    In Jakarta ist beinahe jeder auf eigenen Rädern unterwegs – der Verkehrskollaps wird so zum Dauerzustand. Das liegt auch daran, dass es einen städtischen öffentlichen Nahverkehr kaum gibt. Die Ruhe und Stille, die zur Lektüre erforderlich sind, sucht man in der quirligen und durchaus anstrengenden Metropole meist vergeblich. Das Bild eines Menschen mit Zeitung oder Buch in der Hand gehört nicht zu den verbreiteten Straßenszenen. Aber die geringe Leselust auf dem gesamten Inselarchipel, die auch der Dichter und Verleger Agus Sarjono beklagt, hat tieferliegende Gründe:
    "Tatsächlich sind es nur zehn Prozent der Indonesier, vielleicht auch nur fünf Prozent, die sich für Bücher erwärmen und diese kaufen. Vielen ist einfach nicht klar, dass Lesen ungeheuer spannend sein kann. Selbst an den Universitäten ist das so. Ich bin mir unsicher, ob es ein grundsätzliches Desinteresse gibt oder ob die Menschen einfach nicht daran gewöhnt sind zu lesen.
    Der deutsche Übersetzer Peter Sternagel, der lange in Indonesien gelebt hat, sieht in dem ausgesprochen geringen Leseinteresse jedoch keinen Grund zu ernsthafter Besorgnis. Er glaubt, die Indonesier zieht es zwar nicht zum Buch, wohl aber zur Dichtung:
    "Ursprünglich ist die indonesische Gesellschaft natürlich keine Lesegesellschaft, sondern eine Hörgesellschaft. Das typische literarische Werk in Indonesien ist das Wayang, das Schattenspiel. Das sind die Mythen, die im Volk lebendig gehalten werden, auch immer wieder aufgefrischt werden, die sind aber nur über das Ohr zugänglich und nicht zugleich auch als Lesestoff vorhanden. Insofern braucht es eine gewisse Zeit, bis eine Gesellschaft zu einer Lesegesellschaft wird. Obwohl es ja nicht unbedingt wünschenswert ist, dass alle Gesellschaften zu Lesegesellschaften werden."
    Typisches literarisches Werk in Indonesien: Wayang
    Das wiederum sieht ein Verleger, dessen Geschäft darauf gründet, dass die Menschen zum Buch greifen, naturgemäß anders. Der Amerikaner John McGlynn kam vor bald 40 Jahren als Puppenspieler nach Indonesien, um das Wayang-Theater zu studieren. Doch längst hat er sich umorientiert, heute übersetzt er indonesische Literatur ins Englische und versucht mit seinem Verlag, indonesische Autoren im eigenen Land und darüber hinaus bekannter zu machen. Die Distanz vieler Indonesier zum Buch hat für John McGlynn ihren Ursprung in der Zeit der Suharto-Diktatur, die erst 1998 endete:
    "Während der Suharto-Ära waren Literatur und Sprachen keine Pflichtfächer mehr in den Schulen. Die Leute lernten nicht, sich schreibend auszudrücken, Literatur zu schätzen. Insofern ist es bemerkenswert, dass Indonesien heute überhaupt so viele talentierte Autoren hat."
    Die Buchhandlungen sind vielfach ein Abbild dieser Bildungsmisere. Während in der indonesischen Provinz die Versorgung mit Büchern ohnehin eingeschränkt ist, finden sich in Großstädten wie Jakarta zwar durchaus moderne, große Buchhandlungen. Aber in den Läden, die zumeist in schicken Malls zu finden sind, überwiegen religiöse Bücher, Ratgeber und simple Erfolgsgeschichten. Anspruchsvolle literarische Titel nehmen nur wenig Raum ein. Die junge Autorin Okky Madasari hat in ihrer Abschlussarbeit in Politikwissenschaften vor einiger Zeit die zunehmende Verbreitung eher seichter Werke analysiert:
    Seichte Stoffe statt komplexe Realitäten
    "Das ist die Realität. Die Leute lieben es, solche Bücher zu lesen. Der gerade populärste Roman in Indonesien handelt von einer armen Frau, die nach Singapur geht und dort Erfolg hat. Dieses Buch erzählt schlicht davon, wie man reich wird, und deswegen lesen es so viele. Jeder ernsthafte Schriftsteller ist natürlich frustriert darüber, dass vor allem solche simplen Geschichten erfolgreich sind. Aber was sollen wir tun? Wir müssen weiter schreiben und die Leute ermuntern, unsere Bücher zu lesen."
    Dieses Anliegen teilt Okky Madasari mit den interessanteren Schriftstellern ihres Landes. Die jetzt ins Deutsche übersetzten Bücher zeigen jedenfalls, dass es lohnenswert sein kann, sich auf indonesische Literatur einzulassen.