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Buchmesse Leipzig
Wie die Stasi Messe-Journalisten bespitzelte

Die Leipziger Frühjahrs- und Herbstmesse war zu DDR-Zeiten die seltene Gelegenheit für westdeutsche Journalisten, aus dem Land zu berichten und DDR-Bürger zu treffen. Da war die Staatsicherheit natürlich nicht weit - und ließ die Journalisten von einer speziellen Einsatzgruppe überwachen.

von Jan Schilling | 15.03.2018
    In einem Bunker sind an einer Wand ein Telefon und mehrere andere elektronische Geräte angebracht.
    Die Nachrichtenzentrale im ehemaligen Stasi-Bunker in Machern bei Leipzig (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    "Es war ein besonderes Gefühl, und ich habe manchmal gefragt, wie ist denn die Reichweite von dem Sender, wo das übertragen wurde, weil: wir erschienen dann auch mit unseren Namen im Abspann der Sendung. Und man hatte ja auch Verwandtschaft im Altbundesgebiet, und da hatte mich schon interessiert, ob die Verwandten das dann so empfangen konnten."
    Der Westen war sonst für Andreas Wolf unerreichbar. Als Studiobereichsleiter hat er, als die Mauer noch stand, im Rundfunkstudio der Karl-Marx-Universität DDR-Journalisten ausgebildet. Zweimal im Jahr wurde sein Arbeitsplatz zum Messestudio umfunktioniert, immer zur Leipziger Frühjahrsmesse mit Buchmesse und zur Herbstmesse. Westdeutsche Journalisten gaben sich in Wolfs Hörfunkstudio die Klinke in die Hand, zeichneten Interviews auf oder ließen Radiobeiträge und Livesendungen produzieren.
    "Das war natürlich das Fenster zur großen Welt. Das war eine vollkommen andere Arbeitsweise wie der trockene, praxisbezogene Lehrbetrieb mit angehenden DDR-Journalisten. Es war halt Arbeit mit Profis, die von richtigen großen Sendern kamen."
    Stasi schnitt Sendungen mit
    Fast jede ARD-Anstalt schickte sogenannte Reise-Korrespondenten nach Leipzig. Für die DDR eine heikle Angelegenheit, erinnert sich Wolf.
    "Es war natürlich so, dass die Messe oft genutzt wurde von Regimekritikern, weil da eine ganz andere Öffentlichkeit da war, mehr Westjournalisten, mehr Politiker, und da wurden dann auch Probleme, die viele hatten mit dem Regime versucht ranzutragen an die Journalisten."
    Deswegen arbeitete im Hintergrund der angeblich so weltoffenen Messe das Ministerium für Staatssicherheit unermüdlich, um Informationen über Journalisten und deren Gesprächspartner zu sammeln. Zumindest in den Anfangsjahren schnitt der Geheimdienst die Sendungen aus dem Messestudio mit, erinnert sich Techniker Wolf.
    "Da wurden, im Sender Leipzig damals noch, die Sachen aufgezeichnet, die bei uns gesendet wurden. Dann kam ein Fahrzeug mit Tonbändern, und dann gab es in der Messeredaktion eine Sekretärin, die das noch mal abgetippt hat."
    "Einsatzgruppe Messe" sammelte Infos über westdeutsche Journalisten
    "Aktion Treffpunkt" nannte die Stasi ihre Operationen intern und installierte eine "Einsatzgruppe Messe". Die sammelte KFZ-Nummernschilder der eingereisten Journalisten, hörte Telefonate mit den Redaktionen mit und setzte inoffizielle Mitarbeiter ein. So findet sich in den Akten eine mit "inoffiziell" gekennzeichnete Notiz von der Leipziger Frühjahrsmesse 1987. Die Quelle: IM Sigrid.
    "Der Nehls, Thomas vom WDR und ein Journalist vom SFB spekulierten über die Gründe des nur kurzen Aufenthaltes des Generalsekretärs Genossen Erich Honecker am Ausstellungsstand des BRD-Landes Baden-Württemberg. Vom Leiter der BRD-Vertretung waren die Journalisten offensichtlich anders informiert worden."
    Thomas Nehls schmunzelt heute über die Aktennotiz.
    "Das klingt fast nach Beschäftigungstherapie. Offensichtlich waren da viele befasst, hoffentlich haben sie einen kleinen Obolus bekommen, dafür dass dann solche fünf Zeilen niedergeschrieben wurden, die ja niemanden gefährden – auch mich nicht. Wundern tut es mich nicht, denn dass da die Stasi oder andere mit Beobachtung befasste Menschen überall zugegen waren, das ist mir nicht entgangen."
    Kellner, Hotelmitarbeiter und Bürger wurden eingespannt
    Natürlich sammelte die Staatsicherheit weit mehr als diese unverfänglichen Berichte, hin und wieder erließ sie Einreiseverbote. Gerade an Gesprächen zwischen Schriftstellern, Oppositionellen und BRD-Journalisten war sie interessiert, darüber finden sich in den Akten der Stasi-Unterlagenbehörde Hinweise. Um an Informationen zu kommen, spannte die Staatsicherheit Kellner, Hotelmitarbeiter und DDR-Bürger ein. Gezielt versuchte die Staatsicherheit wichtige Personen in so genannten "Operativen Quartieren" unterzubekommen – sie konnten dort abgehört werden. Der Arm der Staatsicherheit reichte trotzdem nicht überall hin. Deshalb konnte der westdeutsche Journalist Nehls durchaus mit DDR-Bürgern sprechen.
    "Mit gewisser Vorsicht, mit gewisser Skepsis. Aber es hat sich so manches offene Gespräch ergeben."